Die Starts des Jahres – Rückblog 2022

Die Kommunikationsberaterin Heike Metzmeier-Specht blickt auf ihr Jahr 2022 zurück, in dem sie als Autorin ihr erstes Buch - "Unter demselben Himmel" -veröffentlicht hat.

Was kann es schöneres geben,

…als mit dem ersten Hochzeitstag in das neue Jahr zu starten? Ja richtig, ich war am 21.1.22 genau ein Jahr verheiratet. „Spätes Mädchen“ nennt man das, dort wo ich herkomme. Wir saßen bei Roberto, unserem Stamm-Italiener in Baden-Baden, im Freien und genossen ein Sektfrühstück. Freunde, die zufällig vorbeikamen, gesellten sich zu uns. Es war wunderschön an diesem kalten Morgen. Ich weiß noch, dass ich dachte „so kann es weitergehen!“

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt Herrmann Hesse. Ich weiß nicht wie es dir geht, ich jedenfalls bin an jedem Jahresanfang immer etwas aufgeregt, auch wenn das eigentlich quatsch ist, da sich an den Umständen ja nichts ändern muss, nur weil der Kalender wieder einmal den 1.1. anzeigt. Aber es ist eine Chance mental den Reset-Knopf zu drücken, Neues zu wagen und Altes gehen zu lassen. Ob mir das gelungen ist? Lass mal sehen:

Fehlstart

Ein Evergreen unter den guten Vorsätzen ist, sich mehr um die Gesundheit zu kümmern. Und wie ich mich gekümmert habe! Eines kalten Februarmorgens war ich mit dem Hund unterwegs, etwas zu schnell und noch nicht ganz wach. Das änderte sich innerhalb von Sekunden, als ich mit dem Schuh in vollem Lauf an einem Hindernis hängenblieb und sehr hart aufschlug. Das Geräusch das mein rechtes Knie dabei von sich gab, lies nichts Gutes erahnen. Bruno, unser Hund, war einigermaßen irritiert, als wir umgehend kehrt machten. Mein Orthopäde war nicht erfreut, mich nach all den Malaisen mit meinem linken Knie so schnell wieder zu sehen. Gerade war ich wieder zu altem Format zurückgekehrt und jetzt das – Kniescheibe gebrochen. Couch, Krücken und langsames wieder aufbauen war die Beschäftigung für die nächsten Monate. Es blieb nur Geduld, die leider nicht gerade zu meinen Stärken gehört und der Vorsatz, keine guten Vorsätze zur Gesundheit mehr zu formulieren.

Bruno ist mit beim Arbeiten Gesellschaft und moralische Stütze.

Neustart

Das wohl alles beherrschende Thema in diesem Jahr war die Veröffentlichung meines Autorendebüts „Unter demselben Himmel“. Für mich ging damit ein schon länger gehegter Traum in Erfüllung, auch wenn ich nicht zu den Autorinnen gehöre, die schon seit frühester Kindheit Schriftstellerin werden wollten.

Ich habe jetzt den Reflex mich bei allen persönlich zu bedanken, ohne die dieser Erfolg niemals möglich gewesen wäre, aber ich befürchte darüber verliere dich, lieber Leser, liebe Leserin. Also verweise ich ungeschickt auf die Danksagung in meinem Buch und versichere, dass kein Tag vergeht, an dem ich mir nicht dessen bewusst bin, welches Glück ich mit euch allen habe: Sandy, Tanja, Laura, Astrid, Catrin, Mary und Nico.

Was ich komplett unterschätzte, obwohl ich selbst seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeitsarbeit tätig bin, ist, wie viel Zeit und Energie in das Marketing fließt. Als Selfpublisherin verkauft sich mein Buch nur, wenn ich auf die Pauke haue und (um es mal mit unserem Bundeskanzler zu sagen) ein Wumms reicht nicht, selbst wenn es ein Doppel-Wumms ist. Kontinuierlich dranbleiben, ausprobieren, auswerten, anpassen, sich neu motivieren, umhören und bei allem positiv bleiben, wurde zu meinem täglichen Begleiter.

Zu den unvergesslichen Erfahrungen gehörte die Lesung in der unabhängigen Buchhandlung Herr Holgersson in Gau-Algesheim, sowie der Stand gemeinsam mit Anja Jahnke und die Lesung auf der BuchBerlin. Diese Momente haben mich deshalb so berührt, weil ich mit eigenen Augen sehen und mit dem Herzen fühlen konnte, wie meine Erzählungen beim Publikum ankommen.

Ich lese in der Buchhandlung Herr Holgersson aus meinen Reiseerzählungen und beantworte Fragen. Im Publikum sitzen viele Freunde und Verwandte. Ein Jahreshighlight!

Insbesondere Social Media Marketing empfinde ich bis heute als die größte Herausforderung, denn bei allem Enthusiasmus kann es schon frustrierend sein zu sehen, was vom Algorithmus (nicht) belohnt wird. Zu den schönen Erfahrungen gehört, dass ich über Instagram in die Buchbubble eingetaucht bin, in der ich von Gleichgesinnten sehr viel Unterstützung erfahren durfte. Jennifer Summer zum Beispiel hat für mich am Tag meines Buchlaunches eine herrliche Live-Veranstaltung organisiert. Auch wenn das immer wieder bezweifelt wird: Es ist möglich über Social Media echte Freunde zu finden! Besonders schön ist, wenn man diese virtuellen Menschen in der realen Welt treffen darf. So ging es mir in diesem Jahr mit den Autorinnen Dany Matthes, Jeanette Lagalle, April Wynter, Nina Dont, Selina Ritter, Astrid Töpfner und Sandy Mercier. Ich hoffe auch bald die anderen Mädels aus unserer Mastermind-Gruppe persönlich kennenzulernen sowie Susanne Maria Öhlschläger, Mari Hummingbird, Saskia Zimmermann, Charlie Reiss und noch viele mehr!

Die Zusammenarbeit mit Buchbloggern war ein weiteres Highlight für mich. Buchverliebte, die viel Energie investieren, um Bücher, die man ihnen überlässt, gründlich zu prüfen und zu rezensieren und zwar auf einer Vielzahl an Kanälen. Das kostet enorm Zeit, was nicht hoch genug zu bewerten ist. Sie hier alle mit Namen zu nennen würde abermals den Rahmen sprengen, stellvertretend gehen herzliche Grüße an Sina (Insta: @reading.with.sina), die ich das Glück hatte auf der Frankfurter Buchmesse persönlich kennenzulernen und Janine (Instagram: @janines.world), die sich nicht nur kraftvoll in ihre Aufgabe als Buchbloggerin wirft, sondern gerade mit „Arcus“ ihr eigenes Buch veröffentlicht.

Auch aus der Community der Reiseblogger habe ich viel Support erfahren, gerade von den Herren der Schöpfung. Das hat mich in gewisser Weise sehr beruhigt, denn ich stellte mir vor dem Launch eine Weile lang die Frage, ob ich ein „Frauenreisebuch“ geschrieben habe. Schön zu hören, dass es offenbar nicht so ist.

Über all dem habe ich meine Lieben und Freunde, die mir seit Jahrzehnten ans Herz gewachsen sind, deutlich vernachlässigt. Ich entschuldige mich für den permanenten Spam zu meinem Herzensprojekt und dafür, dass ich euch so stiefmütterlich behandelt habe. Es grenzt an ein Wunder, dass ihr mich trotzdem unterstützt und mir auf schmale Sprachnachrichten auf WhatsApp überhaupt noch antwortet. Das ist einer der ernsten Vorsätze für das nächste Jahr: Privates nicht mehr zu kurz kommen zu lassen!

Durchstart – Ready for Take-Off

Ich reise für mein Gefühl nie genug, aber in diesem Jahr ist mein Reise-Gen tatsächlich etwas zu kurz gekommen. Die kleinen Fluchten hatten es allerdings in sich. Zu meinem Geburtstag im März hat mich mein Mann nach Basel entführt. Wir lieben diese Stadt für ihre Lage am Rhein, die Flohmärkte, vielfältige kulturelle Möglichkeiten und das besondere Flair in den verschiedenen Stadtteilen. Die Location die sich Peter für mein Geburtstagsessen ausgesucht hat, hätte ich aber niemals erraten. Es ging an den Hafen. In einem Roman hatte mein Mann gelesen, dass es dort eine Arbeiterkneipe gibt. Diese zu finden zwischen all den Industrieanlagen war gar nicht so einfach, aber wir gaben nicht auf und waren am Ende erfolgreich. So bekam ich in einem Kellerbau, in einer Atmosphäre die an eine Fischerkneipe erinnerte, ein Dreigang-Menu und ausgesprochen nette Bewirtung.

Was den Aufenthalt aber zu einem echten Erlebnis machte war unsere Unterkunft. Wir hatten uns im Airbnb von Jean Nordmann einquartiert, einem Rentner, der sein (Arbeits)-Leben einerseits der Wissenschaft, andererseits der Entwicklungszusammenarbeit gewidmet hat. Sein Haus war voller Reminiszenzen an die Tage in Afrika, Afghanistan und Bosnien-Herzegowina. Wir quatschten uns derart aneinander fest, dass ich ihn schließlich fragte, ob er sich ein Interview für meinen Blog vorstellen kann. Das sehr ehrliche, teilweise auch harte Gespräch über kleine Hoffnungsschimmer angesichts von Krieg, Hunger und Vertreibung kannst du hier nachlesen.

Im Sommer ging dann ein Traum für mich in Erfüllung, denn ich durfte Zeit mit meinen Schulfreundinnen verbringen und zwar nicht irgendwo, nein im Norden Portugals! Wir waren Gäste im Haus von Anne und ihrem Mann Tino. Ich war vollkommen geflasht von der Schönheit der Landschaft mit den Pinienwäldern aber auch vom Meer ganz in der Nähe. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr fortgegangen. Kannst du dir vorstellen wie es ist, wenn fünf Frauen die sich seit über vier Jahrzehnten kennen aufeinandertreffen? Exakt, es wird ohne Unterlass geredet. War das ein Spaß! Tino verwöhnte uns derweil mit portugiesischen Köstlichkeiten. Besonders lecker waren die Moelas, Hühnermägen. Natürlich nichts für Vegetarier, die grundsätzlich hier nicht wirklich glücklich werden. Die Portugiesen lieben Fleisch.

Ein Ausflug wird mir ewig in Erinnerung bleiben. Im August war es in Portugal tagsüber mehr als 40 Grad warm. So wollte uns Tino eine Freude machen und uns zu einem Fluss zum Schwimmen einladen. Was er nicht wusste: Die Straße die zum Fluss führte war nur noch ein Schatten ihrer selbst, mit tiefen Furchen und Schlaglöchern. Unter anderen Umständen hätte ich vor Freude gequietscht. Offroad fahren ist schließlich meine Leidenschaft. Das allerdings mit einem tief liegenden PKW, noch dazu einem Mietwagen war ein rechtes Abenteuer. Meine Freundin Julia beschloss sogar auszusteigen und lieber hinterher zu laufen. Glücklicherweise habe ich uns heil hinunter und wieder hinauf gebracht. Es wäre uns auch wirklich etwas entgangen, nicht nur das Bad im kühlenden Fluss. Astrid ging bei Tino in die Lehre und lernte Angeln. Herrlich!

Eigentlich wäre es das schon gewesen, wenn wir nicht im Oktober einen Ausflug in den Schwarzwald unternommen hätten, der Peter als Inspiration diente. In einer Gaststätte saßen wir im Garten und schauten auf die Veranda. Plötzlich sagte Peter: „Das erinnert mich an die Grotti im Tessin. Lass uns ins Tessin fahren!“

Gesagt getan. So spontan war ich glaube ich noch nie. Innerhalb weniger Tage waren Termine verschoben, das online-Arbeiten aus dem Reisemobil heraus geregelt und der Land Rover gepackt.

Ich bin ein Schweiz-Fan, das ist glaube ich schon klar geworden, mir haben es die Pässe und schmalen Täler angetan. Auf dem Weg ins Tessin machten wir am Furca-Pass Zwischenstopp. Dort würde eigentlich um diese Jahreszeit bereits Schnee liegen. Wir genossen stattdessen bei 18 Grad den Sonnenuntergang und schauten auf die schneebedeckten rotglühenden Gipfel. Im Bedrettotal lief ich über ein Bett aus Lärchennadeln barfuß und hörte am nächtlichen Lagerfeuer den Hirschen beim Röhren zu.

Im Verzascatal, dem Vale Maggia und dem Centovalli verschwanden wir schließlich für Tage in der puren Natur, um am Lago Maggiore wieder aufzutauchen. Hier entdeckten wir einen winzigen Campingplatz im Familienbetrieb, der das ganze Jahr über geöffnet ist. Dazu gehört ein Hotel, ein Supermarkt und eine Bar. Lustig war, dass der Besitzer überall gleichzeitig zu sein schien, ob an der Rezeption im Hotel oder an der Kasse im Supermarkt, wenn wir kamen, war er immer schon da.

Den wahrhaft goldenen Abschluss bildete ein Besuch von Luzern am Vierwaldstättersee. Wir schlenderten über die Kapellbrücke, am Ufer des Sees entlang und durch die Altstadt. Dabei sogen wir das Panorama der umliegenden Berge in uns auf. Es hätte ewig so weitergehen können.

Die Tage nach Weihnachten werden wir nach aktueller Planung in Südfrankreich verbringen. Ich hoffe auf einen Café Créme in der Sonne und ganz viel Inspiration…

Hätte Bruno mich nicht geweckt, hätte ich dieses Gipfelglühen am Furca-Pass glatt verpasst.

Schleuderstart

Ich habe länger überlegt, ob zu einem persönlichen Jahresrückblick auch ein Beitrag zur Weltenlage gehört. Wie du siehst bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass sich eine Kommunikatorin mit Reise-Gen dieser Aufgabe stellen sollte. Denn wenn wir ehrlich sind, wurde alles was nach dem 24. Februar passierte, sehr schnell persönlich.

Die Bilder aus der Ukraine haben mich schockiert. Ich war tagelang paralysiert, hing nur am Mobiltelefon und screente die Nachrichten auf Spiegel.de, nicht weil ich Angst vor einer Invasion hatte, sondern weil ich mir als Kind des kalten Krieges einfach nicht vorstellen konnte, dass sich derartiges mitten in Europa noch einmal zutragen würde. Ich bin entsetzt über das menschliche Leid (auf beiden Seiten der Kampflinie) und sprachlos über die Art der Kriegsführung, von der ich doch Anfang des Jahren durch Jean gelernt hatte, dass sie gegen jede internationale Konvention verstößt. Ich verurteile diesen Angriff und bezeichne ihn natürlich als Krieg und ich unterstütze die Initiativen die darauf abzielen, die Ukraine in eine bessere Verteidigungslage zu versetzen. Auch haben die Maßnahmen meine volle Unterstützung, welche Russland die finanzielle Grundlage entziehen, auch wenn ich dafür in diesem Winter manchmal frieren muss.

Was uns in dieser Situation zu tun blieb war denkbar simpel: Wir brachten Ukrainer samt Kindern und Tieren in Wohnungen unter, auf die wir Zugriff hatten. So hoffen wir einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass das Leid und die Not ein Stück gelindert wird.

#womanlifefreedom

Was mir ein zweites Mal in diesem Jahr das Herz gebrochen hat waren die Bilder aus dem Iran. Ich habe dieses Land erst 2019 selbst bereist und erleben dürfen wie warmherzig, offen und fröhlich die IranerInnen sein können. Aber ich habe auch gespürt, wie die Unzufriedenheit mit dem Regime mit jeder Woche wuchs. Schon zu diesen Tagen gingen die Menschen auf die Straße. Dass sie es unter Androhung der Todesstrafe immer noch tun, nötigt mir mehr als nur Respekt ab. Wir sollten sie unterstützen wo wir nur können, ob mit politischen Sanktionen für das Regime oder mit öffentlicher Bekundung der Solidarität für die Bevölkerung. Ich habe gelernt, dass IranerInnen sehr wohl Zugriff auf Plattformen haben, die in ihrem Land verboten sind, weil sie sich den Mund nicht verbieten lassen. Wenn sie feststellen, dass sie in ihrem Ringen um Freiheit gesehen werden, dann ist das der Motor, der die Revolution am Laufen hält.

Ich weiß nicht, ob ich diesen Mut aufbringen würde. Aber ich hoffe, dass die internationale Welle der Sympathie die Menschen aufrecht hält, so dass der Wandel auf den sie so sehr hoffen, in naher Zukunft eintritt.

Iranerinnen, schön und selbstbewusst, an der Persepolis. Dieses Foto ist eine Leihgabe von Elke von @kekse_und_koffer.

Sendestart

Dass bei all den Turbulenzen tatsächlich noch Zeit blieb in meinem Beruf als Public Relations Beraterin zu arbeiten verwundert mich selbst am meisten. Erfreulicherweise waren die Kunden sehr zufrieden und wenn sie glücklich sind, bin ich es auch.

Mein Herzensthema in den letzten beiden Jahren war Cannabis als Medizin. Ein Feld auf dem sich mit der Novelle des CAM-Gesetzes und der bevorstehenden Legalisierung in Deutschland viel bewegt. Ich danke Jazz Pharmaceuticals für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und den gelungenen Start in die Fachkommunikation zu diesem spannenden Thema.

Programmstart

Kein Rückblick ohne Ausblick! Wie geht es also von hier an weiter?

Für „Unter demselben Himmel“ hört die Promo-Tour natürlich nicht auf, da ich wild entschlossen bin, mein Autorendebüt zu einem Longseller zu machen.  Was neue Buchprojekte anbetrifft habe ich gleich mehrere Ideen am Start, manches als Kooperation anderes als Solo-Werke. Da es sich in diesen Fällen nicht um autobiographische Erzählungen, sondern um Romane handelt, ist viel Recherche notwendig, das Ausarbeiten von Charakteren und das Plotten der Handlung. All das ist mal wieder völliges Neuland und eine Aufgabe, auf die ich mich sehr freue.

Am Ende werde ich dann doch wieder meine zwei Leidenschaften miteinander verheiraten, denn in der Kommunikationsberatung bin ich zu Hause. Ich plane ein Workbook über Pressearbeit für Autoren zu schreiben und dieses als Grundlage für eine kleine Workshopserie zu nutzen, damit mein Fachwissen nicht theoretisch an euch KollegInnen abprallt, sondern aktiv auf eure Situation zugeschnitten genutzt werden kann. Wer sich dafür interessiert, kann ja schon mal per Mail die Hand heben.

Und der Gesundheits-PR werde ich natürlich auch weiterhin treu bleiben. Mein Fokus hat sich inzwischen auf das Schreiben verschoben. Wer sich also Unterstützung beim Texten von Artikeln für Fach- und Publikumsmedien wünscht, eine Webseite zu überarbeiten hat, oder einen Medical Writer für die Zusammenfassung von Veranstaltungen sucht, ist bei mir genau richtig.

Dir wünsche ich ein zauberhaftes Weihnachtsfest, einen positiven Blick auf und einen guten Start ins Jahr 2023 und die Erfüllung deiner Visionen!

Herzlichst

Heike

Im Gespräch mit Prof. Jean Nordmann über humanitäre Arbeit

For English language version please klick here.

Geboren in La Chaux-de-Fonds, einer kleinen Stadt in der Schweiz, in den Bergen des Juras, verbrachte Jean Nordmann eine behütete Kindheit. Zum Skifahren musste er lediglich vor die Tür seines Elternhauses treten. Sein Vater besaß – sehr klassisch – eine Manufaktur für Schweizer Uhren. Er wuchs mit einer älteren Schwester auf, die ihm bereits im Alter von fünf Jahren das Lesen beibrachte.

Er studierte eine Mischung aus Medizin und Biologie. Ein Studiengang, der darauf  abzielte, junge Forscher auszubilden. Da er sich während des Studiums recht schnell langweilte, fragte er den Laborleiter einer bekannten Abteilung der Medizinischen Fakultät, ob er in einem der Teams seiner Abteilung arbeiten könne. So landete er in der Neurobiologie. Nach einer bemerkenswerten Karriere als Laborleiter und Professor beschloss er im Alter von 44 Jahren sein Institut zu verlassen, um sich der humanitären Arbeit zu widmen. Mehr als 20 Jahre lang arbeitete er als Delegierter und Missionsleiter für das Internationale Komitee des Roten Kreuz, für die UNO und verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Er war in vielen afrikanischen Ländern sowie in Papua (Indonesien), Afghanistan und Ex-Jugoslawien stationiert. Heute betreibt er als Pensionär ein Bead & Breakfast in Basel. So haben wir uns kennengelernt. Ich verbrachte meinen Geburtstag bei ihm, den er in ein besonderes Erlebnis verwandelte.

Wir haben das Interview auf Englisch geführt, der Wissenschaftssprache die uns beide verbindet. Den Beitrag im Original kannst du dir als PDF hier ansehen.

ACHTUNG! Trigger-Warnung: Wir werden im Verlauf des Gesprächs mehrfach auf den Krieg zu sprechen kommen. Die Inhalte sind möglicherweise für sensible Menschen schwer zu verkraften.

Was haben Sie als Neurobiologe erforscht und hat es Sie fasziniert?

Wir wollten herausfinden, wie Nervenzellen miteinander und mit Zellen aus anderen Geweben kommunizieren. Man muss verstehen, dass die Menschen dazu neigen Wissenschaft in einem falschen Licht zu sehen. Neunundneunzig Prozent der Zeit macht man langweilige Arbeit, man muss ein Experiment immer und immer wieder wiederholen, und erst am Ende hat man das Vergnügen, die Daten zu analysieren. Erst dann wird die Arbeit wirklich interessant.

Ich hatte Glück, denn ich wurde schon in jungen Jahren zum Professor ernannt. Ich muss zugeben, dass ich liebte was ich tat, ich war praktisch mit meiner Forschung verheiratet. Zu meinen Aufgaben gehörte es, Doktoranden zu unterrichten, was ich als sehr lohnend empfand, denn diese jungen Leute waren wirklich an der Wissenschaft interessiert.

Was haben Sie bei ihrer Arbeit über das menschliche Gehirn gelernt?

Neben schönen und erstaunlichen Dingen habe ich verstanden, dass die Menschheit trotz ihres Gedächtnisses nicht viel darüber lernt, wie man Gewalt vermeiden kann.

Obwohl Sie ein erfolgreicher Forscher waren, haben Sie mit Mitte vierzig beschlossen, die Wissenschaft zu verlassen. Warum das?

Anfangs hat mir niemand geglaubt, als ich sagte, ich würde aufhören. Aber nach 24 Jahren, in denen ich mehr oder weniger im Labor gelebt habe, wollte ich einen Teil meiner Jahre den Kindern widmen, die in kriegsgebeutelten Ländern aufwachsen. Aber der Witz ist, dass ich immer Wissenschaftler geblieben bin, denn wenn ich im Urlaub war, habe ich einen Freund in den USA besucht, um in seinem Labor zu arbeiten (oder zu spielen). Man hört nie auf etwas zu lernen! Ich lerne auch heute noch etwas über die Wissenschaft, auch wenn ich schon lange im Ruhestand bin. Ich bin immer noch von Kopf bis Fuß Wissenschaftler.

Gibt es Ähnlichkeiten zwischen der Leitung eines Labors und der Rolle eines Missionsleiters?

Die Art und Weise wie man ein wissenschaftliches Projekt verteidigen muss, ist die gleiche wie die, seine Präsenz in einer Region zu verteidigen, wenn man es mit bewaffneten Soldaten oder dem Polizeichef oder dem Präsidenten zu tun hat. Man muss sein Denken erklären und überzeugende Argumente finden.

Was war Ihre Motivation, humanitäre Arbeit zu leisten, und warum haben Sie sich für Afghanistan und Afrika entschieden?

Am Anfang war die Hilfe für Kinder meine größte Motivation, aber im Laufe meiner Arbeit wurde mir klar, dass jeder froh ist, wenn ihm geholfen wird.

Ich habe mir meine Einsätze nie ausgesucht, sondern war immer bereit, dorthin zu gehen, wo die Organisation, für die ich arbeitete, mich hinschickte. Der Hauptunterschied zu anderen Orten ist der Krieg. In unseren Straßen gibt es keinen Krieg. Wenn man in einem Gebiet arbeitet, in dem Krieg herrscht, kann man nicht erwarten, dass man eine Entwicklung sieht, man muss schnell denken und handeln. Das entsprach meiner Arbeitsweise. Außerdem macht es mir nichts aus, unter Bedingungen zu leben, die sich von denen zu Hause unterscheiden, z.B. in Bezug auf die Wohnsituation oder das Essen.

Nomaden zogen trotz des Krieges mit ihren Tieren über das Land. Das Foto zeigt eine Nomadin aus der Provinz Badakhshan in Afghanistan (2003)

Wie hat Ihre Familie auf Ihre Ambitionen reagiert?

Meine Kinder waren bereits alt genug, um selbst an der Universität zu studieren. Sie verstanden meine Gründe für den Wechsel meines Berufsweges. Selbst meine Eltern, die anfangs nicht ganz begriffen, warum ich eine gut bezahlte Festanstellung aufgab, haben mich sehr unterstützt. Was mir sehr bald klar wurde war die Rolle der Medien bei Konflikten. Meine Mutter bewahrte alle lokalen Zeitungsartikel über die Kriege auf, in denen ich gewesen war, und ich war schockiert über das, was in diesen Artikeln stand. Die Hälfte davon stimmte aus meiner Sicht von den Fakten her nicht. Im Gegensatz zu dem, was meine Eltern in den Zeitungen lesen konnten, war unser Leben nicht jeden Tag gefährlich.

Was die Leute nicht wissen ist, dass selbst im Krieg nicht jede Sekunde gefährlich ist. Schwer zu verkraften ist hingegen, dass man nie weiß wann ein Angriff kommt oder ob er überhaupt stattfindet. Die Ungewissheit ist das Problem. Das heißt aber nicht, dass wir ständig unter Beschuss standen.

Wie haben Sie mit den Menschen in ihren Einsatzgebieten kommuniziert?

In Ländern, in denen ich die Sprache nicht beherrschte, hatte ich immer einen Dolmetscher. Das hat die Dinge manchmal komplizierter gemacht, denn wenn man zum Beispiel mit dem Anführer einer Rebellengruppe sprechen will, möchte man lieber mit dieser Person allein sein. Aber meine Erfahrungen mit den nationalen Mitarbeitern waren ausgezeichnet. Sie haben immer fantastische Arbeit geleistet. Ohne die nationalen Mitarbeiter könnten die humanitären Organisationen nicht arbeiten. Deshalb hätte es meiner Meinung nach keine Diskussion über den Abzug des einheimischen Personals aus Afghanistan geben dürfen. Sie hätten in unsere Länder geholt werden müssen. Ohne diese Menschen war unsere Arbeit nichts wert. Sie sind das Bindeglied zwischen den internationalen Organisationen, den NROs, den Behörden und der Bevölkerung.

Was waren Ihre Ziele bei der Arbeit in den Kriegsgebieten und was wollten Sie erreichen?

Wir hatten viele Ziele, z. B. Hilfe zu leisten für die Bevölkerung, Krankenhäuser, Kliniken und orthopädische Zentren. So haben wir zum Beispiel Menschen, die durch Landminen ein oder gar beide Gliedmaßen verloren haben, mit Prothesen versorgt. Wir haben auch Menschen geholfen, ihre Angehörigen zu finden, die sie im Krieg verloren hatten. Wir haben Gefangene besucht oder den Streitkräften das humanitäre Völkerrecht beigebracht und vieles mehr.

Werkstatt zur Herstellung von Prothesen. Hier aus Faizabad in Afghanistan (2004)

Es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass alles was man tut letztendlich wenig ist. Als ich in der Wissenschaft gearbeitet habe, habe ich manchmal mit Elektronenmikroskopie gearbeitet. Bei allem was ich später tat stellte ich mir vor ich hätte ein Elektronenmikroskop, das die kleinen Dinge, die wir erreichten, zu etwas Großem machen würde! Weißt du, von außen betrachtet ist das was wir erreichen nichts, aber für die Menschen auf dem Land kann es eine ganze Menge sein. Ihr Lächeln ist für mich wichtig. Wir haben einmal ein Kind zu einer Mutter zurückgebracht, nachdem sie zwei Jahre voneinander getrennt waren. Beide dachten der andere sei umgekommen. Ihre Gesichter zu sehen, als sie wieder vereint waren, war eine große Freude für uns.

Wenn ein Dorf von bewaffneten Kämpfern angegriffen wird, flüchten die Menschen Hals über Kopf. Nicht selten werden dann Familien voneinander getrennt. Den internationalen Organisationen fällt die Aufgabe zu, diese versprengten Familienmitglieder wieder zu vereinen, wie hier in der östlichen Provinz der Demokratischen Republik Kongo. Mutter und Sohn hatten sich zwei Jahre nicht gesehen und jeder dachte, der andere sei ums Leben gekommen (1996).

Wie haben Sie diese Ziele denn erreicht?

Ich habe gelernt, dass man extrem geduldig sein muss, damit Dinge in Gang kommen. Um seine Ziele zu erreichen, muss man die Menschen kennen lernen, man muss mit ihnen reden. Manchmal dauert es sehr lange, bis man die Erlaubnis erhält in einem bestimmten Territorium zu arbeiten. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ich die Geduld aufbringen musste drei Monate zu warten, bis ich mich mit den hohen Behörden des Landes treffen konnte. Von diesem Zeitpunkt an war alles ganz einfach.

Diese Frauen sind mit ihren Kindern aus ihrer Heimat in Süd-Darfur in dieses Flüchtlingscamp geflohen und warten nun auf Lebensmittel und andere Güter, um sich zu versorgen. Sie sitzen seit Stunden in der Sonne. (Nyala, 2005)
Dieser Junge aus dem südlichen Darfur nimmt Gelegenheitsjobs in Nyala an, um sich über Wasser zu halten, weil seine Eltern beide umgekommen sind (2005).
Diesem Mann aus Mauretanien rannen Tränen über die Wangen, weil er zum ersten Mal in seinem Leben keinen einzigen Tropfen Tee mehr besaß, den er den Gästen anbieten konnte. (Hode ich Chargui, 2008)

Lassen Sie uns näher auf Ihre Lehrtätigkeit im Bereich des humanitären Völkerrechts eingehen, die Sie zuvor erwähnt haben. Wie hat das funktioniert?

Weißt du, viele Soldaten haben keine Ahnung vom humanitären Völkerrecht. Ich hätte in die Hauptstädte einiger bekannter Länder gehen sollen! Nein im Ernst, selbst in der Schweizer Armee wird die Grundausbildung ohne jeden Hinweis auf das humanitäre Völkerrecht durchgeführt. Und dabei wurde ein Teil davon bereits 1907 eingeführt. Dies konzentrierte sich auf die kämpfenden Soldaten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es durch Gesetze zum Schutz der Zivilbevölkerung und der politischen Gefangenen ergänzt. Die Wahrheit ist jedoch, zumindest nach meiner Erfahrung, dass – selbst wenn die Menschen das Gesetz verstehen – kaum jemand diese Regeln befolgt. Schau dir nur den Vietnamkrieg an, oder das was jetzt in der Ukraine passiert, und du verstehst was ich meine.

Aber um es mal optimistisch auszudrücken: Manchmal funktioniert es! Bei einem Einsatz, zu dem ich abkommandiert wurde, änderten die kämpfenden Parteien ihr Verhalten völlig, nachdem sie etwas über das humanitäre Recht gelernt hatten, und sie betrachteten ihren Feind mit anderen Augen. Das war sehr interessant zu sehen.

Die größte Veränderung in den letzten 20 Jahren ist, dass die Taten nicht so schnell vergessen werden. Mit anderen Worten, es werden Untersuchungen angestellt, um herauszufinden, was während des Krieges wirklich passiert ist.

Waren Sie jemals versucht aufzugeben?

Nein! Ich habe einen ziemlichen Dickschädel. Wenn ich etwas erreichen will, gehe ich bis zum Ende. Es gibt nichts Schöneres, als den Menschen eine Perspektive zu geben. Wenn eine Familie nichts zu essen hat, der Vater umgekommen ist und man ihnen helfen kann, so dass sie überleben, dann ist das sehr befriedigend. Ich habe Häftlinge besucht, denen aufgrund unserer Besuche versichert wurde, dass sie nicht verschwinden werden. Ich habe immer noch einen Brief aus dieser Zeit, in dem sich Gefangene bei uns bedanken und erklären, dass sie ohne unsere Unterstützung Selbstmord begangen hätten.

Was war Ihr schwierigster Einsatz?

Vielleicht der in Bosnien-Herzegowina, denn wie die Menschen in der Ukraine jetzt, fühlte es sich an als wären sie Cousins. Es war ein Krieg nebenan. Als ich dort hinkam und all diese Gefangenen sah, war ich an den Zweiten Weltkrieg erinnert. Sie waren nur aus politischen Gründen eingesperrt worden. Erst waren die Kämpfenden Brüder und wurden plötzlich zu Feinden.

Für die Menschen dieser zerbombten Stadt in Ex-Jugoslawien wurde es zu einer der wichtigsten Aufgaben jeden Tag frisches Wasser zu holen. (1994)

Welche Eigenschaften sind für die humanitäre Arbeit wichtig?

Geduld und Beharrlichkeit sind meiner Meinung nach wichtig. Ich werde dir ein Beispiel geben: Ich habe in einer Region gearbeitet, in der wir für die Einreise ein Papier der Behörden benötigten. Es war schwierig diese Papiere zu bekommen. Der Kern des Problems war ein Wettbewerb zwischen zwei Ministern. Einer von ihnen bat mich irgendwann, in sein Büro zu kommen. Ich zog also meine Krawatte an und beeilte mich zu ihm zu kommen. Aber man ließ mich warten. Drei Stunden später ging sein Sekretär und ich fragte ihn, ob der Minister wisse, dass ich noch da sei. Er sagte, er nehme es an. Weitere zwei Stunden später verließ der Minister sein Büro und sah mich warten. Er fragte mich: “Was machen Sie hier?” und ich antwortete: “Nun, Sie haben mich für 12 Uhr einbestellt.” “Das habe ich völlig vergessen”, war seine ehrliche Antwort. Ich sagte ihm, dass ich dachte, er wolle ein Experiment durchführen, um zu sehen, ob weiße Menschen aus Europa das sehr heiße Klima fünf Stunden lang aushalten können, ohne zu trinken. Kurze Zeit später wurde ich nicht nur mit Essen und Trinken versorgt, sondern auch mit einem Papier, das uns erlaubte, in der oben genannten Region zu arbeiten. Wir waren die einzigen die jemals ein solches Papier erhalten haben und ich bin sicher, es lag nur daran, dass ich fünf Stunden lang gewartet hatte.

Persönlicher Kontakt, um Vertrauen aufzubauen, ist eine weitere hilfreiche Sache. In Afrika gibt es oft Kontrollpunkte, die von Kindersoldaten bewacht werden. Als Missionsleiter habe ich vor Ort immer mit diesen Kindern gesprochen. Ich habe mir die Zeit genommen ein richtiges Gespräch zu führen. Nach einer Weile kannten sie uns. Weil sie uns kannten und uns vertrauten, konnten wir jeden Kontrollpunkt passieren. Einmal rief mich der Präsident an, um mir mitzuteilen, dass einige seiner Leute von den Rebellen freigelassen worden waren. Sein Problem war, dass er niemanden schicken konnte, um sie zu holen, denn wir waren die Einzigen, die dieses Gebiet betreten durften. Wir nahmen also unsere drei Autos, um die Leute abzuholen. Wir passierten alle Kontrollpunkte ohne Probleme, denn die Kindersoldaten kannten uns aufgrund unserer zahlreichen vorherigen Gespräche.

Besser zu dritt auf dem Fahrrad als alleine zu Fuß. Soldaten der östlichen Provinz der Demokratischen Republik Kongo. (2010)
Freiheitskämpfer aus Süd-Darfur (Sudan, 2005)

Wie verarbeiten Sie das, was sie gesehen und erlebt haben?

Während des Einsatzes hatte ich nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Es kam erst alles zurück, als ich nach 22 Jahren aufhörte mit der humanitären Arbeit. Ich sah Weinende, Tote, Massengräber, Eingeweide von Menschen, die als Seile für Kontrollpunkte verwendet wurden und vieles mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals damit fertig werde.

Welchen Rat geben Sie jungen Menschen, die in Ihre Fußstapfen treten wollen?

Es ist ein Unterschied ob ich 25 oder 55 bin, wenn ich für eine humanitäre Organisation arbeite. In höherem Alter ist man vielleicht eher in der Lage Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann. Außerdem ist es wahrscheinlicher, dass man als Autorität akzeptiert wird.

Was ich jungen Menschen normalerweise sage, ist folgendes: Arbeitet zuerst in eurem eigenen Land, und geht dann in die schwierigen Länder. Und bleibt nicht zu lange an einem Ort. Wenn ihr das tut, besteht die Gefahr, dass ihr nie wieder weggeht. Wechselt also euren Einsatzort.

Wenn man sich aktiv für Hilfsbedürftige einsetzen möchte, sind NGOs dann ein guter Ausgangspunkt?

Das erste was ich immer dazu sage ist, dass es in unseren eigenen Ländern viel zu tun gibt. Bei uns leben Menschen auf der Straße, es gibt Kinder die nicht gut versorgt sind, es gibt viele alte Menschen die Hilfe brauchen, und natürlich haben wir Flüchtlinge. Man muss also nicht nach Afghanistan oder Afrika gehen, um zu helfen.

Sie haben ein Buch mit dem Titel “Beauty in Bitterness” veröffentlicht. Es enthält Bilder, die Sie bei Ihren Einsätzen gemacht haben, um sie Ihrer Familie zu zeigen. Wie ist aus der Sammlung ein Fotobuch geworden?

Eine Dame, die sich in der Basler Kultur engagiert, sah meine Bilder und überzeugte mich, sie der Öffentlichkeit zu zeigen. Es gelang ihr eine Ausstellung zu organisieren. Ich stellte die Bilder zur Verfügung und schrieb kurze Texte über die Geschichten der Menschen auf den Bildern. Nach der Ausstellung beschlossen wir, daraus ein Buch zu machen. Ich fand es interessant zu sehen, dass die Leute die Bilder schön fanden, bis sie den Text darunter lasen und so die Umstände erfuhren. Einige von ihnen fingen an zu weinen, als sie erkannten, welche Geschichte sich hinter dem Foto verbirgt.

Ich habe jedoch mit der Zeit verstanden, dass die Menschen schnell vergessen, weil sie es müssen. Wir können nicht ewig mit einer so harten Wahrheit leben. So war es auch, als ich nach dem Ende eines Einsatzes meine Geschichten erzählte. Freunde luden mich ein, um von meiner Arbeit zu hören, aber nach fünf Minuten ging das Gespräch zu sanfteren Themen über. Ich kann niemandem die Schuld dafür geben, aber das passiert uns allen, die in der humanitären Arbeit tätig sind. Es ist zu schwierig sich das anzuhören, weil es in erster Linie sehr schmerzhaft ist und weil die Menschen vielleicht erkennen, dass sie ein viel besseres Leben führen als Menschen in anderen Teilen der Welt. Sie fühlen sich dem gegenüber hilflos. Wir ziehen es vor zu vergessen, oder wir fragen nicht, weil wir Angst vor den Antworten haben.

Sind Sie heute eher optimistisch oder pessimistisch, was die Lage der Nationen angeht?

Eine Medaille hat immer zwei Seiten. Ich betreibe jetzt ein Bed & Breakfast und treffe viele junge Leute die wunderbare Dinge tun. Wenn ich hingegen morgens in die Zeitung schaue, nichts als schlechte Nachrichten, keine positiven Geschichten!

Ich freue mich, dass es in der Schweiz eine große Welle der Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge gibt. Aber seien wir ehrlich, sie haben glattes blondes Haar und einen hellen Hautton. Ich stelle jedoch fest, dass die Menschen langsam erkennen, dass wir einen Unterschied machen, je nachdem wo ein Flüchtling herkommt. Ich hoffe, dass wir bald auch Flüchtlingen aus anderen Teilen der Welt offener gegenüberstehen.

Sie verwenden Ihre Einnahmen aus dem B&B und sammeln Spenden, um verschiedene Projekte in der ganzen Welt zu unterstützen.  Mögen Sie uns diese Projekte vorstellen?

Ja, natürlich! Ich beschreibe sie am Besten der Reihe nach:

  1. Eine Schule für AIDS-Waisen im Busch von Zentralafrika, die zum Teil mit dem Geld des B&B gebaut wurde, wird weiter von uns unterstützt.
  2. Eine Familie in Afrika mit zwei eigenen Jungen hat sechs Waisenkinder adoptiert. Außerdem beherbergt sie eine Frau mit zwei kleinen Kindern, die ihr Dorf verlassen hat, nachdem ihr Mann ermordet wurde. Trotz eines Gehalts haben sie nicht genug, um diese große Anzahl von Menschen zu unterstützen. Wir versuchen daher, ihnen zu helfen.
  3. Wir finanzieren ein kleines Projekt, das es einem Jugendlichen ermöglicht, eine neue Beinprothese zu bekommen, nachdem auf ihn geschossen worden war. Er lebt in einem Dorf in einer Region, in der Boko Haram aktiv ist. Mit den Spendengeldern werden seine medizinische Behandlung und das Schulgeld bezahlt. Er ist inzwischen Klassenbester, muss aber alle zwei Jahre eine neue Prothese bekommen.
  4. Wir unterstützen die kleine Angel, die in den Slums von Kenia lebt, damit sie medizinisch versorgt werden kann. Sie wurde ausgesetzt als sie nur ein paar Stunden alt war. Anita fand sie und adoptierte sie. Dann zerstörte ein Feuer ihr Zuhause. Zu allem Überfluss wurde bei Angel wenige Monate nach ihrer Geburt eine autistische Störung diagnostiziert. Jetzt beginnt sie zu laufen und zu sprechen. Sie liebt es zu singen.
  5. Wir zahlen darüber hinaus die Studiengebühren für ein brillantes junges Mädchen in Polen (die Tochter eines erstaunlich sachkundigen Führers, den wir in Auschwitz kennengelernt haben) und für ihren Bruder sowie für die Tochter eines Kollegen von mir, der in Mostar (Bosnien) lebt und mit mir während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien zusammengearbeitet hat.

Diese Kosten belaufen sich in Summe auf 46.000 Euro pro Jahr.

Wie können die Menschen Ihre Wohltätigkeitsorganisation unterstützen?

Zunächst einmal möchte ich Folgendes sagen: Es stimmt, dass bei Nichtregierungsorganisationen eine große Lücke klafft, zwischen den Spendensummen und dem, was wirklich bei den Menschen ankommt. Aber ich bestehe darauf, dass wir internationalen Organisationen und NGOs helfen sollten.

In meinem Fall sind die Projekte viel kleiner. Ich habe die Familien ausgewählt, weil ich sie kenne. Sie sind also die Glücklichen. Ich weiß, dass es Millionen von anderen gibt, die nicht unterstützt werden. Man kann also über diesen Ansatz diskutieren, aber was die Spender an unseren Projekten schätzen ist, dass sie über eines sicher sein können: 100 Prozent der Gelder kommt bei den Bedürftigen an.

Wenn sich deine Leser direkt engagieren wollen, hier sind die Details für das Spendenkonto:

Bank Account
School Africa
Jean Nordmann
Hebelstrasse 85
4056 Basel

IBAN: CH81 0840 1000 0543 5183 9
SWIFT: MIGRCHZZ80A
Migros Bank AG
Aeschenvorstadt 72
4051 Basel, Schweiz
Clearing: 8401

Haben Sie noch eine Botschaft an meine Blogleser zum Abschluss?

Ich gebe eigentlich nicht so gerne Ratschläge. Ich hätte nie gedacht, welch großen Einfluss die Geschichte meines Lebens auf andere Menschen hat. Sie finden es erstaunlich, dass ich meine Arbeit als Professor und in der Forschung – die ich geliebt habe – aufgeben konnte, um humanitäre Arbeit in kriegsgebeutelten Ländern zu leisten. Manche Leute kommen also zu mir und bitten mich um Rat, wie sie ihr Leben leben sollen.

Mein Rat ist dieser: Solange du niemanden verletzt, tue was du willst! Und zweitens: Man muss nicht nach Afrika gehen, um etwas zu bewirken. Wir brauchen auch in unserer Gesellschaft Menschen die helfen.

Danke, dass Sie Ihre Geschichte mit uns geteilt haben Jean. Es bedeutet mir sehr viel!

Mein heutiger Interviewpartner war:

Jean Nordmann (geb. 1948) – Studium und Promotion in Neurobiologie in Genf, Schweiz, Postdoktorat in Cambridge und Göttingen. Trat 1992 als Forschungsdirektor am Centre National de la Recherche Scientifique in Frankreich zurück, um für internationale Organisationen und NGOs zu arbeiten. Er lebt heute in Basel. 

Wenn du Jean direkt kontaktieren möchtest,
schreib ihm eine E-Mail an: nordmannjj@yahoo.fr
Er ist auch per Telefon zu erreichen: (+41) 061 321 93 42

Jeans Buch “Beauty in Bitterness” gibt es im Handel leider nicht mehr, er verschickt auf Anfrage das PDF dazu aber gerne gegen eine kleine Gebühr. Die Aufnahmen in diesem Interview stammen alle aus diesem Bildband. Vervielfältigung nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Fotografen. Anfragen bitte direkt an Jean Nordmann.

Zum Schluss noch dies: Ich führe die Interviews im Rahmen der Gesprächsreihe mit großer Leidenschaft und stecke viel Energie hinein, weil es mir wichtig ist, dass Menschen die sich für die Gesellschaft engagieren, eine Stimme bekommen. Wenn du jemanden kennst, der hier unbedingt zu Wort kommen sollte, dann freue ich mich über deinen Hinweis.

Im Gespräch mit Alea Horst – Privileg verpflichtet

Ihre Eltern hatten zur Geburt ein zartes blondes Kind erwartet, so wie bei ihrer älteren Schwester. Zum Vorschein kam allerdings ein Baby das am ganzen Körper dunkel behaart war. Dem Krankenhauspersonal entfuhr der Ausruf: „Schon wieder ein Ausländerkind!“

Sie wächst in einem Dorf im Taunus, in der Nähe von Frankfurt, auf und liebäugelt bereits im Alter von 15 Jahren mit dem Beruf der Fotojournalistin, lässt sich aber von den angeblichen Voraussetzungen, die das Berufsinformationszentrum kommuniziert, abschrecken. Jahre später hilft der Zufall nach: Ihr Ehemann braucht eine Spiegelreflexkamera für seinen Job. Alea leiht sich diese aus und entdeckt die Fotografie als Hobby. Sie lädt ihre Schnappschüsse auf Social Media hoch und bekommt zahlreiche Anfragen. Zunächst meldet sie ein Nebengewerbe an. Dann wird die 3D-Softwareentwicklungsfirma in der sie in der Auftragsabwicklung hauptberuflich arbeitet verkauft und sie wird entlassen. Das ist der Schubs den sie braucht, um hauptberuflich in die Fotografie einzusteigen. Sie beginnt als Familien- und Hochzeitsfotografin. Ein Silvestervorsatz führt sie ins Flüchtlingslager auf Lesbos. Danach ist nichts mehr wie es war. Heute ist Alea Friedensaktivistin mit eigener Hilfsorganisation, Fotografin für Kriegs- und Krisengebiete und setzt sich mit ihren Ausstellungen und Vorträgen für Zukunftsbildung ein.

Deine Eltern mussten sehr schnell kreativ werden, nachdem der  dir ursprünglich zugedachte Name nicht mehr passend schien. Welche Bedeutung hat der Name Alea?

Im Lateinischen heißt Alea „Würfel“, was ich für mich ganz stimmig finde, wegen der verschiedenen Perspektiven die man betrachten kann. Ich habe definitiv viele verschiedene Seiten. Im Arabischen ist Alia außerdem diejenige, die auf dem Berg steht und in die Weite schaut.

Es geht dir bei deiner Fotografie darum ehrliche Bilder zu machen. Wie stellst du das Menschliche in deinen Motiven in den Vordergrund?

Am Anfang habe ich tatsächlich sehr viele andere Fotografen nachgeahmt. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich auf meine eigene Stimme hören muss. Mir ist dabei bewusst geworden: Je mehr ich auf mich selbst höre, je mehr ich auf meine innere Stimme vertraue, umso authentischer werden meine Fotos. Anfänglich dachte ich, dass zum eigenen Business eine kühle Distanziertheit gehört, aber das war ein Holzweg. Mir wurde über meine Arbeit klar: Je offener und authentischer ich selbst bin, je menschlicher ich mit den Personen vor der Kamera umgehe, desto besser werden meine Fotos. Im offenen Umgang mit der Situation finde ich meine Motive, kann die Personen anleiten, oder auch geschehen lassen, was gerade passiert. Meine Offenheit macht es den Menschen leichter sich zu entspannen und sich intimer zu zeigen. Fotografie ist etwas sehr intimes und je mehr Vertrauen ich in mein Gegenüber habe, umso besser funktioniert das Zusammenspiel.

Mir ist wichtig, dass ich die Menschen, die ich fotografiere, in ihrer Situation abhole und keine Aufsicht produziere. Deshalb schauen mir die Menschen in die Augen. Manche Betrachter verstört es, dass die Menschen die ich fotografiere lachen, auch wenn sie sich in einer extremen Lebenssituation befinden. Das kommt daher, dass die Menschen mit mir in der Interaktion sind, wir miteinander lachen.

Kinder bei einem Brunnenbauprojekt in Afghanistan

Du sprichst von einem Machtunverhältnis. Wie meinst du das?

Fotografie ist wie nackt machen. Als Fotografin ermächtige ich mich, denn ich kann denjenigen den ich fotografiere darstellen wie ich es möchte. Die Person die ich fotografiere kann hingegen das Ergebnis nicht beeinflussen. Mein Gegenüber muss mir also vertrauen. Das mache ich mir bewusst und mit dieser Verantwortung gehe ich achtsam um. Ich möchte Menschen nicht als Opfer darzustellen, oder sie klein machen. Es ist mir wichtig, sie so würdevoll wie möglich abzubilden.

Wie baust du den Dialog zu den Menschen auf, die du fotografierst?

Ich beginne immer mit einem Lächeln und gehe offen auf die Menschen zu. Wenn ich einen Übersetzer dabeihabe ist es einfach, dann stellt er mich vor und erklärt meine Arbeit. Aber auch wenn keine Person dabei ist die vermitteln kann, geht Kommunikation, dann eben in  Zeichensprache. Einfache Unterhaltungen mit Händen und Füßen sind immer möglich. Heute hilft natürlich auch ein Übersetzungsprogramm auf dem Mobiltelefon.

Ich versuche immer eine echte Begegnung mit den Menschen zu schaffen, weil mir Hintergrundinformationen über die Menschen, die ich fotografiere, wichtig sind. Wenn ich Bilder ausstelle gibt es zu jedem Foto einen Text, der die Person in ihrer Situation vorstellt. Ich beschreibe den Gesprächsverlauf, halte fest, was ich in dem Moment dachte. Erst dadurch bekommt meine Fotografie einen Sinn, denn mein Anliegen ist es, den Menschen die ich fotografiere, eine Stimme zu geben.

Du hast als Familien- und Hochzeitsfotografin begonnen. Dann hattest du ein Schlüsselerlebnis. Kannst du uns davon erzählen?

Ich hatte die Lage in Syrien verfolgt und meine innere Stimme ermahnte mich permanent etwas zu tun. Aber als Hochzeitfotografin fühlte ich mich relativ unnütz. Also traf ich die Entscheidung mich zu engagieren, es war einer dieser berühmten Silvestervorsätze. Ich wollte mir am Ende meines Lebens nicht vorwerfen müssen, nichts unternommen zu haben.

Vier Tage später flog ich zu meinem ersten Nothilfeeinsatz nach Lesbos, um mich einer sehr kleinen schwedischen Hilfsorganisation anzuschließen. Ich war vollkommen unvorbereitet und hatte keine Ahnung was mich erwartet. Ich war tagsüber dazu eingeteilt Nothilfe am Strand zu leisten. Ich habe Menschen die völlig dehydriert, durchnässt oder kraftlos waren, aus den Flüchtlingsbooten gezogen. Ich habe Kinder gesehen, die auf den Grund des Bootes gerutscht waren. Andere Flüchtende hatten auf ihren Gesichtern gestanden. Die Flüchtlinge waren durchgefroren und von Todesangst getrieben, das war in ihren Augen deutlich zu sehen. Viele waren erleichtert endlich in der EU anzukommen, sind in Tränen ausgebrochen, haben gebetet, manche sind ohnmächtig zusammengebrochen. Ich hatte noch nie zuvor Begegnungen wie diese.

Am Abend habe ich ein paar Stunden geschlafen und in der Nacht hatte ich Dienst im Flüchtlingslager Moria. Dort musste ich Menschen zusammenpferchen. Es gab nur 16 Container und damit niemand draußen bleiben muss und dort erfriert, mussten wir alle dazu anhalten zusammenzurücken. Trotzdem sind Kinder erfroren, weil nicht für alle Platz war. Ich habe noch versucht, Decken und Kleidung zu organisieren und habe mich die ganze Zeit überfordert gefühlt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, welche Aufgaben mir als Anfängerin übertragen würden. Ich habe mich sogar bei der Lagerleitung beschwert, aber sie hat mich ausgelacht und gesagt, dass kein Lager auf der gesamten Balkanroute so gut sei wie dieses. Ich hatte vergleichbares noch nie erlebt.

Dann kam ich wieder nach Hause und hatte das Gefühl, dass unser Wohlstand in keinem Verhältnis steht zu der Ungerechtigkeit die den Flüchtlingen widerfährt. So war mir klar, dass ich längerfristig aktiv sein muss.

Im gleichen Jahr bin ich nach Jordanien gegangen und habe dort die Geschichten in Traumakindergärten einer deutschen Hilfsorganisation dokumentiert. Dann war ich bei der Seenotrettung und von da an ist die Liste der Hilfsorganisationen immer länger geworden. Ich habe mich immer als Helferin angeboten aber dazugesagt, dass ich eine gute Fotografin bin, die die Arbeit vor Ort in Bild und Text dokumentieren kann.

Ich habe die sozialen Projekte alle ehrenamtlich fotografiert und für die Reisen Urlaub genommen. Das Ganze war also unbezahlt, bzw. ich habe meine Ersparnisse angezapft. Auch die Ausstellungen die ich danach konzipiert habe, haben sehr viel Geld gekostet. Dies musste ich irgendwie querfinanzieren. Daher habe ich noch eine Weile lang Familien- und Hochzeitsfotografie gemacht. Nachdem ich aber Kinderarbeit, Hunger und alles andere mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, war ich nicht mehr in der Lage Hochzeitstorten zu fotografieren. Kunden verdienen, dass die Fotografin ihre Wünsche und Träume wertschätzt. Das konnte ich emotional nicht mehr. Für mich war eine Grenze überschritten.

Du hast damit deine Einkommensquelle verloren. Wie hast du dich an diese veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst?

Grundsätzlich gilt, dass ich für vieles, das ich mir früher geleistet habe, heute kein Geld mehr ausgebe. Das liegt aber auch daran, dass sich meine innere Einstellung zu vielen Dingen geändert hat. Ich brauche sie heute nicht mehr. Ich war beispielsweise vor 5 Jahren zum letzten Mal im Urlaub.

Der andere Aspekt ist, dass es auch Hilfsorganisationen gibt, die Bilder abkaufen können. Inzwischen arbeite ich für einige von ihnen und habe dadurch geringe Einnahmen, die zumindest die Reisekosten decken. Die Ausstellungen versuche ich durch Fördergelder zu finanzieren. Ich bin da gerade in einer Transformationsphase.

Wie meinst du das genau?

Ich habe in den letzten Jahren eigene private Nothilfe geleistet und inzwischen einen eigenen Verein, Alea e.V. gegründet. Ziel ist es mit diesem Verein so viel Geld zu erwirtschaften, dass ich nicht nur die Sach- und Nahrungsmittelhilfen und meine Reisen in die Krisengebiete finanzieren kann, sondern meine Anstellung innerhalb dieses Vereins als Spendenkoordinatorin möglich ist. Das soll natürlich mit meiner freiberuflichen Tätigkeit als Fotografin kombinierbar sein, damit ich weiterhin im Auftrag anderer Hilfsorganisationen tätig sein kann.

Wie verarbeitest du denn, was du bei deiner Arbeit siehst und erlebst?

Ich werde darin immer besser, aber das war ein Prozess. Wenn ich von Projekten zurückkomme geht es mir schon ein paar Tage schlecht. Ich ziehe mich dann zurück und verbringen viel Zeit im Garten, weil ich festgestellt habe, dass es mich erdet, die Hände in den Boden zu stecken. Mir hilft dieser Bezug zur Natur auch, um mich abzugrenzen, mir bewusst zu machen, dass ich nur für die Konsequenzen meines eigenen Handelns verantwortlich bin. Ich kann Menschen nicht dazu zwingen, sich mit den Zuständen in Syrien oder andernorts zu beschäftigen. Denn was ich klar benennen kann ist, dass das was ich vor Ort sehe, die Bilder die ich mache, nicht das sind was mich belastet. Was mich wirklich belastet ist, dass das Interesse an meiner Arbeit in Deutschland sehr gering ist. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen desinteressiert sind daran, wie es Menschen geht, die weit weg leben. Sie fragen sich dann, was deren Schicksal mit ihnen zu tun hat. Mir tut das unglaublich weh, aber ich kann nicht für das Tun anderer Menschen verantwortlich sein.

Ich kann meine Fotos zeigen, um klar zu machen, wo Veränderung Not tut, aber ob Menschen sich davon beeinflussen lassen, das liegt nicht in meiner Hand. Hier habe ich dazugelernt, denn am Anfang verspürte ich einen unglaublichen Druck, dass meine Bilder etwas verändern müssen, das Handeln anderer Menschen beeinflussen müssen und das hat mich sehr belastet. Aber das ist nicht meine Verantwortung und das muss ich mir immer wieder bewusst machen.

Was mich auch hilft ist, dass ich während meiner Einsätze viele inspirierende Menschen treffe. Da sind die Menschen die ich fotografiere, die unglaubliches durchgemacht haben und trotzdem jeden Morgen aufstehen und mich mit einem freundlichen Lächeln begrüßen oder zum Tee einladen. Wenn diese Menschen nicht aufgeben, habe ich kein Recht zu klagen. Darüber hinaus gibt es tolle Menschen in Hilfsorganisationen, die – egal wie aussichtlos die Situation oder wie verrückt die Aufgabe ist – trotzdem die Ärmel hochkrempeln und die Herausforderung annehmen. In Begegnung zu gehen mit diesen Menschen gibt mir sehr viel Kraft.

Welche Haltung hast du zur Flüchtlingspolitik der Regierung?

Spätestens seit dem letzten September als die Bundesregierung menschenverachtend reagiert hat, als in Kabul beim Truppenabzug Menschen aus dem Flugzeug gefallen sind und Eltern ihre Kinder über den Zaun gehoben haben, empfinde ich eine große Frustration oder gar blankes Entsetzen.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich das für mich noch zugespitzt. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, ich finde die Hilfsbereitschaft den Ukrainern gegenüber großartig. Ich stelle nur fest, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

Ich wünsche mir eine Sensibilität allen Geflüchteten gegenüber die an unseren europäischen Außengrenzen unwürdig versterben.

Dieser tief verankerte Alltagsrassismus macht mich wütend und traurig zugleich. Eigentlich müssten alle Alarmglocken aufleuchten, wenn gesagt wird, dass es doch nur zu natürlich sei, dass man den europäischen Nachbarn hilft. Gerade mit unserer Geschichte wäre mehr Sensibilität allen Nationen gegenüber erforderlich. Man kann das ja durchaus fühlen, aber dann würde ich mir wünschen, dass Menschen dieses Empfinden kritisch hinterfragen. Da stimmt doch etwas nicht, wenn Hilfe für Europäer selbstverständlich ist und für Muslime nicht. Aber das Hinterfragen bleibt aus und die selektive Hilfe wird verteidigt. Das zeigt mir, dass wir noch weit weg sind von einer gesunden Gesellschaft.

Hat das vielleicht auch etwas mit unserer inneren Haltung den Geflüchteten – beispielsweise aus Afrika – gegenüber zu tun?

Das ist durchaus möglich. Ich denke, dass wir ein völlig falsches Bild von Menschen haben, die in Flüchtlingslagern, in Slums oder im Krieg leben. Da sind Narrative in unserem Kopf, die dringend aufgebrochen werden müssen. Diese sind aber auch entstanden, weil sie mit Filmen oder Fotos gefüttert wurden. So ist beispielsweise über die Afrikaner das Bild entstanden, dass sie nur zu Hause sitzen, die Hand aufhalten und auf Spendengelder warten.

Ich war in vielen Ländern als Fotografin unterwegs und konnte beobachten, dass die Menschen sehr hart arbeiten. Notsituationen haben nichts mit mangelndem Fleiß oder mit fehlender Kreativität zu tun. Gerade bin ich aus den Capverden zurückgekehrt. Die Menschen dort haben teilweise drei Jobs gleichzeitig. Während die Friseurin auf Kunden wartet strickt sie. Die Fischverkäuferin flicht Frauen die Haare. Am Willen oder der Kreativität mangelt es nicht, sondern an der Perspektivlosigkeit. Wir können das nur schwer nachvollziehen, weil wir dieses Problem bei uns nicht haben.

Ist es eine Zielstellung deiner Arbeit als Friedensaktivistin diese Narrative aufzubrechen?

Ich versuche ein Brückenbauer zu sein. Ich möchte Menschen in schwierigsten Situationen so darstellen, dass andere Menschen aus Wohlstandsgesellschaften sich in sie hineinversetzen können. Das gilt für meine Bilder und meine Texte. Ich versuche es, durch einen direkten Blick und eine klare Sprache, den Menschen so einfach wie möglich zu machen, zu verstehen was passiert.

Also ist die Fotografie nicht deine einzige Art dich auszudrücken?

Meine Fotografie ist meine größte Stärke. Früher waren meine Bilder der Zweck meiner Arbeit. Heute sind sie ein Mittel. Ich habe eine Botschaft, die ich transportieren möchte, dafür brauche ich auch Text. Meine Texte sind dabei mehr als reine Information. Sie geben den Menschen eine Stimme. Oft sind es die Erzählungen der Menschen, die ich fotografiert habe. Ich möchte zeigen, was die Situation in der sie sich befinden, mit ihnen macht. Zudem schreibe ich auch meine eigenen Gedanken und Eindrücke auf. Ich bin dabei die Brücke, weil ich mich selbst sehr stark öffne, mich verletzlich zeige. Durch mein Öffnen kann sich auch der Betrachter öffnen. Das wirkt wie eine Art Erlaubnis, denn es wird ja gesellschaftlich gerade eher uncooler sich emotional zu zeigen.

Das ist vielleicht, was meine Fotografie gegenüber anderen sehr talentierten Fotografen oder Journalisten einzigartig macht.

Der Schuster von Kabul

Erzähl uns noch ein bisschen mehr von deinem Verein: Welches Ziel verfolgst du mit dieser Arbeit?

Der Verein heißt Alea e.V. , die Gemeinnützigkeit ist seit dem letzten Jahr anerkannt. Spenden sind also steuerlich absetzbar. Die Arbeit des Vereins hat drei Säulen: Die erste ist die Nothilfe, wie etwa die Bereitstellung von Nahrungsmitteln oder die medizinische Versorgung für Menschen mit Behinderungen oder Kriegsverletzungen. Die Nothilfe bezieht sich immer auf kleine lokale Projekte die ich persönlich von meiner Arbeit vor Ort kenne. Es ist dadurch gesichert, dass das Geld auch wirklich ankommt. Die zweite Säule sind Aufklärungsprojekte z.B. in Form von Ausstellungen oder Vorträgen in Schulen. In dem Rahmen versorge ich die lokalen Hilfsorganisationen auch mit meinem Bildmaterial. Die dritte Säule ist die Zukunftsbildung. Hilfsprojekte und Entwicklungszusammenarbeit sind zwar wichtig, aber sie sind langfristig keine Lösung. Ich möchte hier Menschen mit guten Zukunftsvisionen Raum einräumen, diese zu präsentieren, z.B. im Rahmen meiner Ausstellungen. Das sind dann z. B. Gemeinwohlökonomen oder Menschen die die gesellschaftliche Teilhabe fördern. Mein Ziel ist ja, das was ich anprangere zu beseitigen. Ich möchte mich im Prinzip selbst überflüssig machen.

Welche Eigenschaften helfen dir, deinem Beruf nachzugehen?

Ich habe überhaupt keine Berührungsangst und Urvertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Meine interkulturelle Kompetenz ist wichtig im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Ich habe eine gewisse Sensibilität, die ich bei anderen manchmal vermisse. Diese habe ich mir durch Zuhören und Beobachten angeeignet. Das Feingefühl nicht mit der Tür ins Haus zu fallen trägt zur Qualität meiner Bilder und meiner Texte bei und die Menschen können sich mir deshalb anvertrauen.

Du hast ein Buch über das Flüchtlingslager in Moria, mit Bildern und Texten, veröffentlicht. Es heißt „Manchmal male ich ein Haus für uns“. Wie ist es zu dieser Buchidee gekommen? Und wie hat sich die Umsetzung gestaltet?

Ich wollte schon länger ein Buchprojekt verwirklichen, dachte aber, dass es noch ein paar Jahre dauert, bis es soweit ist. Dann bin ich vom Klett Kinderbuchverlag angesprochen worden, die kritische Kinderbücher mit schwierigen Themen umsetzen. Sie wollten ein Buch über das Flüchtlingsthema machen und kannten meine Arbeit.

Ich bin erst einmal erschrocken, weil das Thema schon für Erwachsene sehr hart ist und ich mich gefragt habe, wie ich das kindgerecht umsetzen kann. Erschwerend kam hinzu, dass man in den Flüchtlingslagern zu der Zeit schon nicht mehr fotografieren durfte. Es herrscht ein absolutes Verbot. Ich war bereits einmal festgenommen worden, weil ich neben dem Lager Aufnahmen gemacht hatte. Es wird strukturell alles getan, damit keine Berichterstattung mehr nach außen dringt, weil der gesellschaftliche Druck so hoch ist, die Lager besser auszustatten. Weil das aber nicht umgesetzt wird, darf es eben keine Bilder mehr geben. Die offizielle Begründung ist natürlich, dass die Mensch geschützt werden sollen, aber de facto ist die Devise: „Was nicht im Bild festgehalten ist, existiert als Zustand nicht.“ Das schlimme ist, dass die Kriminalisierung von Helfern seit Jahren völlig normal ist. Ich bin beileibe nicht die einzige Aktivistin oder Fotografin, die festgenommen wurde. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette. Irgendwann ist man eben dran. Der Grund für die Anzeige lautet dann übrigens „Spionage“, aber ich wusste ja, dass das bei mir nicht haltbar ist. Also bin ich ruhig geblieben und nach ein paar Stunden mussten sie mich wieder gehen lassen.

Die Vorgehensweise hat allerdings Methode. Das Gleiche passiert auch den Seenotrettern. Sie werden angeklagt, dann gibt es zähe Verfahren, die Geld und Zeit kosten und die Menschen einschüchtern, auch wenn sie am Ende vom Vorwurf freigesprochen werden. Das Ziel ist die Zermürbung.

Ich habe den Buchauftrag schließlich angenommen ohne zu wissen, ob ich die Geschichte auf Lesbos wirklich produzieren kann. Ich habe dann mit Kindern gesprochen, um eine Idee zu bekommen. Aber diese Interviews waren hart und beinhalteten viel Schmerz und Verzweiflung. Kinder haben normalerweise eine sehr hohe Resilienz. Egal in welchen Umständen ich Kinder bisher gesprochen hatte, haben sie immer etwas positives zu erzählen gewusst. In Moria war das anders. Diese Kinder haben keinerlei Perspektive und sind der Situation komplett ausgeliefert. So habe ich entschieden, dass das Buch ihre Geschichten erzählen wird, ungeschminkt und aus ihrer eigenen Perspektive heraus. Die Porträts dazu habe ich heimlich aufgenommen. Das war ein Risiko, aber diese Frage stelle ich mir bei jedem Einsatz am Anfang: Ist die Botschaft die ich mit meiner Arbeit erzählen kann den Einsatz wert? In dem Fall war die Antwort ein klares ja. Die Kinder haben auch bereitwillig mitgemacht und ich hatte das Einverständnis der Eltern, weil sie natürlich auf Veränderung hoffen. Diese Menschen im Lager sind meine Superhelden, weil sie das was ihnen dort täglich widerfährt aushalten. Ich könnte das für keine drei Tage, sie hingegen sind schon seit Jahren dort. Ich möchte also auch nichts mehr über Opfer hören, denen gegenüber wir großzügig sind. Das offenbart ein ganz schräges Menschenbild.

Weißt du wie es den Kindern inzwischen geht?

Ein Teil von ihnen ist tatsächlich raus aus dem Lager in anderen Unterkünften oder anderen Ländern, aber manche sind immer noch dort. Ein Kind ist mit seinen Eltern in Athen. Sie haben einen positiven Asylbescheid bekommen, aber erhalten keinerlei Unterstützung mehr. Für sie hat sich die Situation also dramatisch verschlechtert, wenn das überhaupt noch möglich ist. Kleine Hilfsorganisationen kümmern sich, so dass sie nicht obdachlos sind. Ihr Bedarf an Medikamenten wird über Spenden gedeckt, aber es ist ein täglicher Überlebenskampf. Eines ist klar: Hilfsorganisationen in Griechenland können das alleine nicht auffangen.

Du brauchst sehr viel Hoffnung, um deinen Job zu machen. Was lässt dich immer noch jeden Morgen aufstehen und die Ärmel hochkrempeln?

Egal wo ich hinkomme treffe ich auf Menschen, die den gleichen Wunsch nach Gemeinwohl haben und nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Ich spüre eine universelle Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander und nach einem Umgang mit der Natur, der nicht ausbeuterisch ist. Das macht mir Hoffnung.

Wir können soziale Gerechtigkeit, Klimawandel und andere große Fragen nicht mehr als einzelne Themen betrachten. Es ist alles miteinander vernetzt. Mein Konsumverhalten hier beeinflusst auch Menschen in Bangladesch. Wir müssen aufhören, das alles voneinander losgelöst zu sehen.

Am Ende ist es für mich eine Frage der Abgrenzung. Ich muss in den Spiegel schauen können und mit mir zufrieden sein. Was andere machen, ist ihre Angelegenheit. Ich empfinde das was ich tue als Berufung und bin in Resonanz mit meiner Seele die sagt: „Alea, du bist genau richtig hier!“

Hast du Tipps für Menschen, die eine Berufung für eine persönliche Veränderung in sich fühlen, aber den Mut noch nicht haben, diese neue Tür aufzustoßen?

Ich habe da einen Vorschlag: Einen inneren Dialog zu führen mit dem jüngeren und dem älteren Ich, über die Frage, wie man das weitere Leben gestalten sollte. Das braucht ein bisschen Vorstellungskraft, aber bei mir kamen da sehr klare Antworten. Mein älteres Ich war überzeugt davon, dass ich – wenn ich so weitermache – meinen Enkeln niemals würde ohne Schuldgefühle in die Augen sehen können. Und mein jüngeres Ich ist sehr idealistisch. In den Antworten kann der Schlüssel liegen, sofern man bereit ist, ganz ehrlich mit sich selbst zu sein.

Was ist dir noch wichtig zu sagen, worüber wir noch nicht gesprochen haben?

Wir werden so sozialisiert, dass wir uns andere Lebensumstände nicht vorstellen und uns in die Situation anderer nicht mehr hineinversetzen können. Das gilt beispielsweise für die Perspektivlosigkeit die viele Flüchtlinge empfinden, aber auch für Hunger. Wir haben ein soziales Netz, niemand muss hier durchs Raster fallen. Man kann sich dagegen entscheiden, aber es ist eine Wahl. In vielen Ländern gibt es dieses Netz nicht und die Menschen haben keine Wahl. Wir gehören also zu einer Gruppe von Privilegierten. Wir sollten unsere Privilegien nicht einfordern oder uns darauf ausruhen – oder wie so gerne in der Flüchtlingspolitik geschieht – mit dem Finger auf andere zeigen. Ich finde dieses Privileg verpflichtet, dass wir uns für eine bessere Welt einsetzen.

Wir sollten gesellschaftlich darüber nachdenken was Privileg wirklich bedeutet. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass über die Auseinandersetzung damit, was ich im Leben  wirklich brauche und die aktive Veränderung des eigenen Verhaltens, die Zufriedenheit im Leben wächst. Nach dieser Form der Zufriedenheit zu suchen ist ein lohnendes Ziel.

Alea ich danke dir für dieses Interview!

Sehr gerne.

Alea mit gehörlosen Kindern in Namibia

Wer sich für Aleas Verein interessiert, dem empfehle ich ihren Internetauftritt unter: https://alea-ev.org

Sie ist auf Geldspenden angewiesen, sucht aber auch Helfer z.B. für die Veranstaltungsplanung zum Beispiel für Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und anderes.

Wer sich einbringen möchte kann direkt mit ihr Kontakt aufnehmen unter: alea@aleahorst.de

Unter diesem Link könnt ihr Aleas Kinderbuch „Manchmal male ich ein Haus für uns“ bestellen.

Kind im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos in Griechenland. Das Foto bildet das Cover zu Aleas Buch “Manchmal male ich ein Haus für uns”

 

 

Im Gespräch mit Dr. Stefan Gumbrich über Leben im Einklang mit der Natur

Mein Gesprächsgast wählt sich gut gelaunt in Zoom ein, denn gerade wurden auf seinen Wiesen zwei Ziegen geboren. Stefan Gumbrich hat in der Südpfalz mit seiner Partnerin Betti und einem befreundeten Paar einen Selbstversorgerhof aufgebaut und hat sich damit einem Lebenstraum erfüllt. Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg.

Er wurde an der Fachhochschule in Bingen zum Ingenieurinformatiker ausgebildet, schloss in Paderborn ein Informatikstudium an und stieg bei IBM ein, wo er in den ersten Jahren berufsbegleitend seine Promotion absolvierte. Er war für den IT-Konzern 2o Jahre lang in der Unternehmensberatung als Führungskraft tätig, bevor er im Spätsommer 2013 ausschied. Wie es zu diesem Einschnitt kam, welchen Weg er danach nahm, was er dabei über sich und das Leben gelernt hat und warum er jetzt auf der Suche nach Menschen ist, die sich in sein Selbstversorgerprojekt einbringen  – darüber wollen wir reden. 

Stefan nimm uns doch mal mit in die Erfahrung die du gerade gemacht hast. Du sagst eure Ziegen haben Babys geboren?

Ja, insgesamt kamen in den letzten Tagen 6 Schaflämmer und 3 Zicklein zur Welt. Die beiden Ziegenmütter haben zum ersten Mal geboren, das ist immer ein bisschen aufregend: achtgeben, ob es Komplikationen bei der Geburt gibt; aufpassen, dass die Nachgeburt vollständig rauskommt; helfen wo nötig, aber auch nicht zu viel stören, da es sonst sein kann,  dass sie die Babys nicht annehmen. Ich schaue auch, ob sie Milch haben und die Kleinen trinken. Es hat diesmal  alles sehr gut funktioniert.

Ich habe die Ziegenmutter mit ihren zwei Babys, die vor zwei Stunden geboren wurden, gerade noch separiert. Sie sind jetzt in einen Raum im Stall, in dem sie sich ungestört aneinander gewöhnen können und sich nicht verlieren.

Dabei habe ich festgestellt, dass die Mutter einen zu dicken Euter hat, an dem die Babys bisher noch nicht richtig saugen können. Ich hoffe jetzt dass sie es schaffen. Ich gehe nachher nochmal kontrollieren. Wenn es nicht klappt ist die Alternative Sie mit der Flasche zu füttern. Dann muss ich alle zwei Stunden raus – auch nachts. Ich hoffe also, dass es nicht soweit kommt!

Die kleinen Ziegen sehen schon sehr erwachsen aus. Woher wusstest du denn, dass es heute soweit ist?

Sofort nach der Geburt versuchen die kleinen Ziegen aufzustehen und nach zwei Stunden können sie bereits gut laufen.
Ich beobachte die Muttertiere genau und so wusste ich, dass die Geburt heute passiert. Das gibt mir ein ganz warmes Gefühl. Das ist das Schöne am Selbstversorgerprojekt: Du bekommst den gesamten Kreislauf mit von der Schwangerschaft, über die Geburt, das Leben bis hin zum Tod.

Wenn das Neugeborene ein Böckchen ist, weißt du, dass du es leider schon in einem Jahr loslassen musst. Ich versuche es dann an einen anderen Hof zur Zucht abzugeben. Wenn das aber nicht klappt, muss ich es schlachten, denn für eine separate Bockherde ist unsere Herde zu klein und wenn ich die Böcke bei den Muttertieren lasse decken die Böcke ihre eigene Mutter und ihre Schwestern, was für die Zucht schlecht ist.

Wie geht es dir damit, wenn du eine Ziege die du zur Welt gebracht hast schlachten musst?

Das fällt mir sehr schwer, weil ich diese Tiere jeden Tag sehe, pflege, streichele, liebgewonnen habe. Ich mache das auch nur zu einem Zeitpunkt den ich als passend empfinde; an einem Tag an dem ich ausgeglichen und ruhig bin. Die Energie muss passen. Für mich ist das eine Handlung, bei der ich sehr behutsam mit dem Tier umgehe. Trotzdem töte ich es, daran werde ich mich nie gewöhnen. Aber die Alternative würde es nur mir leichter machen. Wenn ich das Tier in einen Anhänger verlade und zu jemandem hinbringe der es tötet, ist das für das Tier viel unangenehmer, weil es beim Transport Stress empfindet, an einen Ort gebracht wird den es nicht kennt. Daher töte ich die Ziege selbst, aus Respekt vor diesem Tier, auch wenn ich mich gerne davor drücken würde.

Bis zu diesem Punkt in deinem Leben war es ein weiter Weg. Nimm uns doch mal ein Stück mit in deine Vergangenheit.

Ich hatte eine schöne Kindheit, bin in behüteten Verhältnissen in einem kleinen Ort in Rheinhessen aufgewachsen. Ich bin sehr dankbar dafür, wie ich aufgewachsen bin, denn ich hatte alle Möglichkeiten. Das was ich heute tue ist ein Ergebnis des Lebenswegs den ich gehen konnte. Ich bin hervorragend ausgebildet, habe viel Geld verdienst, war erfolgreich in Unternehmensberatung und Management und haben dann festgestellt, dass das nicht alles ist. Die Wahl zu haben so weiterzumachen und Wohlstand anzuhäufen, oder den Lebensweg zu wählen, den ich jetzt gehe, empfinde ich als ein unglaubliches Privileg.

Was war denn der Auslöser für den Wandel?

Meine Triebfeder im Leben ist, dass das was ich tue spannend sein muss und mich fordert.

Ich hatte in der Unternehmensberatung bei IBM irgendwann das Gefühl, dass mich das nicht mehr weiterbringt. Ich hatte so viel Erfahrung in verschiedenen Projekten gesammelt, unterschiedlichste Methoden kennengelernt, und mich dabei auch immer wieder auf die unterschiedlichsten Menschen eingelassen. Neue Projekte konnten mich einfach nicht mehr herausfordern. Es hat sich auch kein WOW!-Gefühl mehr eingestellt, wenn ein Projekt erfolgreich, oder ein neuer Vertrag abgeschlossen war. Damit war für mich der Reiz weg und es musste etwas Neues kommen.

Der logische Schritt wäre gewesen das Unternehmen zu wechseln, eine Stufe höher zu steigen und mehr Geld zu verdienen – diverse Angebote dazu gab es. Mir war an dem Punkt klar, dass dieser Schritt nicht der richtige Weg wäre. Ich wollte ein anderes Gleichgewicht in mein Leben bringen. Da ich eher zu den Extremen als zu den kleinen Schritten neige, bin ich nach Afrika ausgewandert.

Dazu sollte ich an dieser Stelle vielleicht erklären, dass wir 25 Jahre ein Paar waren. In diesen Jahren haben wir mehrere Transafrikareisen zusammen unternommen und sind dabei unter anderem bei einem Projekt in Togo, Westafrika vorbeigekommen, das dich sehr fasziniert hat. Warum?

Ich bin als Naturwissenschaftler bzw. Informatiker in einer sehr faktenorientierten und wissensorientierten Welt groß geworden. Auf den Reisen durch Afrika ist mir bewusst geworden, dass es andere Aspekte gibt, die mir bis dahin fremd waren. Mich haben vor allem die vielfältigen Begegnungen mit Menschen fasziniert, die ein Urvertrauen in geistige Kräfte haben.

Insbesondere bei der Gruppe die wir in Togo kennenlernen durften, habe ich festgestellt, dass da etwas ist, was für mich wichtig ist und mich weiterbringen kann. Das war für mich der Moment als ich mich entschied, bewusst nach dem anderen Teil der Schöpfung zu schauen, den ich bisher wenig wahrgenommen hatte.

Es war aber nicht nur die spirituelle Entwicklung die mich angezogen hat, sondern auch die private Entwicklungshilfe. Die Gruppe hat beispielsweise ein Waisenhaus betrieben und sich um die Gesundheit der Lokalbevölkerung gekümmert. Das gepaart mit dem Aspekt der Selbstversorgung hat mich angesprochen. Im Endeffekt lief alles auf den nächsten Schritt der Persönlichkeitsentwicklung hinaus. Es gehört zu meiner Wesensart, dass ich nicht nach hinten sondern meist nach vorne schaue. Daher habe ich mich in Togo darauf konzentriert eine neue Welt zu entdecken und damit für mich persönlich einen großen Schritt vorwärts zu tun.

Beschreib doch mal, wie wir uns dieses Projekt vorstellen können

Innerhalb des Projektes haben wir sehr einfach gelebt. Ich hatte eine kleine Hütte mit einem Betonpodest als Bett für mich. Wir haben fast alles in der Gemeinschaft von über 70 Leuten gemacht. Ich habe den Umgang mit den 50 Waisenkindern geliebt. Zu sehen, dass ich ihnen etwas geben kann, an ihrer persönlichen Weiterentwicklung teilhaben kann, das war sehr schön. Das ging über den Schulunterricht hinaus, denn wir haben z.B. auch handwerklich gemeinsam gearbeitet. Ich war auch fasziniert davon, von den Kindern zu lernen. Einiges können sie besser als wir Erwachsene, vor allem in Bezug auf den Umgang mit Tieren.

Was mich auch erfüllt hat war die Arbeit mit der Buschambulanz. Wir sind mit Ochsenkarren in die Dörfer gefahren und haben eine mobile Krankenstation aufgebaut. Für mich war immer wieder faszinierend zu sehen, dass wir mit einfachen Medikamenten (konventionell und pflanzlich) Leben retten konnten. Würmer und Amöbenruhr waren sehr häufig, auch bei kleinen Kindern. Als wir kamen, waren sie apathisch, eine Woche später waren sie schon wieder aktiv. Das waren sehr einschneidende Erlebnisse für mich. Die Wirkung meines Tuns war dort eine ganz andere. Hier konnte ich helfen Leben zu retten, in meinem alten Job habe ich minimale Änderungen in Unternehmen hervorgerufen, die dazu führten, dass Umsatz und Profit gesteigert wurden.

„Die Energie die ich hier eingesetzt habe, hat zu einem größeren Nutzen geführt, ich hatte einen größeren Hebel. In Deutschland hat das gleiche Gefühl bestimmt jede Krankenschwester die auf der Intensivstation Corona-Patienten betreut. Man muss also nicht zwingen nach Afrika fahren, um die gleiche Erfahrung zu machen.“

Ich habe mich in der Gruppe auf der geistigen und auf der materiellen Ebene mit anderen Dingen beschäftigt als zu Hause und gesehen, dass das für mich funktioniert. Ich habe darüber auch eine gewisse Leichtigkeit entwickelt. Ich hatte kein Einkommen und keine Krankenversicherung. Mir hat das aber ein Gefühl von Freiheit gegeben, weil ich festgestellt habe, dass ich nichts tun muss, wovon ich nicht überzeugt bin, nur um wirtschaftliche Randbedingungen zu erfüllen. Mir hat das das Bewusstsein gebracht, dass ich immer zurechtkommen werde.

Aber du hast die Gruppe nach ein paar Jahren verlassen. Wie kam es dazu?

Ich bin mit der Gruppe nach zwei Jahren in Togo weiter nach Bulgarien umgezogen, wo wir als Selbstversorger gelebt haben. Wir waren 28 Erwachsene und da gibt es natürlich Prozesse und Gruppendynamiken und ich hatte nach vier Jahren das Gefühl, dass ich wieder etwas Eigenes machen muss, dass es mir zu eng wird. Aber ich habe gespürt: Diese Art zu leben, als Selbstversorger, ist für mich genau das Richtige, naturnahes Leben und eingeschränkter Konsum.

Die Rückkehr nach Deutschland war sicher nicht einfach. Wie hast du das erlebt?

Die Erfahrung in Togo und Bulgarien hat mir Freiheit im persönlichen Handeln gebracht, denn als ich nach Deutschland zurückkam, war zwar klar, dass ich wieder Geld verdienen muss, aber ich wollte zunächst nicht ins Büro, denn ich hatte ja vier Jahre am Stück nur draußen verbracht. Also habe ich erst im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet. In diesem Beruf konnte ich draußen sein und so viel verdienen wie ich brauchte, um leben zu können. Ich habe mich natürlich gefragt, was ich mache, wenn ich als Gartenbauer auf einen früheren Kunden treffe, aber dann habe ich mir gesagt, dass das bestimmt ein interessantes Gespräch wird und damit war es dann auch gut. Natürlich hat sich auch das Ego gemeldet und gefragt, ob ich wirklich als promovierter Naturwissenschaftler bei Leuten vor der Tür fegen kann. Die Antwort ist: „Ja, kann ich!“ Ich habe mit den Kunden immer wieder Gespräche geführt und Impulse gesetzt, welche kleinen Veränderungen möglich sind, um den Garten ökologisch sinnvoller zu gestalten. Insofern konnte ich auch hier etwas bewegen. Im Prinzip habe ich dabei nichts anderes gemacht als in der Beratung. Ich habe Einfluss genommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das in jedem Beruf möglich ist.

„Veränderung ist eine Frage der inneren Haltung. Ich muss mich frei machen von Standesdenken, von Zwängen und von dem was andere über mich denken mögen.“

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Aber es ist auch richtig, dass du nicht mit der Vorstellung nach Deutschland zurückgekehrt bist, ewig als Garten- und Landschaftsbauer zu arbeiten. Du wollest Selbstversorger werden. Wie hast du dieses Ziel weiterverfolgt?

Das stimmt, mein Ziel war in einer kleinen Gemeinschaft einen Selbstversorgerhof aufzubauen. Boris und Pialo, die ebenfalls Teil des Teams in Togo waren, haben damals entschieden mit mir nach Deutschland zu gehen und das Experiment Selbstversorgerhof mit aufzubauen.

So haben wir im April 2018 eine ehemalige Mühle in der Südpfalz nahe der französischen Grenze gekauft. Anfangs habe ich immer noch parallel im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet. Irgendwann war ich soweit, dass ich die körperliche Arbeit gerne wieder mit einem Job kombinieren wollte, in dem ich meine anderen Fähigkeiten und Soft Skills einsetzen kann.

Ich wünschte mir ein wissenschaftsnahes Betätigungsfeld, bei dem es nicht darum geht, den Gewinn und Umsatz zu maximieren, sondern ein Themenfeld das einen Sinn für die Gesellschaft hat. So bin ich schließlich – nach über 6 Jahren Pause – wieder zur IT zurückgekehrt. In dieser Zeit hat sich natürlich technisch sehr viel getan, aber ich war schon bei IBM nicht der technische Experte, sondern eher der Stratege und habe gelernt mich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Ich muss bei der Arbeit die ich jetzt tue technisch nicht im Detail sein, sondern in erster Linie die Zusammenhänge und Konzepte verstehen. Meine Aufgabe ist das Innovationsmanagement. Das geht von der Akquise von Partnern und Forschungsgeldern über Projektdefinition bis hin zur strategischen Planung der Unternehmensziele. Zunächst einmal kein so großer Unterschied zum Bereich Beratung und Management, wie zuvor.

Aber heute arbeite ich für HeiGIT, ein gemeinnütziges Unternehmen, ein Start-Up, das von der Klaus-Tschira-Stiftung finanziert wird und an die Universität Heidelberg angegliedert ist. Hier werden Geoinformatiklösungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen generiert, die für humanitäre Organisationen von Nutzen sind, aber auch für Organisationen, die dem Klimawandel entgegenwirken. Um es einmal praktisch zu beschreiben: Wenn irgendwo eine humanitäre Katastrophe passiert, beispielsweise ein Erdbeben, dann unterstützen unsere Lösungen Hilfsorganisationen dabei, den Weg zu den Menschen zu finden, die Hilfe brauchen. Es geht aber auch um die Vorausplanung, also z.B. um die Frage wie viele Menschen in einem afrikanischen Land innerhalb von 60 Minuten eine Krankenstation erreichen können und wo bei einer Überflutung mit hoher Wahrscheinlichkeit die größten Lücken in der kritischen Infrastruktur entstehen. Alles Fragen, die mit Geoinformatik zu beantworten sind.

Mir macht diese Arbeit sehr viel Spaß, weil die Teams unglaublich motiviert sind. Jeder der sich in diesen Projekten engagiert hat den Willen etwas Sinnvolles zu tun. Mein Anspruch war immer, in der intensiven Zusammenarbeit mit Menschen Lösungen für Probleme zu finden. Das ist vielleicht das Verbindende zwischen meiner Karriere vor und nach dem Ausstieg.

Soft-Skills veralten nicht, habe ich festgestellt. Mir schwirrte eher der Kopf, weil ich es nicht mehr gewohnt war, viele Informationen in sehr kurzer Zeit zu verarbeiten. Aber daran habe ich mich schnell wieder gewöhnt. Ich habe heute eine 50-Prozent-Stelle. Das heißt ich arbeite von Montags bis Mittwochs im Unternehmen HeiGIT, so habe ich von Donnerstag bis Sonntag Zeit, mich auf unseren Selbstversorgerhof zu konzentrieren. Das fühlt sich für mich nach einer guten Teilung an.

Wie sieht euer Mühlenprojekt denn heute aus?

Außer den eingangs erwähnten Ziegen und Schafen haben wir Hühner, Laufenten, Gänse, Bienen und Anton, den Hofhund. Außer Anton sind alle Tiere von Nutzen für die Selbstversorgung. Die Ziegen produzieren Milch, die wir trinken und zur Herstellung von Frisch- und Hartkäse einsetzen. Auch die Schafe sind Milchtiere. Wir nutzen außerdem ihre Wolle zum düngen und mulchen im Garten. Wir haben die Vision sie auch einmal zu spinnen, aber dafür fehlt im Moment die Zeit. Die Hühner legen Eier, die Bienen schenken uns Honig. Die Laufente hält die Nacktschnecken vom Garten fern.

Der Hof ist nach Permakulturgesichtspunkten aufgebaut. Die Beete im Garten werden in jedem Jahr versetzt, damit sich ein Teil ausruhen kann, auf dem Klee wächst, der Stickstoff produziert. An der Stelle haben wir im nächsten Jahr wieder einen ausgeruhten Boden. Wir bauen viel Gemüse an, das eingekocht oder getrocknet wird. So verfügen wir auch im Winter über alles was wir brauchen. Wir bauen auf unserem Feld Kartoffeln, Mais, Bohnen und Getreide an.

Der ganze Hof hat vier Hektar, wovon nur ein kleiner Teil intensiv bewirtschaftet wird. Viel Land ist Weidefläche. Außerdem führt ein Bach und der Mühlgraben durch unser Grundstück. Es gibt naturbelassene Teile und einen Sumpf.

Auf unserer Streuobstwiese haben wir 20 Hochstammbäume zu 15 Obstbäumen aus altem Bestand gepflanzt. Das sind Apfelbäume, Birnen, Quitten, Pflaumen und Süßkirschen. Aus den Äpfeln machen wir Saft und dieses Jahr habe ich zum ersten Mal aus unserem Apfelwein Schnaps gebrannt, Pfälzer Calvados sozusagen.

Wie tastet ihr euch denn an die Selbstversorgung heran, oder habt ihr aus Bulgarien schon genug Erfahrung mitgebracht?

Wir haben in Bulgarien und Togo schon viel Erfahrung gesammelt, aber es gibt noch viel zu lernen und auszuprobieren. Wir experimentieren sehr viel und versuchen die Selbstversorgung immer ein Stück weiterzubringen. Es braucht Zeit und viel Geduld. Wir sprechen gerne mit alten Leuten, schauen Youtube-Videos etc. Was wir tun ist ja grundsätzlich nicht neu, unsere Großeltern haben das noch gemacht, aber vieles Wissen wir einfach nicht mehr.

Um ein Beispiel zu nennen: Wir hatten 6000 Quadratmeter, die mannshoch mit Adlerfarn bewachsen waren und somit unbrauchbar. Die Bauern aus der Umgebung waren sich einig, ebenso wie die Foren im Internet, dass man das nur wegbekommt, wenn man Gift ausbringt. Das war für uns natürlich keine Option. Einer der Alten hat uns dann den Tipp gegeben, das Feld regelmäßig zu mähen. Also sind wir zu viert mit der Handsense sieben Mal im Jahr über den Adlerfarn und haben ihn gesenst. Das haben wir zwei Jahre hintereinander gemacht. Damit haben wir ihn schon etwas geschwächt. Im Anschluss haben wir Mist auf dem Feld ausgebracht, um die Bodenkultur zu verändern und haben alles, vom Biobauern um die Ecke, einmal umpflügen lassen. Die Wurzeln haben wir herausgesammelt. Und siehe da: Jetzt ist das Ganze eine schöne Wiese die als Weide taugt. Das hat lange gedauert und viel Arbeit bedeutet, aber es hat geklappt. Alle unsere Flächen sind in den letzten 30 Jahren nicht bewirtschaftet worden und daher frei von Chemie. Wenn es nach uns geht, soll das auch so bleiben. Da um uns herum auch alle biologisch und kleinbäuerlich arbeiten, leben wir in unserem Mühlental eigentlich in einem Paradies.

Wir haben natürlich einen großen Luxus. Wir müssen nicht von dem leben, was wir anbauen. Wenn eine Ernte misslingt, wie z.B. im letzten verregneten Sommer die Tomaten, dann können wir Nahrungsmittel kaufen. Wir verhungern deshalb nicht. Es ist ein Experiment, das in erster Linie Spaß macht. Wir sind nicht so dogmatisch, dass wir sagen „wir essen nur das, was wir selbst angebaut haben“. Wenn ich im Winter Lust auf eine Bio-Orange habe, dann kaufe ich sie. Doch größtenteils leben wir von Obst, Gemüse oder Kartoffeln, kurzum von anderem, was wir selbst ernten.

Ihr seid jetzt auf der Suche nach neuen Mitgliedern für eure Selbstversorgergemeinschaft. Wen habt ihr euch denn vorgestellt?

Ja das stimmt. Boris und Pialo haben uns inzwischen verlassen, weil sie den Wunsch hatten, mit dem Segelboot eine Weltreise zu machen.

Wir haben von Anfang an das Ziel gehabt in einer kleinen Gruppe den Selbstversorgerhof zu betreiben, damit jeder seine Freiräume behält, man auch mal in Urlaub gehen oder über Nacht Freunde besuchen kann. Mit Tieren muss zumindest morgens und abends jemand da sein. Zu zweit würde das also nicht mehr gehen.

Daher ist unsere Idee, eine neue Gemeinschaft zu gründen, die gemeinsam das Projekt weiterentwickelt. Wir haben das Glück, dass wir noch ein zweites Haus auf dem Mühlengelände haben, das momentan leer steht, weil die Mieter ausgezogen sind. Wir haben also Wohnraum, den man entsprechend umgestalten kann, um weitere Mitglieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. Platz wäre für 4 bis 5 Leute. Uns schwebt eine junge Familie vor und jemand mit etwas handwerklicher Erfahrung.

Wir suchen Menschen, die sich vorstellen können intensiv in die Selbstversorgung einzusteigen, die auch die Zeit, körperliche Fitness und Energie mitbringen dies umzusetzen, denn wir tun viel in Handarbeit und wenig mit Maschinen. Es gibt immer etwas zu tun, mit den Tieren, im Garten im Feld oder handwerklich. Das ist sehr vielseitig und macht Spaß. Wir sehen das nicht als Arbeit, sondern als unsere Art zu leben.

Ideen zur Fortentwicklung gibt es viele: Wir könnten zum Beispiel ein Wasserrad einbauen, um unseren eigenen Strom zu generieren. Wir könnten längerfristig einen Hofladen einrichten, in dem wir unsere Überschüsse verkaufen. Außerdem gibt es noch sehr viel brach liegende Wiesen in unserer direkten Umgebung. Da haben wir schon überlegt, Wasserbüffel anzuschaffen, dann könnten wir neben Ziegenkäse sogar Mozzarella herstellen!

Wir bauen auch gerade ein kleines Gästehaus am Bach, in das jemand einziehen kann, der für begrenzte Zeit in unserem Projekt arbeiten und sich zum Thema Selbstversorgung fit machen möchte.

Aber wir sind flexibel und gespannt welche Ideen die neuen Mitglieder mitbringenWir sind offen für neue Impulse. 

Wie sieht denn dein Tagesablauf im Moment aus?

Am Morgen versorge ich zuallererst die Tiere. Dann setze ich mich am Bach unter unsere drei großen, schönen Eichen und meditiere. Danach wird gefrühstückt und dann geht´s ins Home-Office an den Computer.

Auf diese Weise komme ich mit innerer Ruhe in den Tag und kann mich fragen, ob es für mich persönlich Dinge gibt, die anstehen. An meiner persönlichen Weiterentwicklung arbeite ich natürlich immer noch, das hört niemals auf. Über die Meditation kann ich mir Aspekte bewusst machen und schauen, wie ich diese im Alltag umsetzen kann. Nur so wird Veränderung tatsächlich sichtbar.

Du hast in deinem Selbstversorgerhof dein Herzensprojekt verwirklicht. Was möchtest du Menschen mitgeben, die sich in einer Lebenssituation gefangen fühlen, eigentlich aber etwas anderes wollen?

Mein Vorteil war, dass ich keine Zwänge hatte, ich hatte keine Kinder und keine wirtschaftlichen Verpflichtungen, das hat mir den Ausstieg natürlich leichter gemacht. Was jeder für sich selbst hinterfragen kann ist, wieviel Geld er wirklich braucht, um das Leben zu leben, das er wirklich leben will.

Viele Menschen versuchen den Lebensstandard den sie haben zu halten. Aber die Frage ist doch: Macht mich dieses Leben wirklich glücklich? Die Frage die für mich zentral war lautete: „Worauf kann ich verzichten, wenn ich dafür etwas anderes bekomme?“

Ich habe auf Weinreisen früher gerne mal 1000 Euro ausgeben. Heute kaufe ich keinen Wein mehr. Gute Freunde bringen eine Flasche mit, wenn sie mich besuchen, weil sie wissen, dass ich es schätze. Mir macht es dann viel mehr Spaß diesen Wein gemeinsam zu trinken bei einem guten Essen oder am Lagerfeuer. Ansonsten trinke ich Wasser und Apfelsaft und habe nicht das Gefühl etwas zu vermissen.

Dadurch, dass ich auf vieles verzichten kann, habe ich einen viel geringeren Bedarf an Geld. Ich habe meinen Konsum eingeschränkt, ohne dass es mir weh tut. Dadurch kann ich mit einem 50-Prozent-Job gut leben. Für andere Menschen ist der Teilzeitjob vielleicht auch eine Alternative, weil dann mehr Zeit bleibt, um einer Beschäftigung nachzugehen, die dir wichtig ist und dich erfüllt.

Eine Variante die ich auch empfehlen kann ist die Auszeit. Möglichkeiten gibt es genug. Das Ziel ist immer das Gleiche: sich Freiräume zu schaffen. Das ist bei uns in Deutschland angstbesetzt, weil uns das Sicherheitsdenken anerzogen ist. Daher ist das oft ein langer Weg, den man auch stückweise gehen kann. So hat es für mich funktioniert, erst Auszeit,  dann der Ausstieg und jetzt reduzierte Arbeitszeit.

„Ich denke man muss willens sein, sich von altem zu trennen. Ich kann nicht alles behalten wollen was ich habe und trotzdem etwas Neues wollen. Ich muss bereit sein etwas aufzugeben, um offen zu sein für etwas Neues, auch wenn das manchmal weh tut.“

Bei meinem ersten Sabbatical haben mir Kollegen und Peers abgeraten. Das sei ein Karriere-Killer, haben sie vorausgesagt. Aber es hat mir nicht geschadet, denn auch durch meine Erfahrungen auf Reisen in Afrika habe ich mich weiterentwickelt. Ich weiß heute beispielsweise mit Krisensituationen viel besser umzugehen. Denn „Krise“ hat für mich inzwischen eine andere Bedeutung. Selbst wenn ich im Job eine Fehlentscheidung treffe, dann stirbt niemand. So kann ich mich in diesen Situationen viel ruhiger und menschlicher verhalten.

Auf welche deiner Eigenschaften konntest du dich im Laufe dieses Prozesses verlassen?

Ich freue mich immer über neue Erfahrungen. Ich habe mir die kindliche Neugier erhalten, das ist sicher ein Punkt. Mir war auch immer klar, dass ich zurechtkomme. Ich habe dieses Bewusstsein, dass ich mich selbst über Wasser halten kann.

Als Garten- und Landschaftsbauer beispielsweise war ich ungelernte Kraft. Da habe ich 12,50 Euro/Stunde verdient. Jobs, mit denen man nicht auf das Sozialsystem angewiesen ist, lassen sich immer finden, sofern man gesund und leistungsfähig ist. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mir nicht zu schade dafür bin einen Job zu machen, der nicht auf dem gleichen Niveau ist wie der, den ich einmal hatte. Ich bin der Überzeugung, dass jede Arbeit ihren Wert hat.

Du musst an dir und deiner Umgebung arbeiten wollen, um etwas voran zu bringen bzw. eine Veränderung hervorzurufen. Dazu gehört Mut, denn du musst Entscheidungen treffen und diese umsetzen. Was daraus erwächst ist oft ungewiss. Vertrauen in sich selbst und das große Ganze ist hilfreich. Die Bereitschaft zu scheitern gehört auch dazu. Unsere Bienen sind ein Beispiel. Ich hatte mir ein Buch gekauft und danach bin ich vorgegangen. Die Bienenvölker sind leider gestorben. So haben wir uns einmal mehr Rat von außerhalb geholt, mit dem es jetzt hoffentlich besser klappt. Wichtig ist, sich von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen, zu analysieren warum es schiefgegangen ist und daraus zu lernen. Und hinein zu fühlen, ob das Ziel das ich verfolge wirklich zum Projekt passt. Andernfalls muss ich mich von einer Idee auch verabschieden können.

Ich glaube nicht, dass es generell ein richtig oder falsch gibt, das muss jeder für sich herausfinden. Man muss aber eben die Bereitschaft haben sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Für mich ist das Wichtigste respektvoll miteinander umzugehen.

„Daher suchen wir jetzt auch nach Menschen für unser Projekt die offen sind und in Harmonie mit unserem Flecken Erde leben wollen.“

Verfolgst du mit deinem Selbstversorgerprojekt auch eine Art höheres Ziel?

Im Grunde möchte ich Menschen inspirieren, etwas in ihrem eigenen Leben zu ändern. Ich bin davon überzeugt, dass die Art und Weise wie wir heute leben, nicht langfristig tragfähig ist, weil wir über unsere Ressourcen leben. Die Lösung liegt sicher nicht darin, dass alle zu Selbstversorgern werden. Ich sage auch nicht, dass der Weg den wir gehen der einzig richtige ist. Er fühlt sich nur für mich gut an. Der Ansatz ist eher, bewusster mit der Natur umzugehen. Also: Wie kann ich mein Handeln verändern, damit es mehr in Einklang mit der Natur kommt?

Wenn jemand nach einem Besuch bei uns sein Verhalten anpasst, beispielsweise seinen CO2-Fußabdruck verkleinert, dann finde ich das super. Ich könnte mir auch vorstellen hier mit Kindern zu arbeiten, z.B. Wochenendfreizeiten mit Gruppen oder Familien. Es gibt viele spannende Möglichkeiten Menschen an das Leben im Einklang mit der Natur heranzuführen.

Die Natur ist für uns Menschen die Voraussetzung für ein lebenswertes Leben. Einige Wenige von uns könnten wahrscheinlich sogar in einer künstlichen Umgebung klarkommen, aber die Frage ist, ob das wirklich erstrebenswert ist.

Von der Politik würde ich mir wünschen, dass Entscheidungen nicht nur getroffen werden, sondern dass diesen Entscheidungen auch relevante Taten folgen. Aber mir ist auch klar, dass Politik immer Zwängen unterworfen ist. Außerdem kann Politik nur das umsetzen, was die Gesellschaft mitträgt. Daher ist unsere Gesellschaft zur Zeit sehr gefordert. Es kommt auf die Veränderungsbereitschaft und das Veränderungsbewusstsein jedes Einzelnen an. Wenn das angekommen ist, dann wird auch die Politik handeln.

Geduld ist nicht meine Stärke aber ich denke gesellschaftliche Änderungen lassen sich nicht erzwingen. Ich wage keine Prognose ob es uns gelingt die Schöpfung zu bewahren. Leider gibt es ja immer noch Menschen die Klimawandel und das Artensterben als Fakt nicht akzeptieren wollen und ich habe keine Idee mehr, wie man es ihnen erklären kann.

Ich bin aber trotzdem optimistisch, denn in meinem beruflichen Umfeld arbeite ich viel mit jungen Leuten zusammen, die in ihrem Handeln sehr konsequent sind und sich begeistert für die Umwelt einsetzen, angefangen vom Verzicht auf das Auto über die vegetarische oder vegane Lebensweise bis hin zur generellen Reduzierung von Konsum. Der Großteil der Gesellschaft hat das Problem sicher verstanden, weiß aber nicht, wie man darauf reagiert. Die Jugend hat hier große Einflussmöglichkeiten auf ihr direktes Umfeld.

In unserem Projekt ist es ähnlich. Die großen Räder sind für uns zu komplex, aber in unserem kleinen Radius können wir Menschen inspirieren, ihnen aufzeigen welche Möglichkeiten sie persönlich haben.

Stefan ich danke dir für diesen inspirierenden Austausch und wünsche euch, dass ihr Menschen findet, die euer Projekt bereichern.

Danke liebe Heike für die Gelegenheit, dies hier vorzustellen!

Wenn ihr euch für Stefans Projekt interessiert, dann empfehle ich euch seine Webseite Leben im Einklang mit der Natur

Anfragen bezüglich der Mitgliedschaft in der Selbstversorgergemeinschaft richtet ihr direkt an ihn per Mail: stefan@blackcontinent.de

Und wenn euch die Abenteuer interessieren, die Stefan und ich gemeinsam in Afrika und anderswo erlebt haben, dann könnt ihr gespannt sein auf mein Buch, das im Mai 2022 erscheinen wird. Alle aktuellen Infos dazu findet ihr auf meinem Instagram Autoren Account @heidimetzmeier und bald auch auf der Webseite https://heidimetzmeier.de

Die 5 besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe

Da in den letzten Wochen sehr viele Leser im Blog hinzugekommen sind, ist dies wohl ein guter Moment, um euch ein bisschen mehr über mich zu verraten.

Dafür habe ich das Thema Entscheidungen gewählt. Es soll um die Momente gehen, in denen unser Leben eine grundlegend andere Richtung nimmt. Ich hatte davon einige, wobei ich zugeben muss, dass mir nicht immer sofort bewusst war, wie weitreichend die Folgen sein würden. Das Thema passt übrigens wunderbar zu meinem nächsten Interview-Gast der Reihe „im Gespräch mit…“, der seinen Job als Unternehmensberater an den Nagel gehängt hat, um im Einklang mit der Natur zu leben.

Was waren also meine Big 5?

1. Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Ich hatte mir zu Schulzeiten das Studienfach Biologie in den Kopf gesetzt. Allerdings reichte mein Abi-Schnitt nicht für den numerus clausus. Um die Wartezeit zu überbrücken, kam mir die Idee, ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ich eröffnete meinen Eltern ich wolle in die U.S.A.. Ich träumte davon die Statue Abraham Lincolns an der Mall in Washington D.C. zu sehen, die ich aus einem Science-Fiction Film kannte. Ich hatte große Lust das Land kennenlernen, aus dem die Musik kam, die ich liebte. Schließlich wollte ich die vielbeschworene Freiheit spüren und meine eigenen Entscheidungen treffen – kurzum endlich flügge werden. Fehlte nur noch eine Gastfamilie. Zu dieser kam ich über eine Freundin, die an ihrer Universität den Aushang mit einem Au-pair-Gesuch entdeckte und mich sogleich anrief.

Um die Geschichte kurz zu machen; ich hatte nach Erfahrung gerufen und machte sie, allerdings anders als erwartet: 9 Jahre Fremdsprachenunterricht bereiten einen kaum vor auf das, was in der echten Welt als Englisch durchgeht. Ich saß tagelang vor dem Fernseher und beobachtete die Lippenbewegungen der Schauspieler, um mir einen Reim auf das zu machen, was ich hörte. Den ganzen Tag mit dem Baby meiner Gasteltern alleine, lernte ich schnell Verantwortung zu übernehmen. Meine amerikanische Familie war großartig. Das Vertrauen das sie mir schenkten überwältigte mich. Ich bedankte mich, indem ich mit ihrem Wagen eine rote Ampel überfuhr, was natürlich zu einem Strafzettel führte. Sie zeigten mir New York, ließen mich mit dem Nachtbus nach Niagara Falls fahren und stellten mich dem größeren Familienkreis bei einem Ferientrip in die Rocky Mountains vor. Zu meinem Geburtstag veranstalteten sie eine Party mit ihren Freunden, damit ich mich nicht alleine fühlte. Durch sie habe ich gelernt was Gastfreundschaft bedeutet. In meiner Freizeit probierte ich zwischen Aerobic und Stepptanz alles aus, was das Angebot hergab. Im Anschluss an meine Zeit als Nanny unternahm ich Bus-Reisen und sah mir an, was für Kalifornien und den mittleren Westen auf den Top 10-Listen steht, von Alcatraz Island bis Zion Nationalpark. Mein Reise-Gen war geweckt und sollte nie mehr einschlafen.

Aber ich lernte auch, dass im Leben nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen ist. Ich sah Menschen die in Pappkartons lebten, kam mit der Rassentrennung in Berührung und musste auch erkennen, dass viele Amerikaner ihr Land für den Nabel der Welt halten. Ich lernte, nicht mehr kritiklos alles cool zu finden und begann das was ich für falsch oder ungerecht hielt verbal zu vertreten. Mein amerikanischer Gastvater war für diese Unterhaltungen perfekt, weil er mich meine Argumente ohne Unterbrechung vortragen ließ, bevor er sie feinsäuberlich und unaufgeregt zerlegte. Die beste Sprachschule der Welt!

„Was dieses Leben in einer anderen Familie bedeutet wurde mir erst später klar. Ich war für sie ein unbeschriebenes Blatt, sie begegneten mir vorbehaltlos und hatten keine Ambitionen, auf mich Einfluss zu nehmen. Damit prägten sie mich, ohne es zu beabsichtigen. Ich wurde selbstständiger, selbstbewusster, wusste was mir im Leben wichtig ist“

– und wog 15 Kilo mehr, als ich nach Hause flog.

2. Spurwechsel

Das Studienfach Biologie war die richtige Wahl für mich, auch wenn ich mit den klassischen Disziplinen Botanik und Zoologie nie wirklich warm wurde. Ich kann bis heute keine Tanne von einer Kiefer unterscheiden. Nach der Diplomarbeit entschloss ich mich zur Promotion mit einem Schwerpunkt in Neurobiologie. Ich hatte perfekte Bedingungen: Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft; mit den renommierten Instituten Heidelbergs ein internationales Forschungsumfeld, und einen Freundeskreis, der die Frustrationen des Laboralltags auffing. Trotzdem war ich unglücklich. Stundenlang eingesperrt in einem dunklen Raum mit nichts als leuchtenden Nervenzellen zur Gesellschaft trieb mich langsam in den Wahnsinn. Ich hatte vermeintlich alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Die nüchterne Erkenntnis war: Ich bin für den Wissenschaftsbetrieb nicht gemacht.  Was ich wollte war Reden halten, Texte schreiben, Veranstaltungen organisieren, am liebsten über Gesundheitsthemen. Viele Coaching-Sessions später entschied ich, der aktiven Wissenschaft den Rücken zu kehren und in die Gesundheitskommunikation zu wechseln.

Wissenschaftliches Arbeiten hat mir Techniken an die Hand gegeben, um mit einer Herausforderung klarzukommen. Ich kann ein Problem benennen, in beherrschbare Teile zerlegen und Lösungswege skizzieren. Meine Laufbahn hat mich außerdem perfekt darauf vorbereitet, die Themen meiner Kunden zu verstehen.

„Was ich lange für eine Sackgasse hielt, war in Wahrheit die beste Schule. Am Ende des dunklen Gangs war eine Tür, die in einen Raum neuer Möglichkeiten führte.“

Ich spazierte aus der Uni heraus und hinein in die Welt der Public Relations-Beratung.

3. Lücken im Lebenslauf

„Jetzt verdienst du endlich dein erstes, eigenes Geld und willst schon wieder aufhören?“
„Glaubst du, du findest danach wieder einen Job?“
„Wieso ausgerechnet Afrika?“
Das sind nur einige der Fragen, mit denen ich mich konfrontiert sah, als mein Partner und ich beschlossen hatten, ein Sabbatjahr zu nehmen. Wir wollten den afrikanischen Kontinent der Länge nach durchqueren.

Natürlich war meine Chefin, die Geschäftsführerin einer PR-Agentur für Gesundheitskommunikation, nur mäßig begeistert von meiner Kündigung. Unsere Eltern machten sich sorgen darüber, was unterwegs alles passieren kann. Aber wir ließen uns nicht beirren. Gelegentlich hörten wir auch den Satz: „Das würde ich auch gerne machen.“  Ich stellte aber schnell fest, dass viele die von einer Auszeit träumen, diese nie in die Tat umsetzen.

„Wichtig ist, dass wir uns in einem Sabbatical zu einem Sinn oder Ziel hinbewegen und nicht vor einer Situation davonlaufen. Letzteres funktioniert selten, weil Probleme uns überall einholen.“

Ich bin eine Wiederholungstäterin und habe inzwischen mehrfach die Chance genutzt, für längere Zeit, auf eigene Faust, ein Stück der Welt zu erkunden. Was ich sagen kann ist, dass es meiner Karriere nie geschadet hat. Ich habe nach der Rückkehr immer wieder einen Job gefunden, der mich erfüllte. Das lag vielleicht auch daran, dass ich gute Argumente hatte, diese Lücken im Lebenslauf zu erklären. Das beste an dieser Zeit war nämlich, dass ich mich selbst in einem neuen Kontext kennenlernte, einen Perspektivwechsel erlebte, der meinen Horizont deutlich erweiterte und dass ich neue Fähigkeiten entwickelte, wie etwa interkulturelle Kompetenz, Flexibilität, Resilienz und Problembewältigungsstrategie unter ungewöhnlichen Umständen. Das hat meinen Marktwert eher gesteigert.

4. Zwar selbst und ständig, aber auch frei und unabhängig

Als ich von einer meiner Auszeiten zurückkam war in mir der Wunsch gereift, mich beruflich zu verändern. Ich wollte weiterhin in der Gesundheitskommunikation aktiv sein, aber flexibler werden in Bezug auf meine Kunden und meine Arbeitszeiten. Auch den Arbeitsort wollte ich mitbestimmen können. Meiner Kreativität ist es zuträglich, wenn ich – statt auf einen Parkplatz – in die Weinberge oder auf das Meer schaue. So ging ich das Projekt „Selbstständigkeit“ an.

Glücklicherweise war mein Arbeitgeber damals bereit, mir als Kunde erhalten zu bleiben. So musste ich nicht sofort in das Akquise-Thema einsteigen. Diejenigen unter euch die Solo-Preneure sind wissen, dass Selbstständigkeit kein Selbstläufer ist. Es gibt Zeiten, da bin ich mir nicht sicher, wie weit meine Aufträge mich tragen werden. Mir wird bisweilen schwindelig, wenn ich die laufenden Kosten überschlage, da ich für alles selbst aufkommen muss. Die Energie die in das Eigenmarketing fließt, übersteigt manchmal die Grenzen dessen, was ich für machbar halte. Aber nach knapp 8 Jahren habe ich eine gewisse Sicherheit entwickelt. Ich kann rückblickend sagen, dass sich meine Wünsche und Vorstellungen gut mit dem Notwendigen vereinbaren lassen. Ich habe mich in eine breite Palette von Themengebiete einarbeiten dürfen. Manchmal sage ich scherzhaft: „Ich werde dafür bezahlt, etwas Neues zu lernen.“ Es war bisher der Schritt der am meisten Mut erfordert hat. Ich bin dafür reich belohnt worden.

5. Die Geschichtenerzählerin

Eine meiner Kundinnen ist die Chefredakteurin des online-Magazins Lemondays, Angela Löhr. Mit ihr kam ich in Kontakt, als meine Wechseljahre anklopften. Ich lernte schnell, dass es in dieser Lebensphase um mehr geht, als Hormone. Es findet ein Umbruch auf vielen Ebenen statt, den wir entweder als lästiges Übel abtun oder als Chance zur aktiven Veränderung begreifen können. Ich habe durch die Zusammenarbeit mit den Redakteurinnen den Kick bekommen, mich mehr auf das zu konzentrieren, wofür ich brenne. Meine Leidenschaft ist das Geschichten-Erzählen. So kommt es, dass ich nun ein zweites Standbein aufbaue. Noch in diesem Jahr werde ich mein erstes Taschenbuch im Selbstverlag veröffentlichen. Ich erzähle darin meine Reisegeschichten aus 30 Jahren über 4 Kontinente hinweg. Es ist die bislang letzte beste Entscheidung die ich getroffen habe und ein Abenteuer für sich. Wenn du mich dabei begleiten möchtest, dann folge mir gerne auf Instagram: @heidimetzmeier.

Jetzt weißt du eine ganze Menge mehr über mich, aber fragst dich vielleicht, was das mit dir zu tun hat.

Das Fazit lässt sich vielleicht so zusammenfassen:

  • Lebenslanges Lernen ist heute wichtiger denn je. Wir werden durch die Digitalisierung Berufe kommen und gehen sehen. Kaum ein Bereich wird davon unberührt bleiben. Wer im Laufe seiner Karriere sich selbst immer wieder im neuen Kontext kennenlernt, wird mit diesen Veränderungen besser zurechtkommen, das ist meine tiefe Überzeugung. Die Bereitschaft, einen anderen Weg einzuschlagen, ist nicht jedem in die Wiege gelegt, aber das neue Arbeiten in wechselnden Teams, birgt auch für Veränderungsmuffel zahlreiche Möglichkeiten.
  • Niemand gibt gerne zu, dass er sich vergallopiert hat. Holzwege oder Sackgassen sind aber nichts, wofür wir uns schämen müssen, sondern Fingerzeige des Schicksals. Ich habe gelernt, die Hilfe von Coaches und Therapeuten anzunehmen. Sie können mit ihrem neutralen Blick den Finger auf Wunden legen, vor denen wir die Augen verschließen. Ein guter Coach hilft dir, deine Talente zu benennen und weist dir auch den Weg zu  möglichen neuen Zielen.
  • Ich habe den Eindruck, dass der geradlinige Lebenslauf mit möglichst effizient genutzten Ausbildungszeiten immer noch propagiert wird. Es entspricht allerdings meiner Erfahrung (und ich habe einigen Vorstellungsgesprächen auf der Arbeitgeberseite beigesessen), dass vermeintliche Brüche oder überraschende Wendungen in einer Lebenslinie den Menschen viel interessanter machen. Mut zur Lücke!
  • Über das Sabbat-Jahr als Potenzialzeit habe ich schon einmal einen längeren Beitrag verfasst. Daher an dieser Stelle nur so viel: Die Möglichkeit eine Auszeit vom Job zu nehmen ist etwas, das in in den meisten Betriebsvereinbarungen festgeschrieben ist. Wie du sie verbringst, ist dir überlassen, ob mit einer beruflichen Weiterbildung, einer Reise, dem Erlernen eines neuen Hobbys oder dem Aufbau eines eigenen Business. Die Spielwiese ist riesig. Ich kenne niemanden, dem diese Zeit geschadet hätte, wohl aber Menschen, denen Abstand von ihrem Alltag sehr gut tun würde. Träume wollen nicht als Sticker an der Kühlschrankwand enden, sondern gelebt werden.
  • Das Arbeitsleben ist ein Weg bei dem es kein Ziel gibt, sondern es bietet Möglichkeiten an verschiedenen Stellen die Aussicht zu genießen.
  • Jede Lebensphase birgt neue Chancen seine unterschiedlichen Talente auszuleben.  Es ist daher nie zu spät für den nächsten Schritt.

Was war deine letzte beste Entscheidung? Verrate es uns in den Kommentaren!

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Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?

In meinem Interview, mit Jana Seifert von CommHa Consulting, hat sie während des Gesprächs eine Frage aufgeworfen, die immer noch in mir nachhallt: „Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?“

Ist das nicht DIE zentrale Frage, die wir uns – nicht nur in Bezug auf unsere Arbeit – sondern für unser ganzes Leben stellen sollten? Verschmelzen nicht über die Antworten auf diese Frage die Räume zwischen Arbeit und Freizeit, Job und Familie, Beruf und Berufung?
Allein, die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Oder doch?

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann fällt mir auf, dass ich damals genaue Vorstellungen davon hatte wie es sein würde, mein Leben. Mit einer Freundin zusammen habe ich aus Zeitschriften Bilder ausgeschnitten und daraus Fotoalben gebastelt. Darin war eine Familie mit zwei Kindern zu sehen, Urlaub am Meer und ein Haus mit Garten. Auf die Frage, was ich später einmal werden will, habe ich geantwortet „Krankenschwester“. Waren das Kinderträume oder bereits erste konkrete Antworten auf die Frage, was ich vom Leben will?

Möglicherweise verändern sich unsere Träume im Laufe der Jahre. Zumindest auf mich scheint dies zuzutreffen. Als ich älter wurde hatte ich zahlreiche Tagträume, während der Schulunterricht mehr oder weniger unbemerkt an mir vorbeizog. Ich sah mich als Sängerin in einer Pop-Band, als Schauspielerin, wollte vom schwarzgelockten Jungen aus der Nachbarschaft geküsst werden und unbedingt nach Amerika reisen.

Dann passierte mir das Leben und die Träume wurden ersetzt durch Fragen: Kann ich das? Bin ich gut genug? Was kann ich tun, um noch besser zu werden? Kann ich das erreichte festhalten? Was, wenn alles den Bach hinuntergeht? Insbesondere letzteres war nicht hilfreich, denn Wesentliches ging den Bach hinunter. Alpträume.

Was hingegen meine Reiseträume angeht, bin ich sehr erfolgreich, sie in die Realität zu holen. Ich habe mich gefragt, warum das so ist und folgende Antwort gefunden: Weil ich konsequent verfolge, was zu tun ist. Gegen alle Widerstände und ungeachtet dessen, was ich dafür aufgeben muss, selbst den sicheren Job. Offenbar ist das etwas, was ich wirklich, wirklich will!

Ich habe den Mondaufgang über dem Mount Kilimanjaro bestaunt, bin mit Löwengebrüll eingeschlafen, habe Berggorillas in die Augen gesehen und so manches andere Abenteuer erlebt, dass rückblickend eine gute Geschichte ist, im Moment des Erlebens aber sehr viel Überwindung gekostet hat.

Aus meiner Umgebung höre ich häufiger den Satz: „Du bist so mutig.“ Ich habe für  Mut eine neue Definition gefunden:

„Mut ist die Fähigkeit das zu tun was uns wichtig ist, ohne zu wissen, wie es ausgeht.“

Unterwegs habe ich viele Gleichgesinnte getroffen. Menschen, die neugierig sind auf die Welt. Die wissen wollen, was hinter dem Horizont liegt. Die hungrig sind nach der Erfahrung im Unbekannten. Einige von ihnen hatten ihre Expeditionsmobile mit dem Spruch versehen: “Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum.“

Wie es der Zufall will ist genau dies das Motto der diesjährigen Blogparade des online-Magazins Lemondays, nur dass es die Chefredakteurin Angela Löhr als Frage formuliert: „Träumst Du noch dein Leben, oder lebst Du schon deinen Traum?“

Wer mich schon länger kennt weiß, dass ich ein glühender Fan bin dieses Magazins für die Lebensmitte. Hier geht es um mehr als Tipps und Tricks für Frauen im Umgang mit ihren Wechseljahren. Über die letzten 5 Jahre ist eine echte Community von Königinnen und Rebellinnen entstanden, die sich gegenseitig unterstützt und bereichert. Das Ziel – den Wechsel als Chance zu etablieren  – erfüllt das Redaktionsteam Artikel um Artikel und mit jedem Facebook-Post.

Jetzt also die Frage an dich:
Träumst du noch dein Leben, oder lebst du deinen Traum?

Der Traum ist ein guter Anfang. Wichtig finde ich zu erkennen, ob es eine Träumerei bleiben darf (ja ich singe immer noch, allerdings nicht vor Publikum, sondern unter der Dusche und beim Staubsaugen) oder ob du darauf brennst, ins Tun zu kommen. Wenn es schon bei der Vorstellung davon im Bauch kribbelt, wenn du alle Hebel in Bewegung setzt, um dem Ziel näher zu kommen, wenn du dabei Zeit und Raum vergisst, nicht müde wirst, sondern der Eifer dir Energie gibt, dann sind dies Anzeichen, dass du der Antwort auf die Frage was du wirklich, wirklich willst schon sehr nahe bist.

Mir hilft das Ziel zu visualisieren, mir vorzustellen wie es ist, wenn ich das tue, was ich wirklich, wirklich will. Ich kann sehen wie du mit den Augen rollst, aber ich sage es trotzdem: Auch ich habe mich schon im Studio neben Markus Lanz sitzen sehen oder auf einer Bühne mit Oprah Winfrey. Think big! Alles ist erlaubt. Gehe mit der inneren Haltung an die Sache heran, dass dein Traum bereits Realität ist.

Apropos Berühmtheiten. Claudia Münster hat mit der 100sten Ausgabe ihres Podcasts „Les Gens Tastique“ diese Blogparade eröffnet. Sie beleuchtet darin den Aspekt, ob das was wir als persönlichen Erfolg anstreben uns Freiheit gibt oder nimmt. Interessante Nuss, die sie auf die ihr eigene Weise knackt!

Auf dem Weg zur Erfüllung persönlicher Träume empfinde ich diese Elemente als hilfreich:

  • Lass dich nicht kleinreden. Umgib dich mit Menschen, die deine Vision teilen und daran glauben, dass du es schaffen kannst.
  • Sieh Hürden als Test für deine Persistenz. Sie sind ein Indikator dafür, dass du auf dem richtigen Weg bist. Arbeite nicht problem- sondern lösungsorientiert.
  • Sprich über das was du vorhast möglichst früh. Zum einen ist das ein Trick, um aus der Nummer nicht mehr so leicht aussteigen zu können. Zum anderen öffnen sich dadurch Türen zu Menschen, die dir helfen können.
  • Tritt Interessengruppen, Fachgesellschaften oder Vereinen bei. Baue dir ein Netzwerk von Gleichgesinnten auf. So must du nicht jedes Rad neu erfinden und hast moralische Unterstützung, wenn es einmal nicht so gut läuft.
  • Erstelle einen Plan mit kleinen realistischen Schritten. So bleibst du motiviert und kannst stetig Zwischenziele als Erfolge feiern.
  • Habe den Mut zuzugeben, was du nicht kannst. Wenn bestimmte Fähigkeiten für deinen Weg unumgänglich sind, schau dich im großen Universum der online-Kurse oder YouTube-Tutorials um. Es gibt (fast) nichts, wofür nicht eine Weiterbildung angeboten wird.
  • Nimm Hilfe an. Manchmal stecken wir fest und wissen nicht einmal mehr, welchem Traum wir gerade nachlaufen. Gibt es in deinem Netzwerk vielleicht eine Person, die du dir als Mentor vorstellen kannst? Sonst gönne dir einen Coach. Für so ziemlich jede Lebenslage gibt es jemanden, der dir auf systematische Weise helfen kann, deine Baustellen zu sortieren. Auf persönliche Anfrage spreche ich gerne meine Empfehlungen aus.
  • Zu guter Letzt, vor allem für Frauen: Keine Selbstzweifel mehr! Höre nicht auf die Leute da draußen die behaupten es braucht nicht noch mehr Yogalehrerinnen, Heilpraktikerinnen, Schriftstellerinnen, Musikerinnen…

Welche Antwort habe ich für mich gefunden?

Beruflich bin ich ein Baukasten, dem ich immer wieder neue Teile hinzufüge, die mich komplettieren: Technische Assistentin, Biologin, Kommunikationsberaterin, Bloggerin, online-Redakteurin und nun Autorin. Ich weiß inzwischen, was ich wirklich, wirklich will und das ist schreiben!

Mein Erstlingswerk war ein eBook, (natürlich) ein PR-Ratgeber. Danach hatte ich Lunte gerochen. So habe ich entschieden, meine Energien in ein Buch zu investieren, in dem ich meine Reise-Abenteuer erzähle. So entsteht im Selbstverlag ein Reiseratgeber, der im nächsten Jahr veröffentlicht wird. Ein dickes Brett, bei dessen „Bohrung“ ich mir die 8 Tipps von oben selbst zu Herzen nehme.

Wenn du mich bei diesem Abenteuer begleiten möchtest, dann folge mir gerne auf Instagram unter meinem Autoren-Account @heidimetzmeier.

Egal ob du noch am Anfang deiner Karriere stehst oder dich in der goldenen Lebensmitte befindest. Ich wünsche dir, dass du den Mut findest, deine Träume auszusprechen, den Tatendrang entwickelst, sie in dein Leben zu rufen, um damit zu dem Menschen zu werden, der du wirklich, wirklich sein willst.

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Warum der Weltfrauentag keine Zeitverschwendung ist

Ja, es gibt nützliche Gedenktage, den „Ändere dein Passwort-Tag“ zum Beispiel. Sollte Frau regelmäßig machen. Oder auch der „Ehrentag der Hypotaxe“, der – natürlich nur in Deutschland! – den Schachtelsatz würdigt, an den ich trotz aller Schreibtrainings immer noch glaube. Und nicht zu vergessen den „Welt-Nutella-Tag“. Wer wäre ich ohne die Erfindung dieser Schoko-Nuss-Speise? Aber der Weltfrauentag? Braucht´s den wirklich oder kann der weg?

Die Arbeiterinnen die Anfang des 20. Jahrhunderts den Weltfrauentag aus der Taufe gehoben haben hatten Kampfgeist. Sie gingen für bessere Bedingungen am Arbeitsplatz, das Frauenwahlrecht und Gleichberechtigung sowie gegen sexuelle Belästigung und Diskriminierung auf die Straße.
Erstaunlich, dass wir 110 Jahre später über viele dieser Anliegen  immer noch diskutieren:

Sind öffentlichkeitswirksame Lamenti und stichflammenartige Aktionen vielleicht der falsche Weg? Machen wir es uns schwer, indem wir uns immer wieder auf´s Neue zu einer benachteiligten Gruppe erklären?

Man möchte meinen, dass das was wir täglich vorleben, als Argument für unsere Anliegen ausreichen sollte. So sind beispielsweise von den fast 6 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen 76 % Frauen – von ärztlichen Praxen und Krankenhäusern über medizinische Labore bis hin zu Apotheken. Auch die Pflege ist weiblich, in der Alten- und Krankenpflege Tätige sind zu 80% Frauen. Wir sind Heilpraktikerinnen, Yogalehrerinnen oder Coaches und wenden darüber hinaus im Durchschnitt 52% mehr Zeit pro Tag für unbezahlte Sorgearbeit wie Kindererziehung, Hausarbeit oder Ehrenämter auf. (Zahlenquelle: Statistisches Bundesamt)

Wir prägen ganze Berufsbilder und halten die Gesellschaft am Laufen.

Auch wenn sich die Wissenschaft noch darüber streitet, ob es den „weiblichen“ Führungsstil wirklich gibt ist klar, dass der authentische und ethische Führungsstil den die meisten Frauen pflegen zunehmend an Bedeutung gewinnt. Was ich selbst erlebe ist, dass Frauen weniger in hierarchischen Strukturen als in Aufgabenbereichen denken. Sie motivieren durch Verantwortung und Gestaltungsspielräume und sie schaffen eine offene Atmosphäre für Kommunikation. Auch bei Teamarbeit entgeht ihnen der Einzelne nicht und sie packen häufig selbst mit an.

Kurzum, wir verändern die Führungsetagen der Unternehmen.

Trotzdem fühlen wir uns als Einzelne oft auf verlorenem Posten. Ein Weg, um die Zufriedenheit mit der individuellen Situation im Business zu steigern ist, sich Hilfe von anderen Frauen zu holen. Zu diesem Ziel führen verschiedene Wege wie beispielsweise Mentoringprogramme, Frauen-Netzewerke (hier findest du eine gute Übersicht) oder Kooperationsmodelle wie etwa Working Out Loud. Dort triffst du auf Rollenmodelle, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Veränderung die sie sich wünschen vorzuleben. Das sind Frauen die nicht darüber lamentieren was nicht ist, sondern feiern was ist. Viele von ihnen sind in der Lebensmitte angekommen. Statt sich zu ärgern über Gewichtszunahme und Östrogenverlust, lächeln sie aus der Gelassenheit der Erfahrung heraus und lieben was sie tun. Sie setzen sich über das Jahrhunderte alte Narrativ – dass Frauen jenseits der 50 nichts mehr zu erwarten haben – einfach hinweg und kontern mit Erfolgsgeschichten.

Was mich als Biologin am Konzept des Rollenmodells besonders reizt ist die (noch relativ junge wissenschaftliche) Erkenntnis, dass wir veränderte Einstellungen und Verhaltensmuster an kommende Generationen weitergeben, über Faktoren die die Aktivität unserer Gene beeinflussen. Der Fachausdruck dafür heißt Epigenetik. Wie subversiv ist das denn? Wir haben die Chance dafür zu sorgen, dass sich nachkommende Generationen rein genetisch eine Welt ohne Gleichberechtigung gar nicht mehr vorstellen können. Das klingt doch nach einem lohnenden Auftrag!

Morgen ist er also, der 8. März – International Women´s Day – an dem ich benebelt von der Narkose einer Knie-OP viel Zeit haben werde, über meine Chancen als Rollenmodell nachzudenken. In diesem Jahr lautet das Motto übrigens „Frauen in Führungspositionen: Für eine ebenbürtige Zukunft in einer COVID-19-Welt“. Eine Welt die vor großen Herausforderungen steht hat die Chance auf Wandel. Wir sind aufgerufen den Wandel zu wählen und zu gestalten, daher der Hashtag #choosetochallenge.

Mein Beitrag zum Wandel

Als Redakteurin des Online-Magazins Lemondays und Mitorganisatorin unseres ersten Online-Frauenkongresses darf ich  dir lieber Leserin ein Geschenk machen:

  1. Du hast ab sofort und bis um Mitternacht des Weltfrauentages noch einmal die Gelegenheit kostenfrei die Interviews von 29 ExpertInnen anzusehen. Darunter sind zahlreiche Life- und Business-Coaches, die dir Tipps und Tricks an die Hand geben, wie du dein eigenes Herzensbusiness aufbauen und wie du deine Lebensmitte nach deinen Wünschen gestalten kannst. Die Links zu den Videos erhältst du, wenn du dich für unsere Facebook-Gruppe der Wechseljahresköniginnen anmeldest.
  2. Außerdem schenken wir Dir einen saftigen Rabatt auf das komplette Kongresspaket mit allen Videos und zusätzlichen Geschenken der ExpertInnen. Im Zeitraum zwischen dem 07.03. und  14.03.21 bekommst Du das Paket mit lebenslangem Zugang auf alle Inhalte für 39,95 Euro unter folgendem offenen Link: https://wechseljahreskongress.online/kongresspaket/
    Vielleicht wäre das ja auch ein schönes Geschenk für eine Freundin?

Ich habe mich also entschieden Teil der Bewegung am Weltfrauentag zu sein und habe mich darüber auch mit unserer Chefredakteurin Angela Löhr LIVE ausgetauscht. Das YouTube-Video zu unserem Frauen-Talk kannst du dir hier ansehen.

Wie immer du dich dazu stellst, ich wünsche dir, dass du für dein Leben heute und in Zukunft den positiven Wandel wählst! #choosetochallenge.

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P.S.: Als Zugabe möchte ich dir noch zwei Interviews mit Rollenmodellen ans Herz legen, die ich im Rahmen meiner Blog-Reihe “Im Gespräch mit…” führen durfte. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und jede hat ihren eigenen Blick auf “Frauen im Business”.

Prof. Dr. Dagmar Fischer leitet den Lehrstuhl für pharmazeutische Technologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und ist Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft.

Dr. Kristin Jakobs ist Leiterin der Kommunikation OneHumanPharma, in der Unternehmenszentrale des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim.

6 Dinge, die ich mir (als Selbstständige) nicht mehr antue

 Der Wecker klingelt und noch bevor ich die Augen aufschlage, rattert mein Hirn einem Uhrwerk gleich los: „Welche Termine stehen heute an? Worauf muss ich mich vorbereiten? Was darf ich auf keinen Fall vergessen? Mit wem muss ich mich abstimmen?“ Dazwischen huscht ein Gedanke, eine kreative Idee die mein Unterbewusstes im Schlaf produziert hat. Schnell aufschreiben, sonst ist sie wieder weg! Beim Frühstück scrolle ich durch die Headlines der wichtigsten Medien und checke meine Mails. Kurz darauf – ich bin gerade im Bad – klingelt der Postbote. Noch mit der Zahnbürste im Mund sprinte ich zum Türöffner und stolpere dabei über den Hund. Bruno hat einen siebten Sinn für Tage an denen ich das Haus verlasse – dann legt er sich im wahrsten Sinne des Wortes quer. Leicht gequält schlüpfe ich ins schicke Schuhwerk und steuere mein Auto sehenden Auges in den Stau auf der A5.

Kommt dir das bekannt vor? Auch wenn wir in jüngster Zeit nicht im Stau, sondern im Home-Office enden, wo wir für Stunden über Zoom ein Dauerlächeln aufsetzen und vor dem Rechner den Wirbelsäulenschaden zementieren. Ich wage die Prognose,  dass die meisten von uns Routinen etabliert haben, die wir wenig hinterfragen, die uns bei genauer Betrachtung aber gar nicht gut tun.

Als mir klar wurde, wie toxisch viele meiner Verhaltensweisen für meine Tagesform – und übrigens auch für meine Kommunikation – sind, habe ich bewusst mit Veränderung begonnen. Ich bin in einem Transformationsprozess der positive Effekte zeigt, was mich ermutigt, dies heute mit dir lieber LeserIn zu teilen.

Hier also die 6 Dinge, die ich mir nicht mehr antue – und meine Alternativen:

I. Der Sprint in den Arbeitstag

Es erschien mir die längste Zeit praktisch, dass mein Kopf sofort im Arbeitsmodus ist, sobald ich die Augen aufschlage. Nicht selten hieß dies sogar „der erste Weg führt vom Bett an den Schreibtisch“. Dies hat allerdings von vorne herein verhindert, dass ich im hier und jetzt ankomme. Ich nahm weder wahr wie sich mein Körper beim Aufwachen fühlt, noch was um mich herum vorgeht.

Wo zwickt es? Würde ein Strecken und Räkeln mir jetzt gut tun? Wie ist das Wetter vor dem Fenster? Das sind Fragen die ich mir jetzt als Erstes stelle. Und wenn ich schon darüber nachdenken muss wen ich heute sehe, dann verknüpfe ich das mit der Überlegung, wie ich positiv in dieses Treffen gehen kann.

Ich stehe inzwischen freiwillig 30 Minuten früher auf, um vor dem Frühstück Yoga-Übungen oder eine Meditation zu machen. Die Ruhe die sich dabei in mir ausbreitet nehme ich mit in den Tag. Das wirkt sich nicht nur auf mich aus, sondern überträgt sich auch auf Menschen, mit denen ich zusammentreffe. Dazu gleich etwas mehr.

Ich habe also immer noch eine Morgenroutine, diese sieht allerdings deutlich anders aus. Sie setzt auf Körperbewusstsein, positive Grundeinstellung und Konzentration auf das was gerade ansteht, statt mit dem Kopf permanent in der ungewissen Zukunft zu sein.

II. Der Knebel der Verkleidung

Hast du auch schon einmal gedacht, dass du für deinen Job in eine Art Verkleidung schlüpfst? Das kann hilfreich sein, denn das Äußere unterstreicht unsere Rolle, die wir annehmen, wenn wir auf Business-Modus umschalten. „Kleider machen Leute“ gilt eben besonders im Job. Was aber, wenn die Verkleidung zur Tortur wird?

Ich bin einmal auf dem Weg zu einer Pressekonferenz mit spitzen Absätzen im Gitterrost eines Eingangsportals hängengeblieben und habe damit nicht nur einen „Stau der Mächtigen“ provoziert, sondern mir auch – beim Versuch die peinliche Situation mit wildem Aktionismus zu beenden – besagten Absatz abgerissen. Das Humpeln danach hatte nur wenig damenhaftes.

Hochhackige Schuhe mögen eine tolle Wade formen und mich 8 cm größer machen, aber wenn ich mich darin nicht wohl fühle, wirkt sich das auf meine Körpersprache aus. Diese kommt beim Gegenüber an, noch bevor ich den Mund aufmache. Heute bewege ich mich auf bequemen flachen Schuhen. Ich bin darin nicht weniger souverän und mein Orthopäde ist begeistert.

Ich habe in einer längeren Übergangsphase meine Garderobe einem „Bequemlichkeitscheck“ unterzogen. Dem sind etliche sehr elegante, aber zwickende Kleidungsstücke zum Opfer gefallen, als mir klar wurde:

Wer nicht vernünftig Luft holen kann, dem fehlt auch der lange Atem, um die eigenen Argumente schlüssig vorzutragen.

Und schließlich nehme ich mir inzwischen die Freiheit den „grau-schwarz-weiß“-Büroduktus zu durchbrechen. Ich war schon immer eine Liebhaberin der Farbe „bunt“. Das hat mir zwar gelegentlich den Ruf des „Buntspechts“ eingebracht, aber damit bin ich wenigstens unverwechselbar.

III. Die Pein vermeidbarer Zeitfresser

Die Abstimmung mit Kunden, Mitarbeitern oder Kooperationspartnern kostet uns Selbstständige viel Zeit, die uns für die Umsetzung unserer Projekte fehlt. Damit wird Priorisierung zur KönigsdisziplinIch verabschiede mich nach und nach von Zeitfressern, bei denen ich gequält auf die Uhr schaue und hoffe, dass es bald vorbei ist. Meetings sind ein gutes Beispiel: Als Angestellte habe ich häufiger Meetings abgesessen, weil erwartet wurde, dass ich dort anwesend bin. Ich erspare mir heute viel Zeit und meinen Kunden  Kosten damit, dass ich im Vorfeld abkläre, bei welchen Besprechungen ich eine aktive Rolle habe. Wird mir aus der Agenda nicht verständlich worin mein Beitrag zu der Veranstaltung besteht, sage ich ab. Merke ich erst später, dass ich hier nicht richtig bin, klinke ich mich höflich aus. Oder ich komme nur zu bestimmten Agendapunkten dazu.
Solche Zeitfresser zu eliminieren halte ich nicht nur für fair dem Kunden gegenüber, es macht mich selbst glücklicher, weil ich im gewonnenen Freiraum ein messbares Ergebnis erzielen kann. 

IV. Der Kalender als Folterinstrument

Es ist in meinen Augen ein Missverständnis, dass Selbstständigkeit gerne mit dem Wortspiel selbst und ständig beschrieben wird. Das ist eine Haltung die wir – wenn wir dauerhaft durchhalten wollen – nicht von außen übernehmen sollten. Dazu braucht es Disziplin und einen Kalender, der uns Lust auf den Tag macht.

Ich habe mir angewöhnt „Me-Time“ in meinen Kalender zu integrieren, damit der Chat mit der Freundin, der Sport oder einfach mit einer Tasse Tee auf den Balkon hinauszutreten auch in stressigen Phasen möglich ist. Wenn Zeiten für Besorgungen oder Arztbesuche wie selbstverständlich im Kalender integriert sind, hinterfragt man sie nicht mehr. Das setzt allerdings voraus, dass ich sie nicht bereitwillig der nächsten Gelegenheit opfere.

Gleiches gilt übrigens für die Mittagspause. Ein guter Moment, um einmal wieder zu überprüfen, wie sich mein Körper fühlt und was er braucht. Vielleicht ist neben dem Snack auch ein bisschen frische Luft angesagt.

Und schließlich blockiere ich mir “Kreativzeiten”, zu Tageszeiten in denen mein System auf vollen Touren läuft, für konzentriertes strategisches Arbeiten oder zum Lösen besonders kniffliger Aufgaben.

Inzwischen gestehe ich mir auch ein, dass es Dinge gibt, für die ich kein Händchen habe oder für die ich viel zu lange brauche. Den Beruf des virtuellen Assistenten habe ich erst kürzlich für mich entdeckt. Eine VA kann theoretisch jede Aufgabe übernehmen, die via Internet erledigt werden kann, von der Administration über Transkription bis hin zu Webdesign. Manche bieten ein breites Portfolio, andere haben ein Spezialgebiet.
Im nächsten PICUS-Newsletter stellt sich übrigens eine VA vor, mit der ich schon sehr gut und erfolgreich zusammengearbeitet habe. Falls du noch nicht zu den AbonnentInnen gehörst, kannst du das jetzt nachholen.

Wenn du hier deine E-Mail-Adresse einträgst, bekommst du einmal im Monat Post rund um den PICUS Blog:

V. Permanente Erreichbarkeit

Im internationalen Geschäft ist immer irgendwo Tag, so dass Mails 24/7 hereinkommen. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich mit so mancher aus der Hüfte geschossenen Antworten zu nachtschlafender Zeit mehr Porzellan zerschlagen, als Probleme gelöst.

So gesellt sich zu meiner Morgenroutine inzwischen eine Abendroutine. Zu dieser gehört es, die Funktion meines Mobiltelefons zu nutzen, mit der ich jede Form der Benachrichtigung abschalten kann. Zwischen 21 und 8 Uhr ist Ruhe: Keine Anrufe und keine Töne bei Maileingang oder Social Media-Aktivitäten. Zugegeben, an manchen Tagen muss ich mich dazu zwingen, nicht trotzdem einen Blick auf das Display zu werfen. Trotzdem ist die Funktion ungemein hilfreich. Räumliche Distanz tut ein Übriges: Das Mobiltelefon hat Schlafzimmerverbot.

Ich beende meine Tage gerne mit Journaling. Dazu habe ich einen Jahreskalender in den ich wenige Zeilen für jedes Datum eintragen kann. Ich bemühe mich dabei die positiven Ereignisse des Tages hervorzuheben und Aspekte zu finden, für die ich dankbar bin. Das bringt mich in eine positive Grundstimmung für die Nacht.

Für den Fall, dass mein unruhiger Geist vor dem Einschlafen noch Ideen produziert, habe ich einen Notizblock auf dem Nachttisch. Ein Stichwort muss genügen. Damit ist der Gedanke für den nächsten Tag „geparkt“ und ich kann ihn loslassen.

Als letzte Übung vor dem Schlafengehen mache ich den „Bodyscan“. Das ist eine Yoga-Übung bei der man im Geiste alle Körperteile abtastet, ohne die Befindlichkeiten darin zu bewerten. Ich komme inzwischen nicht einmal bis zum Bauchnabel, dann bin ich schon in die Traumwelten abgetaucht. Alleine der Beginn der Übung scheint meinem Gehirn zu signalisieren, dass Schlaf erwünscht ist.

VI. Konfrontative Kommunikation

Jeder hat schon einmal eine Gesprächssituationen erlebt, in der er sich unterlegen, missverstanden, hilflos oder gar misshandelt gefühlt hat. Mein “Tiefpunkt” in diesem Zusammenhang war ein Telefonat mit einer Dame, die den Versuch meine Expertise in ihr Projekt einzubringen klar als Angriff auf ihre Kompetenz interpretierte. Das hast sie so in Rage gebracht, dass sie ihre Argumente nur noch schreiend hervorbringen konnte. Ich habe ihr erklärt, dass sie mich gerne wieder anrufen kann, wenn sie sich beruhigt hat – und habe aufgelegt. Distanz ist ein legitimer Weg, um sich aus einer unangenehmen Gesprächssituationen zu befreien. Die Frage ist, hätte es überhaupt so weit kommen müssen?

Ein altes Sprichwort sagt, „wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.“ Ich habe lange gebraucht, um die Bedeutung dieser Weisheit wirklich zu verstehen. Meine Gesprächspartner spiegeln mein Verhalten! Es kommt also ganz auf die innere Einstellung an, mit der ich in eine Unterhaltung gehe. Das fällt uns natürlich besonders leicht bei Menschen, die uns sympathisch sind, mit denen wir gerne zusammenarbeiten, die hilfsbereit und auskunftswillig sind. Um von der Einsicht zu profitieren, ist es also sehr viel hilfreicher, sich auf Gespräche positiv einzustimmen, die einen ungewissen Ausgang erahnen lassen, oder vor denen wir uns gar fürchten, weil uns das Gegenüber Angst einflößt. Solche Gespräche brauchen Vorbereitung.

Kommunikation ist eine Kunst, die man trainieren kann. Sie beginnt im Kopf, mit einem positiven Mindset.

Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, wie der Kunde vor unserer Unterredung seine Kinder zur Schule bringt und sie zum Abschied umarmt, oder wenn ich mir ins Gedächtnis rufe wie freundlich der Mitarbeiter mit dem ich es gleich zu tun habe neulich mit seiner Assistenz umgegangen ist, dann macht das etwas mit meiner inneren Einstellung. Die Neurowissenschaft kann sogar mit Studien belegen, dass bei jedem Zusammentreffen in unserem Gehirn eine Kaskade unbewusster Reaktionen abläuft. Dahinter steht der Versuch einzuordnen wie das Gegenüber gerade drauf ist, was für Absichten es hat, welche Ziele es verfolgt. Wenn ich mir die Zeit nehme diese Unterredung nicht nur inhaltlich, sondern auch emotional zu planen, dann kann ich die Kaskade bei meinem Gegenüber beeinflussen. Die Visualisierung des freundlichen Ablaufs eines Dialogs vor dem Zusammentreffen wirkt sich auf beide Gesprächspartner aus und bereitet den Boden für eine gute Gesprächsatmosphäre. So werde ich zum Beispiel nicht mehr als überrumpelnd, brüsk oder dogmatisch wahrgenommen, sondern als konsensorientiert und empathisch.

Das positive Mindset ist die Eintrittskarte zu guter Kommunikation.  Einfühlungsvermögen erhält sie aufrecht. Wichtig ist, dass ich sowohl meine eigene, als auch die Situation des anderen im Blick behalte. Wir haben alle die gleichen Bedürfnisse: Wir wünschen uns eine gute Lebensqualität und wollen gesehen werden. Dies zu respektieren ist ein wichtiger Schlüssel, wenn es darum geht, mit Kommunikation etwas zu erreichen.

Die Lehre der „gewaltfreien Kommunikation“ wurde entwickelt, um uns die Möglichkeit zu geben, aus gewohnheitsmäßiger, automatischer, lebensentfremdender Kommunikation wieder einen Prozess mit bewussten Antworten zu machen, der von respektvoller Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit geleitet ist. Dabei kommt es darauf an unsere Ausdrucksweise und unser Zuhören durch die Fokussierung unseres Bewusstseins umzugestalten. Der „Vater der GFK“, Marshall B. Rosenberg, hat seinen Ansatz in 4 Schritte unterteilt, die uns auch dabei helfen Konflikte zu lösen: Beobachtung, Gefühle, Bedürfnisse und Bitten.  Sein Standardwerk „Gewaltfreie Kommunikation – Eine Sprache des Lebens“ geht auf alle 4 Bereiche im Detail ein und arbeitet mit vielen Beispielen. Da verstandenes Wissen erst durch Übung zu gelebtem Wissen wird, möchte ich dir die Seminare von Markus Rossmann empfehlen. Er ist spezialisiert auf gewaltfreie Kommunikation und systemisches Konsensieren. Du erreichst ihn per Mail unter: m.rossmann@mitwirksam.de  oder im Netz unter www.mitwirksam.de.

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Mich würde interessieren, welche Gesprächssituationen du in deinem Business als besonders herausfordernd erlebst. Sind es bestimmte Zielgruppen, an denen du dich abarbeitest? Welche Kommunikation hingegen empfindest du als bereichernd? An welcher Stelle hast du dazugelernt? Was hat dir dabei geholfen?  Ich bin gespannt auf deine Kommentare!

 

Im Gespräch mit Sascha Jillich über Bäume

Mein heutiger Gesprächspartner ist schon sein ganzes Leben hindurch unkonventionell. Im Kindergarten mithilfe der Bäume über den Zaun geklettert, verbringt er Stunden in der freien Natur. Schule war dem eigenen Vernehmen nach nichts für ihn. Der Schulabschluss nach der 10. Klasse ist mit dem Vater abgesprochen, der ihm auch sonst alle Freiheiten lässt. Nach der Ausbildung zum Forstwirt arbeitet er 10 Jahre im Wald – eine Zeit, die ihn gut auf seine Zukunft vorbereitet, denn heute weiß er oft schon beim Blick auf den Baum von außen, wie es in ihm aussieht.

Er durchquert gemeinsam mit seiner Freundin auf einer HPN (Geländemotorrad) den afrikanischen Kontinent gleich mehrfach. Von seiner Anstellung bei der Deutschen Bahn lässt er sich für diese Leidenschaft  häufiger freistellen, ebenso wie für die Weiterbildung zum Fachagrarwirt für Baumpflege und Baumsanierung. Heute ist Sascha öffentlich bestellter Sachverständiger und unterrichtet als Dozent an der staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Heidelberg.

Sascha, du hattest bei der Deutschen Bahn einen sicheren Job mit vielen Freiheiten. Warum bist du dort gegangen?

Das ist meiner Spontanität geschuldet. Ich war für die Streckenpflege zuständig, also Baumfällungen, die jahrelang vernachlässigt worden waren. Entsprechend kam es zu Zwischenfällen. Ich hatte die Aufgabe ein schwieriges Projekt zu leiten, für das hohe Summen veranschlagt waren. Diese Aufgabe habe ich nicht nur zur vollsten Zufriedenheit erledigt, sondern habe dabei knapp 50% des Budgets eingespart, bei dem es um einen mittleren 6-stelligen Betrag ging. Ich war der Ansicht, dass mir dafür ein Bonus zusteht. Man hat mir an einem Freitag mitgeteilt, dass dieser Bonus nicht gewährt wird. Für mich hängt die Belohnung der Leistung ganz stark mit der Motivation zusammen. Ich wusste nach dieser Entscheidung, dass ich dort keine Zukunft habe. Am darauffolgenden Montag habe ich per Fax gekündigt, auch weil ich der Auffassung bin, dass gute Leistung honoriert werden muss, egal ob als Arbeiter oder als Projektleiter.

Wie bist Du von der Streckenpflege zu den urbanen Bäumen gekommen?

Ich habe mich schon immer gefragt, warum manche Bäume krank werden und andere nicht. Ich hatte sehr viele Fragen dieser Art, die ich mit mir herumtrug, weil sie niemand beantworten konnte. Nachdem ich von der Bahn weggegangen war habe ich geschaut, dass ich endlich Antworten auf all diese Fragen bekomme. So bin ich zum Studium der Arboristik in Göttingen gekommen. Ein Orchideenstudiengang, den es deutschlandweit nur einmal gibt und zu dem nur 40 Studenten pro Semester zugelassen werden. In diesem Studiengang lernt man kurz gesagt das Management des urbanen Grüns. Arboristen kümmern sich um die Aufrechterhaltung der Funktion einzelner Bäume im städtischen Raum unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Ansprüche (wie z.B. Verkehrssicherheit).

Was leistet ein städtischer Baum?

Stell dir eine Stadt ohne Bäume vor, das ist doch gruselig! Bäume übernehmen  vielfältige Funktionen: Gerade im urbanen Raum haben wir noch große, alte Bäume die auch Schäden aufweisen. Diese Schäden bieten Lebensraum für zahlreiche Tierarten, die dadurch im urbanen Raum Unterschlupf finden. Gerade in den Städten haben wir häufig eine hohe Vielfalt an Baumgattungen, die bewusst gewählt ist. Daher ist im urbanen Raum die Biodiversität (=Artenvielfalt) sehr viel höher als im Forst! Eine Stadt mit Bäumen weist außerdem ein deutlich besseres Klima auf, sowie bessere Luftqualität und selbst die Temperatur ist messbar niedriger, was bei unseren inzwischen heißen Sommern einen deutlichen Unterschied macht. Bäume übernehmen also sowohl gestalterische als auch ökologische Aufgaben.

Es gibt im Übrigen viele Richtlinien und Normen die Bäume im urbanen Raum schützen und es obliegt den Kommunen, dies konsequent umzusetzen. Hier gibt es natürlich unterschiedliche Herangehensweisen.

Zu früheren Zeiten wurde unter Bäumen Gericht gehalten oder auch Feste gefeiert. Wodurch denkst du ist diese zentrale Bedeutung verlorengegangen?

“Ich glaube die Naturverbundenheit unserer Gesellschaft hat generell sehr gelitten. Außerdem ist grundlegendes Wissen oft nicht mehr vorhanden und kann so auch nicht weitergegeben werden.” – Sascha Jillich

Hier nur ein Beispiel für die Art der Entfremdung die ich erlebe: Ich war neulich in einem Park zur Baumbegutachtung und konnte beobachten, wie ein kleiner Junge auf eine am Boden liegende stachelige Kapsel der Rosskastanienfrucht deutete. Er wollte von seinem Vater wissen was das ist. Dieser zuckte mit den Schultern und antwortete: „Wahrscheinlich eine Stachelbeere.“

Was sind die wesentlichen Ursachen dafür, dass es dem urbanen Baum nicht gut geht?

Bäume brauchen Wasser und davon bekommen sie durch den Klimawandel zu wenig. Unsere heißen Sommer setzen den Bäumen sehr zu. Hinzu kommt, dass im städtischen Bereich viele Flächen versiegelt und verdichtet wurden. Das führt dazu, dass der Regen der fällt schlecht in den Boden eindringen kann und oberflächlich abfließt. Das heißt, die Bäume können – selbst bei Starkregen – kaum vom Wasser profitieren. Dies führt zu Trockenstress. Über mehrere Jahre hinweg macht das die Bäume anfällig für Schwächeparasiten, die letztlich Krankheiten auslösen. Das ist vergleichbar mit der Situation beim Menschen. Gestresst sind auch wir sehr viel anfälliger für Krankheiten. Bäume erkranken häufig an Pilzinfektionen. Pilze haben verschiedene Strategien, um Bäume zu infizieren. Bei einem gesunden Baum geht das z.B. über Wunden, etwa nach Astabriss. Bei einem geschwächten Baum kann der Pilz durch die Rinde eindringen. Und schließlich gibt es auch noch Pilze die eigentlich „friedlich“ mit dem Baum zusammenleben und Aufgaben wie beispielsweise die Astreinigung übernehmen. Wenn die Abwehrbereitschaft des Baumes abnimmt, dann werden selbst diese Pilzarten zum Problem.

Kommunizieren Bäume miteinander?

Bäume sondern Stresshormone ab, die von anderen Bäumen wahrgenommen werden können. Ein klassisches Beispiel hierfür sind die Schirmakazien in Afrika. Wenn diese von Giraffen angefressen werden, sondern sie ein Hormon (ein Ethylen) ab, das von den umliegenden Bäumen in Windrichtung wahrgenommen wird. Diese produzieren dann Bitterstoffe für ihre Blätter, so dass sie ungenießbar werden. Nur: Giraffen haben den Trick inzwischen raus und laufen einfach gegen den Wind. Dann greift diese Strategie nicht mehr.

Was würdest du dir für den urbanen Baum wünschen?

Die Standortvorbereitung ist extrem wichtig. Es kommt also nicht nur darauf an einen geeigneten Baum zu pflanzen, es muss auch dafür gesorgt werden, dass der Boden für diesen Baum gute Bedingungen aufweist, damit er gedeihen kann. Ich kann beobachten, dass Kommunen verstärkt ihr Augenmerk darauflegen und entsprechend investieren. Es braucht zum Beispiel ein Substrat, das sich der Baum mit seinem Wurzelwerk überhaupt erschließen und feine Wurzeln bilden kann. Außerdem sind Bewässerungssysteme notwendig, gerade beim Wassermangel den wir in den letzten Jahren erlebt haben. Dies ist für Kommunen allerdings eine Herausforderung, denn wir reden von einem erheblichen Kostenfaktor. Ein guter Baumstandort mit entsprechender Bewässerung kostet teilweise über 10.000 Euro, da ist der Baum noch gar nicht mitgerechnet. Aber diese Investition lohnt sich, denn ein kranker Baum ist ein Pflegefall – um z.B. die Verkehrssicherheit zu erhalten – und das kostet dann noch viel mehr.

Ist es deiner Meinung nach sinnvoll den Forst nur aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten und hat unser Wald ein Problem?

Wir brauchen ein Mischkonzept aus Wirtschaftswald und Flächen, die der ökologischen Funktion gerecht werden. Es ist sinnvoll das Holz das wir verarbeiten lokal zu produzieren, schon alleine deshalb, weil die Transportwege dann kurz sind. Außerdem ist der Wald ein nachwachsender Rohstoff der CObindet. Ich würde nicht sagen der Wald in Deutschland hat ein Problem – der Anteil der Bewaldungsfläche ist in den letzten 30 Jahren, in denen ich das Geschehen beobachte, konstant bei rund 30% geblieben – aber die einzelnen Baumarten haben ein Problem. Ich sehe voraus, dass sich der Wald in der Artenzusammensetzung verändern wird. Denn Bäume haben ein entscheidendes Problem, sie sind zwar bei langsamen Veränderungen sehr anpassungsfähig, aber die schnellen Veränderungen, die durch den Klimawandel erzeugt werden, können Fichte, Buche und Co. nur sehr schwer kompensieren.

Unsere Probleme werden natürlich durch die Monokultur noch verstärk, aber man darf auch nicht vergessen, dass diese teilweise historisch bedingt ist, denn nach dem Krieg wurde viel Bauholz gebraucht. Und – was viele nicht wissen – wir haben einen Teil unserer Reparationszahlungen in Holz geleistet.

Was ist für dich der richtige Weg in die Zukunft?

Da sich die Auswirkungen des Wandels im Klima wahrscheinlich noch stärker zeigen werden, müssen wir mehr wagen: Ausprobieren, welche Baumarten bei uns zurechtkommen. Das gilt für den urbanen Bereich genauso wie für den Forst. Das müssen nicht unbedingt einheimische Bäume sein, sondern solche – z.B. aus Nordamerika oder dem Kaukasus – die an die Klimabedingungen, die bei uns zukünftig vorherrschen werden, besser angepasst sind. Der Vorteil des urbanen Raums gegenüber dem Forst ist, dass wir dort schon jetzt eine höhere Artenvielfalt haben. Wichtig ist, dass wir das Konzept Baum 4.0 schnell umsetzen, denn kurzfristige Lösungen wird es beim Baumbestand nicht geben.

Du hast als Lehrkraft eine besondere Vortragstechnik – Wie bindest du deine Zuhörer?

Vorträge oder Weiterbildungen müssen zwei Voraussetzungen erfüllen:

  1. Wer sich langweilt, schaltet ab. Ich muss also meine Zuhörer fesseln.
  2. Mein Publikum muss inhaltlich folgen können. Wer nur „Bahnhof“ versteht, driftet weg.

Ich habe zu Beginn zwei bis drei Minuten, in denen ich die volle Aufmerksamkeit auf mich lenken muss. Mir gelingt dies, indem ich etwas tue, was unerwartet ist. So rieseln mir schon mal Ahornblätter aus der Hose, während ich den Hörsaal betrete. Damit habe ich einen Aufhänger, um über die Entstehung der Herbstlaubfarben zu sprechen. Aber auch hier doziere ich nicht, sondern ich binde mein Publikum ein, indem ich Fragen stelle, möglichst an eine konkrete Person.

Oft bringe ich auch Exponate mit und handle daran eine bestimmte Fragestellung ab. Dabei wird das „Klassengehirn“ freigeschaltet, das im Kollektiv die Aufgabe löst. Mitmachen oder Mitdenken ist hier das Zauberwort. Dies fördere ich zum Beispiel auch, indem ich bewusst Fehler in meine Präsentationen einbaue, Fotos der falschen Baumart oder eines anderen Pilzes, als der, um den es gerade geht. Diese Fehler aufzudecken macht meinen Schülern Spaß.

“Ich erziehe meine Zuhörer dazu, nicht nur selbstständig sondern auch systemisch zu denken. Das facht Begeisterungsfähigkeit für das Thema an.”

Nicht in der Theorie zu verhaften, sondern möglichst viel der eigenen praktischen Erfahrung einfließen zu lassen ist sehr hilfreich. Damit bleiben meine Zuhörer aufmerksam.

Was war deine Motivation dich selbstständig zu machen?

Das war reiner Zufall! Ich mag Zustände nicht, die stagnieren. Alles muss einem Wechsel unterliegen, auch der Job. Ich hatte die Gelegenheit in das Betätigungsfeld des Baumgutachters hinein zu schnuppern und das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich entschieden habe meine Zeit in der Anstellung zu reduzieren und parallel erste Aufträge anzunehmen. Ich hatte damit die Absicherung des Gehalts aus der Festanstellung und konnte mich ausprobieren.

Was ist dein Erfolgskonzept, denn du betreibst kein Marketing und kannst dich – inzwischen selbstständig in Vollzeit – vor Aufträgen nicht retten?

Ich verweigere mich der Werbung nicht, ich habe schlichtweg keine Zeit dafür, weil ich mich darauf konzentriere mein Kerngeschäft zu erledigen. Fakt ist: Die Kunden finden mich. Da ich jetzt schon kaum hinterherkomme wäre Marketing kontraproduktiv, da ich mehr Aufträge gar nicht annehmen kann. Ich lebe von der Mundpropaganda, die wohl deshalb so gut ausfällt, weil ich einen sehr hohen Anspruch an meine eigene Arbeitsqualität habe. Meine Texte sind (hoffentlich) fehlerfrei und meine Schlussfolgerungen sind grundsätzlich nachvollziehbar und allgemeinverständlich. Meine Gutachten haben, so scheint es, auch einen hohen Unterhaltungswert, denn mir wurde schon zugetragen, dass sie sogar über die Weihnachtsfeiertage gelesen werden.

Mir ist auch der Punkt Ehrlichkeit gegenüber den Kunden sehr wichtig. Ich kann ohne Probleme nach einer Begutachtung sagen: „Die Situation kann ich jetzt noch nicht zu 100% einschätzen, dazu möchte ich mich gerne noch einmal beraten oder alle Einzelheiten überdenken.“ Das kommt sehr gut an, denn eine schnelle Lösung verursacht meist hohe Kosten und/oder bedeutet den Verlust des Baumes.

Ich bin vom Typus her eher emotional. Damit lebe ich, auch mit den Konsequenzen. Manchmal kommt mir das aber auch zugute, zum Beispiel bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. Da sage ich auch schon mal „Liebe Nachbarn, es geht hier um ein paar Büsche! Schaut euch an, wo euch das jetzt schon hingebracht hat, da ihr gerade erst hierhergezogen seid. Wie soll das denn weitergehen? Wo steht ihr in 10 Jahren? Schießt ihr dann mit scharfer Munition aufeinander? Bedenkt, dass ihr noch viele Jahrzehnte miteinander in Frieden leben wollt.“  Dann mache ich einen Kompromiss-Vorschlag. Oft zeigt das Wirkung.

Deine Nische definiert sich durch deine sehr spezifische Kenntnis die du dir im Laufe der Jahre angeeignet hast und sicherlich auch über den Preis, denn deine Qualität muss der Kunde sich leisten können. Hast du einen Hinweis für Selbständige, die ihre Nische noch nicht gefunden haben?

Ich finde es ist sehr nützlich früh im Leben damit zu beginnen sich auszuprobieren. Nur so finde ich heraus was Spaß macht, was gut ankommt und auch, was nicht funktioniert. Es ist ein bisschen wie Versuch und Irrtum.

„Einfach machen“ hilft auch. Manchmal ergibt sich die Nische erst über die Zeit. Zu Beginn bietet man vielleicht ein breiteres Arbeitsfeld an und reduziert dann auf das was am Besten zu einem selbst und dem angestrebten Kundenkreis passt. So hat es zumindest für mich funktioniert. Was nicht heißt, dass das Angebot innerhalb dieser Nische nicht breit gefächert sein darf. Zu schmal in den Leistungen unterwegs zu sein kann sich negativ auf den Erfolg auswirken.

Was war oder ist deine größte Herausforderung als Selbstständiger? Wie gehst du damit um? Was ist dein Tipp für andere Selbstständige?

Ich gehe mit der Herausforderung offenbar schlecht um, denn mir war zwar bewusst, dass meine Arbeitsbelastung zu hoch ist, denn ich habe über ein halbes Jahr 7 Tage die Woche gearbeitet. Aber es hat mir Spaß gemacht und mein Portemonnaie gefüllt. Es hat etwas Beruhigendes zu wissen, dass Geld kein limitierender Faktor ist. Aber Zeit kann man nicht kaufen.

Ich habe über diese Süße und den Spaß an der Sache die Warnschüsse meines Körpers übersehen oder ich habe sie nicht deuten können. Die Schwierigkeit besteht darin, die Balance zu finden zwischen dem Bedürfnis des Körpers nach Erholung und dem Bedürfnis gute Kunden zufrieden zu stellen. Ich weiß jetzt, dass ich reduzieren muss, aber wie das in der Ausgestaltung aussieht, kann ich noch nicht sagen. Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass ich Partner finde, mit denen ich vertrauensvoll zusammenarbeiten kann, damit wir die Aufträge auf mehrere Schultern verteilen können.

Mein Fazit für Selbstständige ist also: Es wird sich nicht vermeiden lassen selbst-und-ständig zu arbeiten, die „Welle zu reiten“, aber jeder muss für sich einen Weg finden die „Life-Work-Balance“ aufrecht zu erhalten. An der eigenen Einstellung zu arbeiten hilft hier sehr. Ich habe mich über den halben freien Sonntag ab 16 Uhr gefreut. Rückblickend hätte ich mir gewünscht, vorher zu merken, dass da etwas nicht mehr rund läuft. Aber dazu hat mir die Erfahrung gefehlt. Erfahrung heißt es, ist die „Summe aller Irrtümer“. Jetzt habe ich diese Erfahrung gemacht und gehe anders mit meiner Situation um, denn Qualität ist mir nach wie vor wichtig und auch Zeit ist ein Qualitätsfaktor.

Vorgestellt – Sascha Jillich

Mein Gesprächspartner heute war Sascha Jillich, der seit 6 Jahren als öffentlich bestellter Sachverständiger selbstständig ist. Nach einer Ausbildung zum Forstwirt sowie einer Weiterbildung zum Fachagrarwirt für Baumpflege hat er Arboristik in Göttingen studiert. Er unterrichtet als Dozent an der staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Gartenbau in Heidelberg angehende Fachagrarwirte für Baumpflege.

Sascha ist zu erreichen unter jillich@baumuntersuchung.eu.

Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite von Urban Tree Consulting.

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Dieses Interview ist Teil meiner Serie “Im Gespräch mit…” in der ich Menschen mit außergewöhnlichen Lebenswegen befrage, damit wir an ihren Einsichten und Inspirationen im eigenen  Business wachsen können.  Wenn Du jemanden aus Deinem Netzwerk vorschlagen möchtest, dessen Stimme gehört werden sollte, dann schreibe mich gerne an!

Gedanken zum Welt-Menopause Tag aus dem Epizentrum des Wechseljahresgeschehens

Der 18.10. ist Welt-Menopause Tag

Dieser Tag erinnert also an die letzte Regelblutung der Frau. Autsch! Tabuthema! Aber genau deshalb gibt es diesen Tag: Weil über die Wechseljahre – diese für Frauen so kritische Lebensphase – viel zu wenig offen gesprochen wird. Nicht mit dem Partner, nicht mit der Freundin und schon gar nicht mit Kollegen. Manchmal nicht einmal mit dem Arzt. Eigentlich unverständlich, denn immerhin geht die Hälfte unserer Gesellschaft durch diese Zeit, alleine in Deutschland derzeit 14 Millionen Frauen.

Ich mag den Begriff Menopause nicht, denn da macht nichts Pause. Im Gegenteil, plötzlich ist Chaos, weil die Geschlechtshormone sich mit Pauken und Trompeten verabschieden. Mein Körper muss sich auf diese Tatsache einstellen und das dauert mehrere Jahre. Was es bedeutet in den Wechseljahren zu sein, davon kann ich ein Lied singen, denn ich bin mittendrin. Wer darauf verzichten kann mich derart persönlich kennen zu lernen, dem empfehle ich jetzt auszusteigen.

Da unsere Hormone auf so ziemlich jedes Organ und fast alle Prozesse im Körper Einfluss nehmen, ist die Liste der Dinge die aus der Bahn geraten – wenn die Hormone auf und ab tanzen – nahezu unendlich. Bei mir liest sich das so: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Schwindelanfälle, Gewichtszunahme, Gelenkschmerzen, Haarausfall, Scheidentrockenheit, außerdem häufigere Blasenentzündungen und Migräneanfälle. Und nicht zu vergessen Stimmungsschwankungen mit Gefühlsanwandlungen die mir bisher völlig fremd waren, Wut zum Beispiel. Zugegeben: Ich gehöre zu dem Drittel das seine Leidensfähigkeit in besonderer Weise trainieren darf. Die gute Nachricht für alle die es noch vor sich haben: 2/3 der Frauen haben nur mäßige bis gar keine Beschwerden.

Wichtig ist, dass wir vorbereitet sind wenn es auf uns zukommt, denn sonst können uns die teils wilden (Herzrasen!), zusammenhanglos erscheinenden, Symptome ganz schön aus der Bahn werfen. Gynäkologen bestätigen, dass viele Betroffene eine Odyssee durch die Wartezimmer der Kollegen unterschiedlicher Fachdisziplinen hinter sich haben, bis einer auf die Idee kommt die Frauenärztin einzuschalten, weil es sich bei einer Frau um die 50 vielleicht um Wechseljahres-Beschwerden handeln könnte. Die Vorsorge ist übrigens umso wichtiger, wenn du an chronischen Erkrankungen wie etwa Diabetes leidest. Wir sind eben individuell und so ist auch unser Beschwerdebild.

Aber Information ist nur die eine Seite. Schön wäre, wenn man/Mann uns in dieser Zeit mit Verständnis begegnete, denn es ist schon peinlich genug, wenn uns im Meeting der Schweiß in Sturzbächen den Rücken hinunterläuft. Da können wir auf lästerlichen Flurfunk (und ob es den gibt!) gut verzichten.

Sex macht uns immer noch Spaß, aber wir genießen jetzt langsamer und mit etwas Unterstützung für die Schleimhäute.
Die Wechseljahre heißen auch manchmal die zweite Pubertät. Wenn im gleichen Haushalt Kinder leben, die gerade durch die erste Pubertät gehen, besteht Explosionsgefahr! A propos Kinder: Der Abschied von der Fruchtbarkeit ist eine Zäsur. Besonders hart kann das Frauen treffen, die frühzeitig in die Wechseljahre kommen und ihren Kinderwunsch gar nicht erfüllen können. Da platzen mit den letzten Eibläschen ganze Lebensträume. Das macht uns verletzlich.

Und zu all dem gesellen sich Gedanken über unsere Zukunft. Das Ende der Fruchtbarkeit lässt uns automatisch über das Alter nachdenken. Wir fragen uns, was in der zweiten Lebenshälfte für uns noch drin ist.

Darin liegt letztlich unsere große Chance! Wir können uns noch einmal neu erfinden, frische Ziele anpeilen, andere Wege ausprobieren. Viele Frauen schlagen einen neuen Karrierepfad ein oder nehmen Träume in Angriff, die lange aufgeschoben wurden. Das ist das Positive am Wechsel, das ich mit dem WMT verbinde.

Und weil es mir so wichtig ist den Schleier des Schweigens über den Wechseljahren zu lüften – dazu beizutragen dass wir gemeinsam stark sind – engagiere ich mich!

1. Wechseljahres-Onlinekongress in deutscher Sprache von Frauen für Frauen

Dieser wird veranstaltet vom unabhängigen Online-Magazin Lemondays, das ich in diesem Fall als Redakteurin, Moderatorin und PR-Referentin unterstütze.

Hier die Facts:

  • Titel: „Mit Knowhow und Lebensfreude durch den Hormondschungel“
  • Wann: -12.11.2020
  • Voraussetzung zur Teilnahme: Anmeldung unter https://wechseljahreskongress.online
  • Kosten: Keine Kosten, kein Haken!

Wie funktioniert die Teilnahme?

  • Während der 7tägigen Veranstaltung werden täglich E-Mails mit Zugängen zur Kongressplattform, dem Kongresskalender, Experten-Informationen und allen weiteren wichtigen Details zum Kongressablauf versendet.

Was ist Kongressinhalt?

  • Das Herzstück der Veranstaltung sind Interviews mit mehr als 25 Experten ihres Fachs, die über alles Facetten der Wechseljahre aufklären, motivieren und praktische Tipps geben. Wir haben auch einen prominenten Überraschungs-Gast.
  • Wir betrachten die Wechseljahre ganzheitlich und sprechen daher nicht nur mit GynäkologInnen (u.a. Dr. med. Anneliese Schwenkhagen), sondern auch mit Heilpraktikern (z.B. Alex Broll), Bewegungs- und Sexualtherapeuten (Ilona Tomas und Tine Möller) , Anti-Stress-Trainern (Silke Steigerwald) und Coaches (Alexandra Cordes-Guth). Wir sprechen mit der Apothekerin  Ann-Katrin Kossendey-Koch) über den Darm und über gesunde Ernährung – auch nach der traditionellen chinesischen Medizin (Katharina Ziegelbauer). Es geht um Hormonyoga (Sunita Ehlers) und den Einfluss von Umweltgiften auf unseren Hormonhaushalt (Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard). Mit Bettina Hertzler kümmern wir uns um Hüftgold und Stilfragen und nehmen uns mit der Komikerin Sabine Bode selbst ein bisschen auf den Arm.
  • Ab dem ersten Kongresstag stehen allen angemeldeten Teilnehmern täglich 3-4 neue Interviews für 24 Stunden kostenfrei zur Verfügung.
  • Wer Interviews verpasst oder später anschauen möchte, kann das Kongresspaket mit dauerhaftem Zugang zu allen Interviews bestellen.  Vor Kongressbeginn zum Schnupperpreis!

Ich hatte die große Freude einige der Experteninterviews zu führen. Was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: Die Gesprächspartner sind sich alle einig, dass die Wechseljahre kein Damoklesschwert sein müssen, sondern dass wir gut durch diese Zeit kommen können, wenn wir uns bewusst dafür entscheiden uns um uns zu kümmern, mit Achtsamkeit für die Bedürfnisse unseres Körpers und die Botschaften aus unserem Inneren über das, was an Potenzial in uns steckt.

In einem Video das wir eigens für den Welt Menopause Tag zusammengestellt haben erklären unsere Expertinnen, warum sie es wichtig finden, dass offen über die Wechseljahre gesprochen wird.

Ich möchte euch diesen Zusammenschnitt sehr ans Herz legen!

Mir hat das sehr viel Auftrieb gegeben und ich wünsche mir für euch, dass ihr ganz viel Information, Inspiration und Mut mitnehmt und vielleicht Menschen kennenlernt, die euch auf eurem Weg durch den Wechsel begleiten können.

Sehen wir uns zum Kongress? Melde dich jetzt an unter: https://wechseljahreskongress.online

Du hast Fragen zum Kongress? Dann schreibe mir gerne eine Mail an:

heike.specht@lemondays.de

Ich freue mich auf dich!

Deine

Heike