Adventskalender Interview – 24 Fragen an den Weihnachtsmann

Heute bin ich mit einer echten Celebrity zum Gespräch verabredet, dem CEO des Weihnachtsgeschenke-Express-Dienstes. Er gibt normalerweise keine Interviews. Weil ich ihm zusichere, dass er ungesehen kommen und gehen kann, macht er eine Ausnahme. Ich sitze also nach Anbruch der Dunkelheit am Wohnzimmertisch und warte. Es dauert nicht lange, da poltert es im Schornstein. Kurz darauf nippt der gut gelaunte Dicke mit Rauschebart an einer Tasse Ingwer-Tee. Sein Schlitten parkt derweil auf dem Dach unseres Lofts. Die Rentiere summen leise „Happy“ von Pharrell Williams und wippen mit dem Geweih im Takt.

1. Eine Frage vorweg, wie darf ich Sie ansprechen? Bevorzugen Sie heiliger Nikolaus, Weihnachtsmann oder Santa Claus?

Ich habe da keine Vorliebe, du kannst sagen was dir gut über die Lippen kommt. Meine Rentiere nennen mich Nico, das Christkind sagt Santa.

2. Ist Weihnachten dieses Jahr auch für den Weihnachtsmann anders?

Es ist viel schwieriger Geschenke ungesehen zu deponieren. Es sind ja alle permanent zu Hause. Und dann diese modernen Kamine! Die haben keine Schornsteine mit vernünftigem Durchmesser mehr. Deshalb bin ich vor Jahren schon dazu übergegangen einfach zu klingeln. Macht auch mehr Spaß, weil die Kinder lustige Verse aufsagen oder schräge Lieder singen.

3. Aber Sie ergreifen doch sicher besondere Sicherheitsmaßnahmen, um nicht zum Super-Spreader zu werden, bei der Menge an Haushalten, die Sie besuchen?

Ja natürlich, auch ich bin in diesem Jahr mit Maske unterwegs. Die Elfen haben sie mit ihrem Sternenstaub verziert, das sind Botschaften für die Kinder. Ich habe für jedes zu Hause eine andere.

4. Haben Sie überhaupt noch genug Geschäft? Ich könnte mir vorstellen, dass es zunehmend schwieriger wird, sich gegen Amazon, Zalando und Co. durchzusetzen.

Ganz im Gegenteil! Kooperationen im B2B-Bereich erleichtern meine Aufgabe. Früher haben die Menschenkinder einen Wunschzettel ausgefüllt, den mussten meine himmlischen Helfer abholen und die Besorgungen machen. Jetzt nimmt die Familie die Bestellung selbst vor und ich kooperiere direkt mit den Online-Shops, auch wenn ich über die Geschäftsmodelle dieser Dienstleister nicht wirklich glücklich bin. Effizienzsteigerung ist auch in meinem Business nötig, da es immer mehr Menschenkinder werden, die ich besuche.

5. Das habe ich mich schon immer gefragt: Wie schaffen Sie es, so viele Orte auf der Erde gleichzeitig aufzusuchen?

Bedenke, dass das Konzept der Zeit eure Erfindung ist, weil es euch leichter fällt, Ereignisse in lineare Abfolge zu sortieren. Ich bin auf dieses Konstrukt nicht angewiesen. Ich komme daher sehr gut zurecht.

6. Wie kommt denn eigentlich ihr Auftritt bei der jungen Generation an? Wäre als Beförderungsmittel ein E-Schlitten oder zumindest ein Hybrid nicht zeitgemäßer?

Ach Kindchen, meine Rentiere sind so ökologisch wie Beförderung nur sein kann, das  liebt die Generation „Fridays for Future“. Und Menschen aller Altersklassen stehen auf Nostalgie zur Weihnachtszeit. Mein Rentier Rudolph ist ja inzwischen populärer als ich.

7. Zerstört das Internet nicht den Glauben an Ihre Existenz? Ich könnte mir vorstellen, dass Sie vielerorts gar nicht mehr erwartet werden.

Ich weiß, dass insgeheim selbst die auf mich warten, die nicht an mich glauben. Für mich ist das gar kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer zutiefst menschlichen Sehnsucht nach Anerkennung. Auf diese Einsätze freue ich mich, weil ich hier nicht mit einem Arm voller Geschenke auflaufen muss, sondern ein gutes Gespräch führen kann. Das bringt mich selbst auch weiter.

8. Wie wird man eigentlich Weihnachtsmann oder anders gesagt, welche Ausbildung würden Sie Lesern empfehlen, die Weihnachtsmann werden wollen?

Da müssen wir unterscheiden! Ich habe eine Menge Doppelgänger, die in Einkaufszentren oder auf Weihnachtsmärkten arbeiten und sich z.B. mit Kindern ablichten lassen, oder auf Firmenfeiern die Supervision des Wichtelns übernehmen. Dazu braucht man vor allem Geduld, Humor und einen dicken Bauch. Den echten Weihnachtsmann gibt es nur einmal. Dazu wird man von höherer Stelle berufen.

9. Wie halten Sie sich fit und gesund?

Da sprichst du einen wunden Punkt an. Ich liebe Süßigkeiten und probiere gerne aus, was ich verschenke. Das Christkind schimpft mit mir, weil mein Bauch immer dicker wird. Die Engel haben sich ein Fitness-Programm ausgedacht. Wenn ich die erforderlichen Einheiten nicht schaffe, setzt mich Rudi unterwegs ab. Solltet ihr also einen leeren Schlitten am Firmament sehen, bin ich mal wieder unter meinen Möglichkeiten geblieben.

10. Mir fällt auf, dass Sie zumindest in meiner Lebenszeit keinen Tag gealtert sind. Machen Sie den Job denn immer noch gerne? Oder ist die Rente schon in Sicht?

Also das mit dem Alter ist so eine Sache. Ich bin eine Art Projektionsfläche, in der jeder sieht, was er oder sie sehen will. Mein wahres Alter ist dabei unwesentlich. Ich betrachte das was ich tue nicht als Job, sondern als Lebenszweck. Daher bleibe ich, bis ich keine Menschen mehr berühren kann.

11. Wo verbringen Sie eigentlich den Rest des Jahres? Anders gefragt: Wo wohnt der Weihnachtsmann?

Ich weiß, dass darüber viel spekuliert wird. Der Nordpol, Lappland und Grönland sind ebenso in der Diskussion wie Spanien. Die Wahrheit ist, ich bin überall da zu Hause, wo Glück entsteht. Allerdings werde ich selten erkannt, weil ich dann ohne den ganzen Weihnachtszirkus unterwegs bin.

12. In Ihrem Namen wird häufig erpresserisch gehandelt: „Wenn du nicht XY machst, dann bringt der Weihnachtsmann dieses Jahr keine Geschenke!“ Finden Sie das in Ordnung?

Ich bin recht amüsiert, wenn ich solche Formulierungen höre, denn ich kenne kein Kind, das sich dadurch ernsthaft beeindrucken lässt. Die Verunsicherten schreiben mir höchstens Briefe. Nein, das Problem sehe ich eher an anderer Stelle: Mit dem Weihnachtsmann zu drohen zeugt davon, dass der eigene Verhandlungsspielraum bereits weit geschrumpft ist. Wer diese Karte im Frühjahr ziehen muss, hat ein sehr langes Jahr vor sich…Im Übrigen stelle ich die Frage „Bist du denn auch brav gewesen?“ heute kaum noch. Es war einfach zu peinlich, wie oft statt der Kinder ihre Eltern betroffen dreingeschaut haben.

13. Sie haben zuvor über das Glück gesprochen, ist das die Währung in der Sie bezahlt werden?

Ja das stimmt. Materiell bin ich seit Jahrhunderten mit allem versorgt was ich brauche und mir und meinen Rentieren geht es gut, solange die Menschen in der Lage sind sich gegenseitig Freude zu bringen, Liebe auszustrahlen und selbstlos das Wohl des anderen im Blick zu haben, wenn auch nur für einen Augenblick.

14. Wie funktioniert eigentlich die Abgrenzung zwischen Ihnen und dem Christkind? Ich habe nie verstanden wer wann kommt.

Das ist eine Frage der Beauftragung. Wer das Christkind bestellt, bekommt auch das Christkind. Meine Marketing-Strategie funktioniert aber offenbar besser, denn ich werde deutlich häufiger angefragt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass ich etwas robuster gebaut bin. Das eher ätherische Christkind wird anders wahrgenommen. Ihr nimmt man nicht ab, dass sie einen Kühlschrank bringen kann, obwohl sie das natürlich drauf hat.

15. Und was ist Ihre Marketing-Strategie?

Ich habe die bekannteste Marke der Welt davon überzeugen können mit mir zusammenzuarbeiten. Seither reißen sich die Marketing-Strategen der Konsumgüterindustrie um meine Bildrechte. Lustig finde ich, dass mich der Hauptsponsor – die Getränkemarke – jedes Jahr mit einem neuen roten Mantel ausstattet, der dann auf allen anderen Produkten auch zu sehen ist. Diese Art von Guerilla-Marketing funktioniert seit fast 90 Jahren!

16. Gibt es irgendwelche Hürden für die erfolgreiche Ausübung ihres Business?

Natürlich! Da wir schon festgestellt haben, dass meine Währung Emotionen sind, stoße ich überall dort an Grenzen, wo positive Gefühle blockiert, unterdrückt oder durch äußere Umstände verhindert werden. Insofern ist das Weihnachtsfest 2020 eine Herausforderung, schon weil weniger Menschen zusammenkommen.

17. Und wie bemisst sich Ihr Erfolg?

Erfolg ist für mich die Summe an positiven Energien im Raum: Strahlende Kinderaugen, ein Lächeln, ein Händedruck, Freudentränen, eine Umarmung, ein „Dankeschön!“ das von Herzen kommt. Das trägt uns in den Himmel hinauf und motiviert uns für das nächste Jahr.

18. Wann ist denn der beste Zeitpunkt, um Sie zu beauftragen?

Früher – als hauptsächlich mit Wunschzetteln auf Papier gearbeitet wurde – konnte es schon mal passieren, dass mir und meinem Team etwas durchging. Heute werden alle Wünsche elektronisch erfasst. Daher ist es unwesentlich, wann der Wunsch geäußert wird. Es hilft allerdings, wenn es ein Herzenswunsch ist, von dem sowohl der Beschenkte als auch der Schenkende etwas hat. Diese Herzenswünsche bekommen einen Vermerk und werden gesondert behandelt.

19. Ich verreise gerne, vor allem zum Jahresende. Wie stellen Sie denn sicher, dass Geschenke auch dann zugestellt werden, wenn der Empfänger nicht zu Hause ist?

Das ist einfach! Jeder Wunsch wird automatisch mit dem Funkeln der Seele versehen, für die er bestimmt ist. Das ist unverwechselbar, so wie dein Fingerabdruck. Wenn ich das Geschenk zustelle, scanne ich die Erdoberfläche nach diesem Funkeln ab. Hat bisher immer geklappt.

20. Es gibt leider immer wieder Geschenke die man furchtbar findet. Was ist denn da schiefgegangen? Und wie gebe ich die zurück?

Das passiert eigentlich nur, wenn jemand ein Geschenk in deinem Namen bestellt und nicht gut genug darüber nachgedacht hat, was zu dir passt. Uns fällt das meist schon bei der Bestellung auf, aber wir dürfen uns nicht einmischen. Es wird gebracht was geordert wurde. Glücklicherweise arbeiten wir ja – wie zuvor schon erwähnt – inzwischen mit Dienstleistern zusammen, bei denen man die Geschenke problemlos zurückgeben kann.

21 a) Was sind die Top 3 der Geschenke-Liste für das Jahr 2020?

Es werden in diesem Jahr viele Bücher verschenkt, auch Sachbücher zu teilweise sehr komplexen Themen. Das ist ein Trend, den ich sehr schön finde. Außerdem stehen mobile Endgeräte hoch im Kurs und schließlich (der Weihnachtsmann verdreht die Augen) Unmengen von Toilettenpapier.

21 b) Wie stehen Sie denn persönlich dazu, dass sich die Geschenkewünsche im Laufe kürzester Zeit von Apfel, Nuss und Mandelkern zu elektronischen Unterhaltungsmedien mit teils exorbitanten Preisen verändert haben?

Es ist nicht meine Rolle die Bestellungen zu bewerten, aber mir bleibt der Anstieg der materiellen Geschenkewerte in Industrienationen natürlich nicht verborgen. Ich vermute das hängt mit dem System zusammen, das ihr Kapitalismus nennt. Bei Kindern kommt die soziale Kontrolle noch hinzu. Da wird nach den Schulferien verglichen, wer ein Smartphone bekommen hat und wer lange Unterhosen. Euer System belohnt nicht gerade die mit der wetterfesten Kleidung.

22. Werde ich und meine Leser auch etwas bekommen?

Zumindest dieses Interview!

23. Hat denn der Weihnachtsmann auch einen Wunsch für Weihnachten 2020?

Ich wünsche mir, dass ihr eurer Intuition vertraut, dass ihr achtsam werdet für eure eigenen Bedürfnisse und die derer um euch herum und schließlich, dass ihr von euren Kindern lernt die Welt mit Neugier zu betrachten, so als würdet ihr sie zum ersten Mal sehen.

24. Was möchten Sie den Menschen die diesen Blog lesen sonst noch mit auf den Weg geben?

Ich teile mit euch zum Abschluss gerne meine 10 Nikolaus´schen Prinzipien:

  1. Locker bleiben
  2. Regelmäßig Pausen machen – ab in die Natur!
  3. Selbstbewusstsein heißt, sich des eigenen Wertes bewusst sein
  4. Hilfe in Anspruch zu nehmen ist ein Zeichen der Stärke
  5. Atmen – Muskeln entspannen
  6. Wasser trinken
  7. Fehler als Chancen zum Wachstum nutzen
  8. Gut vorbereitete Kommunikation ist besser als schlecht vorbereitetes Schweigen
  9. Positive Gedanken erzeugen positives Handeln erzeugt positive Ergebnisse
  10. Nie ohne Schal, Mütze, Handschuhe und Sonnenmilch aus dem Haus!

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Gerne geschehen. Ich muss jetzt auch weiter… Ho, ho, ho!

Bildnachweis: Photo by Lynda Hinton on Unsplash