Im Gespräch mit Alexis Katechakis über Nachhaltigkeit – Teil 2

Dieses Interview ist die Fortsetzung des Gesprächs mit Dr. Alexis Katechakis, Experte für Nachhaltigkeit und einer der Geschäftsführer von fors.earth, einer führenden Strategieberatung für Nachhaltigkeit in Deutschland. Im ersten Teil haben wir Nachhaltigkeit definiert, über planetare Grenzen und Kipppunkte gesprochen und aufgezeigt, warum sich eine nachhaltige Unternehmensstrategie lohnt. Dieses Gespräch findest du hier.

Im zweiten Teil geht es darum, wie nachhaltige Unternehmensstrategien aussehen können und welche Ziele damit für die Unternehmen und für uns als Gesellschaft angestrebt werden.

Alexis, was steckt hinter einer nachhaltigen Unternehmensstrategie?

Ich möchte mit einem Beispiel beginnen. Ein Automobilhersteller kann sich fragen, welche Antriebsarten vor dem Hintergrund des Klimawandels noch Zukunft haben. Wir haben zum Beispiel bei Volkswagen dazu beigetragen, dass man nun die Elektromobilität vorantreibt. Noch weiter in die Zukunft geblickt, stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch Autos verkaufen will, oder eher Mobilitätsdienstleistungen. Ein anderes Beispiel: Ein Hersteller von Nahrungsmitteln steht heute vor der Herausforderung, Ernährung so mitzugestalten, dass sie gesund, bezahlbar und zudem nach ökologischen und sozialen Kriterien verantwortungsvoll produziert ist. Schmecken soll es natürlich auch noch. Alles unter einen Hut zu bringen, ist keine leichte Aufgabe. Sie zu lösen braucht nicht nur Innovationskraft. Es sind auch strategisches Geschick und Partnerschaften notwendig, um am Ende die richtigen Produkte zur richtigen Zeit am richtigen Ort anzubieten.

Ähnliche Transformationsprozesse begleiten wir auch in anderen Branchen: Energie, Chemie, Immobilien, Finanzen, im Tech-Bereich und seit Kurzem auch im Sport.

Eine der zentralen strategischen Fragen, mit denen wir uns hierbei beschäftigen, ist: Wie können wir unseren Kunden dabei helfen, ihr Kerngeschäft wettbewerbs- und zukunftsfähig aufstellen? Wettbewerbsfähig im Hinblick darauf, was ein Unternehmen kann, welche Expertise und Erfahrung es hat, welche originären Ziele es verfolgt – die „Inside-out-Perspektive“. Zukunftsfähig aus Sicht der zunehmenden Erwartungen der Gesellschaft, dass ein Unternehmen Lösungen zu Nachhaltigkeitsherausforderungen beitragen, einen Nutzen generieren soll – die „Outside-in-Perspektive“. Wie beides zusammenhängt, darüber sprachen wir bereits im ersten Teil des Interviews. Unternehmen, die diese Zusammenhänge ignorieren oder sich nicht schnell genug entwickeln, laufen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Heute gilt: „No business is too big to fail.“. Nicht mehr akzeptierte bzw. gesellschaftlich nicht mehr gewollte Geschäftsmodelle müssen unter Umständen aufgegeben werden. – Wer den Puls der Zeit verpasst, verschwindet vom Markt. Das gilt auch für das Nachhaltigkeitsthema. Das hat massive Veränderungen zur Folge, insbesondere für die Rolle der Führungskräfte und Unternehmenslenker.

Welche Herausforderungen muss das Unternehmen denn meistern auf dem Weg zu einer nachhaltigen Unternehmensstrategie?

Die größte Herausforderung besteht darin, die gesellschaftlichen Erwartungen und politischen Ziele auf den unternehmerischen Kontext und in ökonomischen Erfolg zu übersetzen.

Wie funktioniert das? Wie helft ihr Unternehmen konkret, um zu einer nachhaltigen Unternehmensstrategie zu kommen? Wie arbeitet ihr von fors.earth mit den Unternehmern zusammen?

Wir beginnen in der Regel mit internen Analysen. Wir möchten verstehen, was ein Unternehmen oder eine Organisation in Sachen Nachhaltigkeit antreibt. Warum wollen sie das Thema strategisch angehen? Wo stehen sie bereits? Haben sie schon ein konkretes Ziel? Hierauf basierend schärfen wir die Ausgangslage, Zielsetzung und Stoßrichtung, Uns ist dabei die Ernsthaftigkeit sehr wichtig, wirklich einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft leisten zu wollen. Rein wirtschaftliche oder kommunikative Gesichtspunkte genügen uns nicht.

Im nächsten Schritt betrachten wir das Umfeld des Unternehmens und führen Wesentlichkeitsanalysen durch. Wir arbeiten kurz gesagt heraus, auf welche der vielen Nachhaltigkeitsthemen das Unternehmen aus seinem Kerngeschäft heraus überhaupt einen Einfluss hat. Wo kann es einen positiven Beitrag leisten? Und wir schauen, welche Erwartungen die Stakeholder diesbezüglich an das Unternehmen haben: Kunden, Geschäftspartner, die eigenen Mitarbeiterinnen, NGOs, die Gesellschaft im Allgemeinen. Idealerweise können wir aus beiden Perspektiven eine Schnittmenge bilden.

Wir sehen uns auch an, was der Wettbewerb macht und welche rechtlichen Rahmenbedingungen es gibt bzw. welche zu erwarten sind.

Diese Umfeld- und Wesentlichkeitsanalysen sind sehr wichtig, um sich auf die richtigen Themen zu fokussieren und die verfügbaren personellen und budgetären Ressourcen optimal einzusetzen. Die Planetary Boundaries, über die wir bereits im ersten Interview gesprochen haben, und die sogenannten Sustainable Development Goals oder SDGs der Vereinten Nationen sind dabei leitgebend für uns.

Basierend auf den Ergebnissen entstehen konkrete Zielbilder, Ambitionsniveaus und Handlungsfelder, die in der Regel mit den Geschäftsleitungen abgestimmt werden.

Wir berücksichtigen hierbei die gesamte Wertschöpfungskette und sehen uns die Lebenszyklen der Produkte genau an. So kann sich zum Beispiel herausstellen, dass der Produktionsprozess einen sehr viel kleineren Einfluss auf Nachhaltigkeitsparameter hat als die Phase der Nutzung durch den Endverbraucher. Oder dass die großen Hebel in der Lieferkette liegen. Es ist ein großer Schritt und ein Erfolgserlebnis für uns, wenn ein Unternehmen für die gesamte Wertschöpfungskette Verantwortung übernimmt – von der Rohstoffgewinnung über die Zulieferung und Produktion bis hin zur Nutzungsphase und einer möglichen Wiederverwertung.

Bei strategischen Entscheidungen steht auch die Frage im Raum, ob dem Unternehmen die rechtliche und gesellschaftliche Akzeptanz genügen, oder ob es den Anspruch hat, im Wettbewerb Benchmark zu sein und sich mit den verfügbaren Stellschrauben für eine nachhaltige Entwicklung im Markt zu positionieren und sich damit auch von der Konkurrenz zu differenzieren.

„Es ist ein Missverständnis, dass nachhaltiges Verhalten mit Transparenz gleichzusetzen sei. Viele Dinge passieren hinter den Kulissen und werden nicht nach außen getragen. Nachhaltigkeit ist in vielen Branchen zum Wettbewerbsfaktor geworden.“

Du hast die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen gerade angesprochen. Was hat es damit auf sich?

Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die sogenannten Sustainable Development Goals oder SDGs, definiert, an denen wir uns orientieren. Sie sind mit derzeit 169 Unterzielen hinterlegt, welche die Leitplanken für unsere gesellschaftspolitische Entwicklung bis 2030 setzen. Die SDGs sind als Spezifizierung oder Weiterentwicklung der Brundtland-Definition von Nachhaltigkeit zu verstehen und lassen sich drei Bereichen zuordnen: Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Das SGD 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“, eint alle Dimensionen und unterstreicht, dass eine Erreichung der Ziele nur gemeinschaftlich möglich sein wird.

Zum Teil handelt es sich noch um Absichtserklärungen. Die Ziele konkretisieren sich aber immer weiter und finden zum Beispiel auch im Green Deal, der EU-Taxonomie oder im Entwurf zum Lieferkettengesetz ihre rechtlichen Ausprägungen. Unsere Aufgabe ist, diese gesellschaftspolitischen Ziele betriebswirtschaftlich greifbar zu machen.

Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/nachhaltigkeitsziele-verstaendlich-erklaert-232174

Für Unternehmer ist es wichtig zu verstehen, dass die drei Ebenen nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, sondern Teil eines Ganzen sind. Nur aus diesem Verständnis heraus können Entscheidungen gefällt werden, die das Unternehmen tatsächlich nachhaltiger machen und unsere Freiheitsgrade wieder vergrößern. Die Kunst ist, den Mittelweg zu finden zwischen „business as usual“ und „100% nachhaltig“, damit sich das Unternehmen weiterhin innerhalb des Aktionsraums bewegt, in dem seine wirtschaftliche Handlungsfähigkeit gewahrt bleibt. Und weil das Feld dynamisch ist, müssen sich die Unternehmen immer wieder neu orientieren und die nächsten Schritte planen. Keine leichte Aufgabe, aber dafür gibt es ja uns.

Kannst du an ausgewählten Beispielen die unterschiedlichen Ansätze klar machen?

 Sehr gerne! Nehmen wir ein Beispiel aus der Energiebranche: Ein Energieerzeuger kann sich entscheiden, weiter auf fossile Energieträger zu setzen, auch wenn klar ist, dass er damit zum Klimawandel beiträgt. Das wird auf Dauer nicht gutgehen, wie man an den großen Energieunternehmen sieht. Sie laufen Gefahr, sich in den „Nicht-Nachhaltigkeitsraum“ zu katapultieren, wo es irgendwann keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr gibt und es dann auch mit der „License to operate“ durch den Gesetzgeber nicht mehr klappt. Das Unternehmen könnte sich auch entscheiden, von einem Tag auf den anderen nur noch auf regenerative Energien zu setzen. Dies birgt aber ob der langen Planungszyklen und Amortisationszeiten betriebswirtschaftliche Risiken. Mit der MVV Energie haben wir vor Jahren einen Mittelweg gezeichnet, der einen sukzessiven Transformationsprozess hin zu mehr Nachhaltigkeit ermöglicht.

Dann gibt es Unternehmen, die ursprünglich nicht gegründet wurden, um selbst Profit zu machen, sondern um andere Geschäftskonzepte nachhaltiger zu gestalten. Streetscooter ist ein Beispiel: Die Deutsche Post wollte Elektroautos mit spezifischen Anforderungen für ihre Auslieferungsflotte, um ihre CO2-Emissionen zu senken. Die etablierten Automobilhersteller sind darauf nicht eingestiegen. Also hat die Post das Konzept mit der RWTH Aachen durchgezogen und zwar so erfolgreich, dass nun auch Nachfrage anderer nach diesen Modellen besteht.

Schließlich gibt es Unternehmen, deren Unternehmenszweck direkt an die Nachhaltigkeit gekoppelt ist. Hier helfen wir bei der Geschäftsfeldentwicklung. Als Beispiel möchte ich agrilution nennen, die wir seit ca. 8 Jahren begleiten. Das Unternehmensziel ist die dezentrale und nachhaltige Nahrungsmittelproduktion im urbanen Raum. Das Produkt ist der „Plantcube“, in dem man im eigenen Haushalt Kräuter und Salate züchten kann, gesteuert über das Smartphone. Agrilution wurde inzwischen von Miele gekauft. Ein weiteres Beispiel in dieser Kategorie ist Veramaris. Bei diesem Unternehmen geht es darum, Aquakultur nachhaltiger zu machen: Statt Fische im Meer zu fangen, diese zu Fischöl zu verarbeiten und dann in der Fischzucht an andere Fische zu verfüttern, hat Veramaris einen Weg gefunden, Fischöl durch Algenöl zu ersetzen. Die Algen können in großen Tanks kultiviert werden. Damit besteht die Möglichkeit, zum Beispiel Lachszucht zu betreiben, ohne marine Ressourcen auszubeuten. Wenn man solche neuen Geschäftsmodelle etablieren möchte, muss die gesamte Wertschöpfungskette an einem Strang ziehen – SGD 17. Im Fall von Veramaris haben wir Futtermittelhersteller, Farmer, Logistiker und Händler an einen Tisch gebracht. Das ist noch nicht die Garantie für Erfolg. Natürlich muss sich das am Ende auch für alle rechnen. Wirtschaftliche Aspekte spielen eine große Rolle. Und es hilft, wenn man eine gewisse Marktmacht hat. Hinter Veramaris stehen DSM und Evonik, zwei weltweit agierende Unternehmen die gemeinsam 15% des weltweiten Aquakulturmarktes beeinflussen können.

In der Regel arbeiten wir aber mit etablierten Unternehmen, die sich in Sachen Nachhaltigkeit und Corporate Responsibility weiterentwickeln wollen, weil sie spüren, dass Ansätze wie Corporate Citizenship, d.h. ein Fokus auf Spenden und Sponsoring, oder die Arbeit mit Umweltmanagementsystemen oder reine Berichterstattung nicht mehr genügen. Sie wollen oder müssen die Themen ins Kerngeschäft bringen, d.h. auf die Ebene ihrer Produkte und Dienstleistungen. Kaufland ist ein solches Beispiel. Hier liegt der große Hebel im Sortiment, das sukzessive nach klar definierten Kriterien nachhaltiger gestaltet wird. Ein Beispiel aus dem öffentlichen Sektor sind die Deutschen Jugendherbergen, die auf dem besten Wege waren, sich zu einem Hotelleriebetrieb zu entwickeln, und die sich mit uns auf den Kern ihrer Satzung zurückbesonnen haben und sich jetzt verstärkt auf das Thema nachhaltige Bildung konzentrieren – etwas was Hotels üblicher Weise nicht machen.

Wie gestaltet Ihr diese Veränderungsprozesse? Wie bringt Ihr den Zug ins Rollen?

Es ist entscheidend die Menschen zu erreichen. Uns ist es wichtig, nicht nur Prozesse zu etablieren, sondern auch ein Bewusstsein der Akteure für die Themen zu entwickeln und ihre innere Haltung zu beeinflussen, den Willen zu erzeugen, ganze Systeme gemeinsam nachhaltiger zu gestalten. Das wirkt sich über die Zeit auf die Unternehmenskultur aus und von da an passieren viele Dinge von alleine.

Ein wichtiger Erfolgsfaktor sind Führungskräftetrainings zum Thema Nachhaltigkeit und der strategischen Relevanz. Jede Führungskraft ist ja in erster Linie Mensch und Teil der Gesellschaft. Wir vermitteln den Managerinnen und Managern die Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen für ihr eigenes Leben und für ihr Umfeld. Dann zeigen wir ihnen auf, dass sie im Unternehmen Hebel haben, die sie bewegen können, um den Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Entwicklung aktiv mitzugestalten. Nicht nur zum Wohle der Gesellschaft, sondern auch für das eigene Unternehmen und letztendlich für sich selbst, den Menschen, die ihnen nahe sind.

Veränderungen in diesem Bereich können durch einzelne Menschen im Unternehmen angestoßen werden. Und wenn der Zug erst einmal ins Rollen gekommen ist, wie Du sagst, ist er häufig nicht mehr zu stoppen. Dann gibt es kein Zurück mehr.

Wir wollen damit erreichen, dass Eigendynamiken entstehen, die über die eigenen Werkstore hinausreichen und entlang von Wertschöpfungsketten im In- und Ausland wirken – bis hin zu Wertschöpfungsnetzen mit Quervernetzungen multipler Branchen. Dabei kommen Mechanismen in Gang, welche die Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit verstärken.

Unser größtes Projekt in diesem Zusammenhang ist bislang das #Project1Hour, das wir mit Volkswagen entwickelt und umgesetzt haben: Anlässlich des Earth Day haben sich alle 660.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Konzerns weltweit 1 Stunde mit dem Thema Klimawandel beschäftigt, ihren eigenen CO2-Fußabdruck berechnet und gemeinsam überlegt, was sie persönlich und im Team gegen die Klimaveränderung tun können. Hieraus entstehen derzeit viele weitere Projekte, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einbringen – sowohl kleine Maßnahmen, die andere inspirieren sollen, als auch große, wo sich zum Beispiel ganze Geschäftseinheiten mit Tausenden von Angestellten gemeinsame und persönliche Ziele setzen.

Seid ihr eigentlich eine klassische Unternehmensberatung? Wo wollt ihr denn selbst noch hin?

Unser Ziel als fors.earth ist es, vernetzter zu arbeiten und das Geschäft international auszubauen. Wir wachsen stetig und haben trotzdem keine klassischen Organisationsstrukturen. Es ist vielmehr so, dass wir dezentral und möglichst hierarchiefrei arbeiten und uns immer wieder neu erfinden. Wir verstehen uns als Plattform, auf der man neue Ideen entwickeln kann und wo jeder Verantwortung übernimmt. Wichtig ist uns, dass wir unsere Zeit und unsere Expertise so einsetzen, dass wir Wirkung entfalten.

Akquise machen wir kaum. Die Kunden kommen in der Regel zu uns. Wir stellen dann immer häufiger die Frage, warum wir für sie arbeiten sollten. Denn unser Claim ist: „Wir arbeiten für die, die es ernst meinen.“  Dahinter stecken für uns zwei Aspekte: Zum einen wollen wir sehen, dass sich ein Unternehmen entwickelt. Es darf gerne länger dauern, aber wenn es nur darum geht, punktuell einzelne Projekte zu machen, um eine gute Story für das Marketing oder die PR zu generieren, dann steigen wir aus. Das andere ist Wirkung. Daher arbeiten wir gerne mit großen Unternehmen zusammen, denn wenn diese sich verändern, dann hat das „Wumms“, also messbare Auswirkungen auf den Markt weltweit.

Lieber Alexis, ich danke dir, dass du dir so viel Zeit für diese Vorlesung in Sachen Nachhaltigkeit genommen hast, ein Thema das meinen Lesern so wichtig ist, dass sie es auf die Wunschliste 2021 gesetzt haben.

Das habe ich gerne gemacht, denn auch für mich ist es ein Herzensanliegen!

Vorgestellt – Dr. Alexis Katechakis

Alexis hat Biologie und Sustainable Resource Managament an den Universitäten Göttingen, Kiel und München studiert. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR) wechselte er in die Wirtschaft und sammelte Erfahrung als Pressesprecher, PR-Berater und Investor Relations Manager mit Fokus auf Produkt-, Unternehmens- und Krisenkommunikation. Heute ist er Geschäftsführer von fors.earth, einer führenden Strategieberatung für Nachhaltigkeit in Deutschland. Seine Schwerpunkte sind CR-Strategieentwicklung, Change Management, Trainings, Workshops und Moderation. Und wenn dann noch Zeit ist, bietet er mit „Into the Wild“ naturkundliche Exkursionen zwischen Ammersee und Andechs an, nicht nur für Unternehmensvertreter.

Weitere Informationen zum Angebot von fors.earth gibt es im Internet unter: https://www.fors.earth/de/home.html

Alexis ist zu erreichen unter: alexis.katechakis@fors.earth

Dieses Interview ist Teil meiner Serie “Im Gespräch mit…” von und für Menschen, die inspirieren, vernetzen, verändern und eine positive Einstellung ins Leben tragen.

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Im Gespräch mit Dr. Alexis Katechakis über Nachhaltigkeit – Teil 1

Dem Menschen mit dem ich heute zum Gespräch verabredet bin, wurde die Liebe zur Natur in die Wiege gelegt: Sommerurlaube bei den Großeltern auf der Insel Kreta wecken sein Interesse an Biologie und der Wildnis. Mit 16 Jahren verbringt er Zeit in Camp Celo, inmitten der Blue Mountains North Carolinas. Jetzt faszinieren ihn die größeren Zusammenhänge. Er verschlingt die wissenschaftliche Arbeit „Limits to growth“, über die Lage der Menschheit, die in den 70er Jahren im Auftrag des Club of Rome am Massachusetts Institute of Technology erstellt wird und Furore macht. Zum ersten Mal werden auf Basis von Computersimulationen die globalen Auswirkungen individuellen Handelns beschrieben. Die Szenarien geben die Stoßrichtung vor, die heute noch weitgehend Gültigkeit hat. Das ist für Alexis die Initialzündung, um sich mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander zu setzen, auch wenn der Begriff erst viel später wirklich an Bedeutung gewinnen wird. In seiner Diplom- und Doktorarbeit beschäftigt er sich mit Nährstofflast und Nährstoffstöchiometrie im Meer und der Frage, wie lange sich dieses von Menschen beeinflusste System stabil verhält und wann es kippt. Er sagt: „Ich glaube es gibt Dinge, die schon immer in einem drin sind und die man findet, wenn man in sich hineinhört. So ist es bei mir mit der Nachhaltigkeit. Mich hat nicht mehr losgelassen, dass alles mit allem zusammenhängt und so wurde meine Reise immer konkreter.“ Heute ist Dr. Alexis Katechakis einer der Geschäftsführer von fors.earth, einer führenden Strategieberatung für Nachhaltigkeit in Deutschland.

Alexis, ich habe den Eindruck der Begriff Nachhaltigkeit ist auf dem besten Wege das gleiche Schicksal zu erleiden wie die „Ganzheitlichkeit“: Abnutzung durch inflationären Gebrauch. Lass uns doch zum Einstieg klären, wie Nachhaltigkeit tatsächlich definiert ist.

Sehr gerne! Die sogenannte Brundtland-Definition der Vereinten Nationen lautet: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Möglichkeit zukünftiger Generationen einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.“

Darin stecken verschiedene Aspekte, nämlich zum einen die Definition des Begriffs „Bedürfnisse“, mit dem nicht etwa die materiellen Dinge gemeint sind, die wir in den Industrienationen als selbstverständlich ansehen, sondern Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, um ein gutes Leben zu führen. Konkret heißt das: Ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, Zugang zu Bildungs- und Gesundheitssystemen und soziale Vernetzung. Kurzum, alles was uns als Mensch ausmacht, mit dem Gedanken, dass sich darum niemand sorgen sollte.

So wie wir uns allerdings heute verhalten, geht es häufig entweder zu Lasten anderer Menschen oder zu Lasten der Natur bzw. unserer natürlichen Lebensgrundlagen.

Der zweite Aspekt, der in der Brundtland-Definition steckt, ist der intergenerationelle Aspekt. Daraus geht die Verantwortung für zukünftige Generationen hervor. Insofern ist die Definition eigentlich ein Leitbild oder eine Vision.

Klassische Fragen, die mit Nachhaltigkeit verbunden sind, lauten etwa: Was sind unsere Lebensgrundlagen? Wie können wir sie erhalten? Wie kann man sie messen und wo wirken verschiedene Arten von Kipppunkten? Wie lange bleibt das System stabil und ab wann reagiert es unvorhersehbar?

Ein wichtiges Konzept in diesem Zusammenhang sind die sogenannten planetaren Grenzen, die «Planetary Boundaries». Es wurde 2009 von einem Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Johan Rockström am Stockholm Resilience Centre veröffentlicht. Darin stecken Parameter wie Klimawandel und Meeresversauerung, Artenvielfalt und die Funktionsweise von Ökosystemen – die ein großes Thema sind mit vielen ungeklärten Fragen – aber auch die Freisetzung von neuartigen Substanzen, die wir im Laufe der letzten Jahrzehnte erfunden haben, deren Einfluss wir aber bis heute nicht quantifizieren können.

Planetary Boundaries – Abbildung mit freundlicher Genehmigung der Stockholm University

Du hast gerade von den Kipppunkten gesprochen. Was passiert denn, wenn wir diese überschreiten?

In vielen Bereichen wissen wir dies noch nicht. In anderen sehr gut. Wir wissen inzwischen zum Beispiel sehr genau, wie und ab wann der vom Menschen verursachte Klimawandel lebenserhaltende Systeme beeinflusst und das tut er ja bereits. Wir können voraussagen bzw. beobachten, wie sich erhöhte Temperaturen auf die Gletscherschmelze, das Absterben von Korallenriffen oder den Jet-Stream auswirken. Die Frage, die sich stellt, ist, können wir noch zum „alten“ stabilen System zurückkehren, oder wird ein alternatives stabiles System entstehen? Auf das Klima bezogen kann dies im Extrem zu einer sogenannten Hothouse Earth führen, einer Heißzeit auf der Erde. Ob diese für uns dann noch in dem Maße bewohnbar wäre, wie heute, ist schwer zu sagen.

Allgemein wird wissenschaftlich gerade diskutiert, ob bereits ein anderes Erdzeitalter begonnen hat, das Anthropozän. Wir leben ja bislang im Holozän, das nach der letzten Eiszeit vor ca. 12 000 Jahren begonnen hat. Das ist quasi der Wimpernschlag der Menschheitsgeschichte, in dem wir uns von Jägern und Sammlern über die Seßhaftwerdung und Industrialisierung zu unseren heutigen Gesellschaftsformen entwickelt haben, mit denen viele Nachhaltigkeitsprobleme entstanden sind. Die Wissenschaft diskutiert also jetzt, ob wir durch unser Handeln das System bereits soweit beeinflusst haben, dass man erdgeschichtlich von einem neuen Zeitalter sprechen kann. Die Entscheidung darüber soll noch in diesem Jahr anstehen.

Wie können wir denn verhindern, dass die planetaren Grenzen überschritten werden?

Alles beginnt mit den Fragen: Wie leben wir, welche Ansprüche haben wir und wofür sind wir am Ende auch bereit, Geld auszugeben, was ist uns was wert? Viele lebenserhaltende Leistungen, sogenannte Ökosystemleistungen oder «Ecological Services» sind zum Beispiel nicht in unser Wirtschaftssystem eingepreist. Wir zahlen in der Regel nichts für saubere Luft, sauberes Wasser oder gesunde Böden. Wir gehen davon aus, dass sie einfach zur Verfügung stehen. Obwohl sie für unser Überleben elementar sind, berücksichtigen wir die Kosten für ihren Schutz und ihren Erhalt kaum. Man spricht deshalb in der Ökonomie auch von «Externalitäten». Wenn man solche Ökosystemleitungen internalisieren würde, hätte dies Einflüsse auf die Preise von Gütern und Konsummuster. Und es würden neue Geschäftsmodelle entstehen: Landwirte würden dafür bezahlt werden, Biodiversität, also Lebensvielfalt, zu schützen. Forstbetriebe und Waldbesitzer bekämen dafür Geld, dass Bäume CO2speichern und Waldboden Wasser filtert, usw..

„Penny“ hat kürzlich in einzelnen Läden den Versuch unternommen, neben dem regulären Preis seiner Produkte einen „true cost“-Preis auszuzeichnen. Dieser hat die Ausgaben für das Ökosystem oder soziale Dienstleistungen mitberücksichtigt. Ziel war zu schauen, ob es die Kaufentscheidung der Kunden beeinflusst. Dies ist ein Beispiel für Entwicklungen, die jetzt immer mehr kommen.

Die zentrale Frage ist, wie wir unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme so gestalten können, dass sie möglichst stabil und resilient sind, das heißt, auch nach Störungen wieder in einen für uns lebenswerten Zustand kommen.

„Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir zwar viele unserer lebenserhaltenden Systeme kennen, aber nicht genau wissen, wo die planetaren Grenzen tatsächlich liegen.“

Aber wir können viele Bereiche inzwischen sehr gut modellieren und wissen daher, in welche Richtung wir uns bewegen müssen. Die Rechenkapazität, die uns heute zur Verfügung steht, erlaubt es uns, immense Mengen an Daten zu sammeln und global miteinander zu vernetzen. Dies ermöglicht es uns, Wirkzusammenhänge darzustellen, Dynamiken zu erkennen und Rückkopplungsschleifen aufzudecken, also sich selbst verstärkende oder abschwächende Prozesse.

Shell hat beispielsweise schon 1988 eine Studie in Auftrag gegeben, ‘The Greenhouse Effect’, in der die Folgen eines „business as usual“ für das Klima sehr genau vorausgesagt wurden. Diese Folgen spüren wir jetzt immer deutlicher. Shell hat die Studie damals dennoch unter Verschluss gehalten und entschieden, erst einmal wie gehabt weiterzumachen.

Nicht zuletzt lernen wir natürlich auch aus Erfahrung. Wir haben in der Vergangenheit Fehler gemacht, aus denen wir Konsequenzen gezogen haben. Der Zusammenhang zwischen FCKWs und dem Ozonloch zum Beispiel. Hier war es noch relativ einfach gegenzusteuern, weil der politische Wille stark war und es nur wenige Hersteller gab. 

Warum brauchen wir deiner Ansicht nach eine Diskussion über planetare Grenzen und Nachhaltigkeit auch in Unternehmen?

Zwei wesentliche Änderungen sind in den letzten Jahren massiv spürbar. Erstens, das Bewusstsein für diese Themen und die Zusammenhänge steigt in der Gesellschaft. Das erkennt man schon daran, welchen Raum sie in der medialen Berichterstattung inzwischen einnehmen, auch wenn das derzeit von Corona etwas überlagert wird. Die Themen sind im Fokus der Gesellschaft.  Die Motivation sich damit zu beschäftigen kommt daher, dass der Druck steigt. Wir erkennen, dass wir in einem geschlossenen System leben, von dem wir abhängen. Außer der Energie, die von der Sonne und damit von außen kommt, sind die Ressourcen auf diesem Planeten die einzigen die wir haben. Wir spüren das an verschiedenen Enden und damit werden die Themen auch für den einzelnen Menschen bedeutsamer. 

Der Preis, den wir für unseren Wohlstand zahlen ist, dass wir uns selbst zunehmend unsere Freiheitsgrade einschränken: Global betrachtet hat der Wohlstand zwar zugenommen, die Lebensqualität hat sich verbessert, trotz Bevölkerungswachstum. Das Ganze hat aber eine Kehrseite. Denn unser materielles Wachstum geht zu Lasten von natürlichen Ressourcen, der Regenerationskraft der Erde und auch sozialer Systeme. Im Großen und Ganzen geht der Lebensstil in den Industrienationen auf Kosten der Menschen in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern.  Dies wird immer weniger akzeptiert.

„Die Herausforderung vor der wir als Gesellschaft aber auch als Unternehmer stehen ist, wie wir unsere Freiheitsgrade wieder erweitern können.“

Es ist zweitens unsere Überzeugung und spiegelt unsere Erfahrung wider, dass zunehmend jene Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sein werden, die Lösungen zu Nachhaltigkeitproblemen beitragen .

In den letzten Jahren erkennen immer mehr Unternehmen die strategische Bedeutung von Nachhaltigkeitsthemen für ihren Geschäftserfolg, für ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Es geht nicht mehr «nur» um Spenden und Sponsoring, um das Einhalten rechtlicher Vorgaben oder Berichterstattung. Es geht um die Frage, welchen Mehrwert, welchen Nutzen, ein Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen stiftet. Das ist auch der Grund, warum wir 2016 fors.earth gegründet haben. Weil wir festgestellt haben, dass Nachhaltigkeitsthemen in den Unternehmen einen anderen Reifegrad erreicht haben und strategisch angegangen werden müssen. Es geht dabei um Transformation, konkret um die Beantwortung der Frage, was ich aus meinem Kerngeschäft heraus im Sinne der Nachhaltigkeit Positives leisten kann, wie ich Nutzen, einen Mehrwert für meine Gesellschaft schaffen kann

Ein Problem für Unternehmen – zusätzlich zur Komplexität der Themen und ihrer Zusammenhänge – ergibt sich aus der beschleunigten Dynamik und nicht-linearen Zusammenhängen. Abzuwarten und später zu entscheiden wie man handeln will, das geht heute nicht mehr. Es erfordert Mut, ohne alle Zahlen, Daten und Fakten zu kennen, in eine neue Richtung zu steuern, das „Richtige” zu tun.

Was haben Unternehmer davon so mutig ins Ungewisse zu springen?

Wir bei fors.earth erklären das gerne mit dem „systemischen Wert“. Dieser bemisst sich als Quotient aus Nutzen und Fußabdruck. Je größer der gesellschaftliche und ökologische Nutzen gegenüber den gesellschaftlichen und ökologischen Kosten, desto größer ist die Wertschöpfung und damit der wirtschaftliche Erfolg.

Das erfordert natürlich einen Blick in die Zukunft, um genau die Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die im sich verändernden Umfeld der Nachhaltigkeitsherausforderungen tatsächlich gebraucht werden.

Einzelne Unternehmen schließen strategisch eine Wette auf die Zukunft ab, Tesla beispielsweise. Sie sagen: „Wir sehen wo die Reise hingeht. Wir investieren, auch wenn sich das wirtschaftlich erst einmal noch nicht rechnet. Wir haben das Vertrauen, dass wir irgendwann in den wirtschaftlich lukrativen Bereich kommen werden.“ Das ist, was gerade tatsächlich passiert.

Mit diesem proaktiven Blick in die Zukunft wird ein Unternehmen auch von gesetzlichen Rahmenbedingungen – die sich weiter verschärfen – nicht so hart getroffen wie andere, die diese proaktive Haltung nicht einnehmen.

Des Weiteren klappt es mit einer Strategie, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, auch besser mit der gesellschaftlichen Akzeptanz. Und schließlich ist es schlicht auch eine Frage der Finanzierung, denn Investoren achten natürlich darauf, Unternehmen zu unterstützen die wettbewerbs- und zukunftsfähig sind. Unternehmen, die sich in puncto Nachhaltigkeit fit machen, sind für immer mehr Investoren besonders interessant.

Treffen denn Konsumenten heute schon eine bewusste Kaufentscheidung für Produkte von Unternehmen mit strategischem Nachhaltigkeitsansatz?

Das ist der Wunsch, aber es ist leider nach wie vor die Ausnahme. Nichtsdestotrotz beobachten wir eine zunehmende Erwartung von Verbrauchern, dass Produkte und Dienstleistungen bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Konsumenten reagieren zunehmend sensibel darauf, wie, wo und von wem Produkte hergestellt werden, wo die Ressourcen dafür herkommen, welche Auswirkungen die Nutzung auf Umwelt und/oder Gesellschaft hat und ob ein Produkt am Ende entsorgt wird oder recycelt werden kann.

Dies führt aber nicht zwingend zu einer bewussten Entscheidung oder gar einer höheren Zahlungsbereitschaft für derartige Produkte. Insbesondere, wenn sie mit konventionellen Angeboten konkurrieren müssen. Dann braucht es persönliche Überzeugungen oder besondere Qualitätsmerkmale, die eine Kaufentscheidung günstig beeinflussen. In diesem Zusammenhang ist auch die „consumer convenience” wichtig. Es muss dem Konsumenten leicht gemacht werden, nachhaltigere Produkte zu nutzen.

Ganz abgesehen davon gibt es „das“ nachhaltige Produkt eigentlich nicht. Denn ehrlicherweise ist es für ein Unternehmen sehr schwierig nachhaltig zu sein. Es kann aber sehr wohl zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Dies dem Konsumenten zu vermitteln, um die Kaufentscheidung zu beeinflussen oder ganz in Frage zu stellen, ist nicht trivial. Gütesiegel – wie etwa bei der Bioware – gibt es dafür nicht.

Letztlich kann ein Unternehmen aber immer beeinflussen, welche Leistungen oder Waren es anbietet. Eine Supermarktkette kann sich beispielsweise entscheiden, nur noch Produkte zum Kauf anzubieten, die gut definierte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen. Damit nimmt man dem Kunden quasi die Entscheidung ab.

Wow, das war jetzt schon sehr viel Input. Ich danke dir lieber Alexis und schlage vor, wir machen hier eine Pause und setzen das Gespräch im nächsten Blogbeitrag fort.

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Vorgestellt – Dr. Alexis Katechakis

Alexis hat Biologie und Sustainable Resource Management an den Universitäten Göttingen, Kiel und München studiert. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel (GEOMAR) wechselte er in die Wirtschaft und sammelte Erfahrung als Pressesprecher, PR-Berater und Investor Relations Manager mit Fokus auf Produkt-, Unternehmens- und Krisenkommunikation. Heute ist er einer der Geschäftsführer von fors.earth, einer führenden Strategieberatung für Nachhaltigkeit in Deutschland. Seine Schwerpunkte sind CR-Strategieentwicklung, Change Management, Trainings, Workshops und Moderationen. Und wenn dann noch Zeit ist, bietet er mit „Into the Wild“ Naturkundliche Exkursionen zwischen Ammersee und Andechs an, nicht nur für Unternehmensvertreter.

Weitere Informationen zum Angebot von fors.earth gibt es im Internet unter: https://www.fors.earth/de/home.html

Alexis ist zu erreichen unter: alexis.katechakis@fors.earth

Im Gespräch mit: Prof. Dagmar Fischer – über Netzwerke

“Die Schlüssel zum Erfolg sind gute Kommunikation und ein hoher Grad an Vernetzung” – Prof. D. Fischer

Man möchte meinen der Professorin für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, die derzeit auch Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) ist, sei die Wissenschaft bereits in die Wiege gelegt. Weit gefehlt: Die bayerische „Landpflanze“ (Originalton) war ihre Kindheit und Jugend hindurch fest davon überzeugt, dass sie einmal Tierärztin wird. Zahlreiche Wesen, darunter Kätzchen, Tauben und sogar Goldfische haben von dieser Ambition profitiert. Vom Leben auf dem Land hat sie das Gärtnern auf den Balkon hinübergerettet, fein getrennt, rechts Blumen, links Kräuter und Gemüse. Noch heute fährt sie – wenn sie richtig gestresst ist und Abstand braucht – zur Familie auf´s Land. Das heimische Netzwerk und die Wasseroberfläche beim Schwimmen, allein am Morgen, trägt sie dann – bis der Akku wieder voll ist.

Dagmar, warum bist du eigentlich nicht Tierärztin geworden?

Das liegt tatsächlich am Berufsberater der Schule. Ich hatte neben der Medizin noch viele andere Interessen und er hat mich gefragt, warum ich nicht Apothekerin werde. Das Berufsbild des Apothekers um die Ecke fand ich allerdings zunächst nicht so stylish. Ich habe mich dann doch intensiver mit dem Berufsfeld befasst und festgestellt, dass ich damit sehr viele Möglichkeiten habe. Ich kann auch in die Industrie gehen, in Krankenhausapotheken und natürlich in die Forschung.

Ich habe als Pharmazeutisch-technische Assistentin angefangen. In der Apotheke hat mir die praktische Arbeit der PTA sehr viel Spaß gemacht, aber der Alltag hat mir auch gezeigt, dass ich mit mehr Wissen weiterkommen kann. So habe ich das Studium der Pharmazie begonnen, das ich finanziert habe, indem ich als PTA weiter gearbeitet habe.

Als ich an der Universität mit der Wissenschaft und Forschung in Berührung kam wusste ich: „Das ist meins!“ Dinge auszuprobieren, von denen andere sagen, „das kann überhaupt nicht klappen!“ Ich fand es spannend völlig neue Sachen zu machen.

Hast du deine Karriere in der Wissenschaft geplant?

Mein Lebenslauf ist alles andere als geradlinig und nicht geplant. Wenn ich bei einer Karrierestufe ans Ende kam habe ich immer geschaut welche Möglichkeiten ich habe, was sich mir als nächstes bietet. Ich habe immer geschaut welche Wege mir offenstehen und mich gefragt: „Welche Chancen habe ich dort und was kann ich lernen? Was ist für mich neu?“

Mir haben Kollegen vorausgesagt in die Industrie zu gehen sei ein Karrierebruch. Das würde nie wieder in die Universität zurückführen. Ich habe es trotzdem gemacht und bin an die Universität zurückgekehrt. Das was ich in den Jahren in der Industrie gelernt habe ist heute für mich unbezahlbar. Dieser Ausreißer ist einer, der mich von vielen Kollegen unterscheidet.

Das klingt ein bisschen so als würdest du – um bei deinem Sport zu bleiben – gerne gegen den Strom schwimmen. Stimmt das?

Nicht notwendigerweise. Es ist eher so: Wenn ich eine Weile lang Dinge gemacht habe und feststelle, dass ich sie kann, dann muss eine neue Herausforderung kommen. Dann muss ich etwas ausprobieren, um zu schauen ob das auch noch geht. Wenn ich mir ein neues Feld anschaue, dann frage ich mich ob ich dazu etwas beizutragen habe. So bin ich Studiendekanin geworden oder Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG). Ich schaue also immer, ob ich etwas beitragen kann in einem Betätigungsfeld in dem ich bisher noch nicht aktiv war. So kommt es zu meinem „Sammelsurium“ an Erfahrungen.

Was wäre dein Rat an Frauen, die Professorin werden wollen?

Sie brauchen zunächst einmal einen langen Atem und Durchhaltevermögen. Was für mich gut funktioniert hat waren universitäre Mentoring-Programme. Hier habe ich Frauen kennengelernt, die auch andere Wege gegangen sind. Für mich waren diese Begegnungen ein Schlüsselerlebnis. Bis heute ist es nämlich so, dass ich hauptsächlich Männer um mich habe. Als ich diese Frauen kennenlernte, wuchs in mir das Vertrauen, dass so eine Karriere machbar ist. Inzwischen bin ich selbst Mentorin im Postdoktorandinnen-Programm des Universitätsbundes Halle-Jena-Leipzig

Was denkst du, warum es so wenige Frauen in oberen Führungsebenen gibt?

Frauen stehen sich an vielen Stellen selbst im Weg, z.B. was unser Kommunikationsverhalten angeht. Wir sind sehr viel realistischer in der Einschätzung was wir können und was wir nicht können. Männer sind deutlich aktiver darin ihre Vorzüge darzustellen.

Bei den Studentinnen hier an der Universität beobachte ich oft auch ein anderes Selbstverständnis. Ihre Ansprüche sind andere. Da geht es gar nicht so sehr um „Frauen nach vorne!“, sondern oft um eine Ausbildung bei der sie ihren Beruf mit ihrer Familienplanung gut verbinden können. Wo wir noch das Gefühl hatten kämpfen zu müssen, ist es für Frauen heute in vielen Bereichen selbstverständlich geworden, dass es Gleichberechtigung gibt. Sie nehmen die sogenannte gläserne Decke für sich gar nicht wahr. Ich bin allerdings überzeugt, dass es sie gibt. Auch heute gibt es noch reine Männergesellschaften, die wir nur ganz langsam erobern.

Du hast sehr viele Positionen inne. Wie organisierst du dich und dein Umfeld, um den Überblick über die Aufgaben zu behalten?

Dass ich keine Familie zu koordinieren habe erleichtert natürlich vieles. Um alle meine verschiedenen Aufgaben zu erfüllen brauche ich viel Disziplin, was nicht so den Eindruck erweckt, wenn man die Papierstapel auf und unter meinem Schreibtisch sieht. Da fragt sich so mancher, ob ich noch den Überblick habe. Ich habe einen Trick, um mich zu organisieren, der für mich als optischer Typ gut funktioniert: Ich male mir einen Wochenplan optisch, grafisch auf ein Blatt Papier. Das liegt auf meinem Schreibtisch ganz oben. Was da draufsteht, darf ich auf keinen Fall vergessen. Meine Erfahrung in den verschiedenen Positionen in denen ich mich um Projektmanagement gekümmert habe hilft mir natürlich Aufgaben auch zeitlich gut zu koordinieren.

Noch wichtiger ist aber mein Team. Ich habe Mitarbeiter die alle super zusammenarbeiten und ihre Aufgaben im Griff haben. Der Schlüssel ist gute Kommunikation und ein hoher Grad an Vernetzung. So weiß jeder was er zu tun hat. Gute Kommunikation heißt für mich auch extrem kurze Wege zu meinen Mitarbeitern, meine Tür steht immer offen. Transparenz ist wichtig, jeder weiß was läuft. So können Mitarbeiter sich gegenseitig und natürlich auch mich entlasten. Dieses Netzwerk funktioniert hervorragend ohne dass ich eingreifen muss. Ich habe ein Labor, ein Sekretariat und in der DPhG eine Geschäftsstelle. Dort sitzen Leute die wissen was zu tun ist und alles im Griff haben.

Wie stellst du sicher, dass neue Mitarbeiter in dieses Netzwerk passen?

Kommunikationsfähigkeit ist ein wichtiger Punkt. Apotheker kommunizieren von sich aus schon sehr gerne, das haben sie gelernt. Ich schaue darauf, dass die Menschen teamfähig sind. Da verlasse ich mich nicht nur auf mein Urteil. Jeder Bewerber verbringt mit dem gesamten Team eine Kaffeepause. Mein Team hat dann auch das letzte Wort, denn Bewerber öffnen sich im Team ganz anders als bei mir. Selbst wenn die wissenschaftliche Qualifikation stimmt stelle ich die Person nur ein, wenn sie zur Gruppe passt.

Auch die Forschung braucht Netzwerke. Magst du allgemeinverständlich beschreiben woran du forschst?

Wir beschäftigen uns mit Nanomaterialien – also winzigen synthetischen oder natürlichen Werkstoffen – die wir in Arzneistoffträger verwandeln. Anders gesagt: Wir entwickeln neue Wirkstoffträgersysteme. Wir schauen also, wie wir medizinische Wirkstoffe verpacken können, so dass sie zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Weg im Körper finden können. Wir konzentrieren uns auf Infektionen und Entzündungen oder entzündungsassoziierte Erkrankungen die in der alternden Gesellschaft eine Rolle spielen. Diese Erkrankungen sind ähnlich, hängen miteinander zusammen und sind hochaktuell.

In den letzten Jahren fokussieren wir außerdem auf das Thema Nachhaltigkeit. Hier habe ich in Jena verschiedene Partner zusammengebracht. Es gab hier schon Ansätze Trägermaterial – die Nanozellulose –  durch Bakterien auf natürlichem Wege herzustellen. Die Bakterien „spinnen“ dabei Nanozellulosefasern zu einem Netz. Außerdem wurden zusammen mit dem Polysaccharid-Zentrum in Jena Zuckerderivate zu Trägersystemen umgewandelt. Andere Kollegen untersuchen natürliche Substanzen wie z.B. Weihrauch als Wirkstoffe. Die dritte Komponente ist der Prozess der Verpackung, also wie bringe ich die natürlichen Wirkstoffe in die natürlichen Trägersysteme. Dazu verwendet man üblicherweise z.B. organische Lösungsmittel. Wir erforschen z.B. wie wir diese Lösungsmittel durch nachhaltige Komponenten austauschen können.

Und dann gehen wir noch einen Schritt weiter, denn Arzneimittel müssen getestet werden. Wir haben als Alternative zum Tierversuch eine Methode mit Hühnereiern entwickelt. Damit können wir beispielsweise Wirkstoff-Verteilung und -Freisetzung sowie Verträglichkeit untersuchen. Wir haben uns also auf allen Ebenen, vom Wirkstoff über das Trägersystem bis hin zu den Tests in Richtung Nachhaltigkeit bewegt.

Du kümmerst dich auch um die Verankerung von Unternehmertum und Entrepreneurship an der Universität. Wie sieht das praktisch aus?

Gründungen werden in ganz Thüringen stark gefördert. Die Universität Jena hat ein sehr ausgeprägtes Gründersystem mit Gründungsbotschaftern. Ich bin die Gründungsbotschafterin für den Bereich Biowissenschaften. Damit stehe ich den Gründern als Ansprechpartnerin von der wissenschaftlichen Seite her zur Verfügung. Wir schauen uns in einer sehr frühen Phase an, ob die Gründungsidee Erfolg haben kann. Wir geben auch Tipps z.B. zum Thema Dokumentation. Das ist wichtig damit die Idee patentfähig ist oder von Behörden anerkannt werden kann. Wir knüpfen Verbindungen z.B. zu Patentanwälten oder bei der Organisation von Gründerräumlichkeiten.

Unsere Studierenden lernen schon im Studium was Patente sind, wie die Qualität der Idee gesichert werden kann. Außerdem werden sie sensibilisiert dafür was für die Unternehmensgründung gebraucht wird. Von der Universität werden z.B. Workshops durchgeführt, wie man ein kleines Unternehmen aufbaut, wie man Unternehmer wird und was eine Unternehmerpersönlichkeit ist. Das heißt von der Theorie bis hin zum praktischen Handwerk werden Grundlagen vermittelt.

Dass die Universität dabei erfolgreich ist zeigt das Beispiel meiner Mitarbeiterin, die schon während ihrer Habilitation ein kleines Unternehmen gegründet hat. Heute hat sie mehr als 20 Mitarbeiter und ist im Bereich Kosmetik und Medizinprodukte am Markt erfolgreich etabliert.

Der Erfolg liegt sicher auch an der besonderen Art wie wir hier in Jena interagieren. Das fällt auch Stiftungsgebern auf, die Großprojekte oder Sonderforschungsbereiche begutachten. Dann hören wir häufig, dass wir hier eine besondere Kooperationsmentalität haben. Der Informationsfluss über verschiedene Bereiche hinweg ist enorm.

Die Tatsache, dass sich hier viele Unternehmen bereits etabliert haben zieht natürlich auch andere Unternehmen an. Die Thüringer Pharma-Community unterstützt dies. Alle Pharma-Unternehmen treffen sich regelmäßig – auch mit den Pharmazeuten an den Hochschulen. Es erfolgt ein reger Austausch darüber, was gerade an Projekten bearbeitet wird. Wir schauen beispielsweise, ob wir gemeinsame Anträge stellen oder an Projekten gemeinsam arbeiten können. Wir haben sogar eine gemeinsame Homepage.

Dieses aufeinander zugehen – das Netzwerken – ist sicher außergewöhnlich und zeichnet Jena besonders aus.

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Gründer sind anfangs häufig überwältigt von den Aufgaben und erleben zahlreiche Niederlagen. Wie gehst du mit Niederlagen um und wie motivierst du dich danach?

Winston Churchill soll einmal gesagt haben, „Erfolg besteht darin sich von Niederlage zu Niederlage zu hangeln, ohne den Enthusiasmus zu verlieren.“

Ich kenne Misserfolg als heftigen emotionalen Peak in dem ich mich meist über mich selbst aufrege. Aber dann werde ich schon vom nächsten Problem eingeholt, so dass ich gar keine Zeit habe mich lange damit zu befassen. Was ich versuche ist, die Einstellung die ich aus meiner Zeit in den USA mitgebracht habe zu kultivieren. Wenn dort jemand scheitert, sagen die Menschen: „Super, er hat etwas ausprobiert! Er ist zwar damit gescheitert, aber er ist einen neuen Weg gegangen.“ Ich für mich versuche nach dem Scheitern auf einem anderen Weg trotzdem zum Ziel zu kommen.

Du bist bis 2023 Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft. Wie lässt sich die Aufgabe der DPhG zusammenfassen?

Die DPhG beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Seite der Pharmazie. Wir fördern Wissenschaft auf allen Gebieten der Pharmazie. Was heißt das? Zum einen stärken wir die Kooperation der verschiedenen Fachdisziplinen untereinander und fördern damit die experimentelle Forschung und die wissenschaftlich orientierte Fortbildung.

Unsere zweite Aufgabe ist es, die Interessen derer zu vertreten, die pharmazeutisch-wissenschaftlich orientiert sind und z.B. Stellung zu nehmen zu aktuellen Problemen und Fragestellungen. Wir vertreten die wissenschaftliche Pharmazie gegenüber der Bundesregierung, aber auch anderen Anspruchsgruppen. Und schließlich beraten wir auch: Zu Ausbildungsfragen oder zu Fragen über Arzneimittel, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Was hast du dir für deine Zeit als Präsidentin vorgenommen?

Ich versuche den Spagat zu machen zwischen der wissenschaftlichen Pharmazie und der Pharmazie in der täglichen Anwendung. Damit meine ich, die Erkenntnisse aus dem Elfenbeinturm Wissenschaft hinein in die Praxis zu transferieren.

Dazu brauchen wir Fortbildung der Apotheker in öffentlichen Apotheken und im Krankenhaus. Dazu brauchen wir auch aktuelle Ausbildungsinhalte, also die Modernisierung des Studiums der Pharmazie und die Stärkung der klinischen Pharmazie.

Was sind die Herausforderungen für diesen Transfer und wie können sie gemeistert werden?

Die Pharmazie ist ein Gebiet das sich rasant schnell entwickelt. Hier alle Bereiche mitzunehmen und aktuell zu halten ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Wir stehen ständig vor neuen Problemen – wie sich aktuell in der Corona-Krise gezeigt hat. Hier brauchen wir neue Konzepte und auch neue Kommunikationswege.

Mein Vorteil ist, dass ich genau in diesem Transferbereich arbeite, in dem Grundlagenforschung in Anwendung übersetzt wird. Wir hören uns von allen Fachdisziplinen an wo die Bedürfnisse liegen und reagieren entsprechend darauf.

Was bedeutet das für die pharmazeutische Ausbildung?

Wir nehmen uns vor, die Veränderungen bereits in das Pharmazie-Studium einzubringen, z.B. die Orientierung hin zur Forschung und die wissenschaftliche Herangehensweise. Darüber hinaus haben Themen wie Digitalisierung oder Personalisierung oder Qualitätssicherung Bedarf zur Aktualisierung.

Ganz wichtig ist mir: Wir wollen hin zum kompetenzorientiertem Lernen, also weg vom Faktenwissen hin zu Problemlösungen. Dazu bringen wir Studenten in Kontakt mit verschiedenen Stakeholdern. So lernen sie nicht nur Apotheker kennen, sondern haben auch Kontakt mit Mitarbeitern aus der pharmazeutischen Industrie, die z.B. aus praktischer Sicht Vorträge halten. Wir veranstalten mit der Pharma-Industrie zusammen auch Workshops oder Doktorandentagungen vor Ort, was Studenten und Doktoranden auch die Möglichkeit gibt, potenzielle Arbeitgeber kennenzulernen.

Meine Doktoranden bekommen außerdem Trainings, z.B. zum Thema Projektmanagement. Denn was ich häufig erlebe ist, dass es Schwierigkeiten bereitet schon alleine die eigene Projektidee zu formulieren. Was ist mein Produkt? Was ist mein Alleinstellungsmerkmal? Wer sind die Zielgruppen mit denen ich kommunizieren muss?

Welche Inhalte wünschen sich denn die Studenten?

Studenten wünschen sich, dass Interdisziplinarität und Kommunikation verstärkt trainiert werden. An vielen Universitäten werden z.B. Pharmazie- oder Anatomie-Kurse für Mediziner und Pharmazeuten gemeinsam veranstaltet, was das gegenseitige Kennenlernen über die Disziplinen hinweg fördert. Fachgespräche zwischen Ärzten und Apothekern werden simuliert, um die Denkweise des anderen zu verstehen.

Zum Abschluss noch drei persönliche Fragen: Worauf bist du stolz?

Der größte Brocken den ich zu stemmen hatte war meine Habilitation. Das ging über viele Jahre mit Aufbau eines eigenen Forschungsprofils, Profilierung in der Lehre und Auslandsaufenthalt. Das war ein Projekt mit vielen Facetten das mich sehr lange begleitet hat. Es fiel zudem in die Zeit als Junior-Professuren aufkamen und die damals Habilitierenden als „verlorene Generation“ bezeichnet wurden.

In der unmittelbaren Zeit habe ich 2018 den Phoenix Pharmazie Wissenschaftspreis in der Kategorie „Pharmazeutische Technologie“ bekommen für unsere Arbeiten zur Entwicklung moderner Wundauflagen auf Basis der schon erwähnten Nanocellulose.

Wenn ich es persönlich formuliere bin ich stolz darauf, dass ich inzwischen ein Alter erreicht habe, in dem ich nicht mehr von der Meinung anderer abhängig bin. Ich betrachte viele Dinge inzwischen deutlich entspannter.

Wie sorgst du für „das Alter“ vor?

Diese Frage hat für mich sehr viele Komponenten. Die erste ist, wo ich im Alter gerne sein möchte. Den deutschen Winter finde ich nicht so erstrebenswert. Ich könnte mir einen zweiten Wohnsitz irgendwo im Süden vorstellen. Städtereisen möchte ich gerne machen, in Ländern die ich noch nicht gut kenne. Und ich wollte auch immer Archäologie und Geschichte studieren. Es erschien mir zwar damals eher brotlos aber es hat mich über die Jahre hinweg verfolgt. Ich würde mich diesen ganz anderen Themenbereichen gerne zuwenden, für die ich im Moment keine Zeit habe.

Bezüglich der Gesundheitsvorsorge hat mir der Corona-Lockdown in die Hände gespielt. Da ich dauerhaft zu Hause war, habe ich wieder angefangen Sport und Krafttraining zu machen. Und ich habe meine Ernährung umgestellt. Ich möchte das gerne beibehalten, da ich mich fitter und angenehmer fühle.

Was das finanzielle angeht verlasse ich mich auch hier auf mein Netzwerk. Ich habe Fachleute die mich optimal beraten und auf die ich mich verlassen kann.

Du sagst selbst, wenn du in einem Job alles gelernt hast, dann muss etwas Neues kommen. Welche Ziele hast du noch?

Ich habe grundsätzlich ein Problem damit, wenn sich Dinge nicht in die Richtung bewegen die ich mir vorstellen könnte, oder schlimmer noch, wenn sich gar nichts bewegt. Die Pharmazie braucht noch mehr frischen Wind und in der pharmazeutischen Politik habe ich noch viel Luft nach oben. Ich könnte über die DPhG hinaus beispielsweise an der Universität stärker politisch aktiv werden. Hier stehen mir sicher noch viele Wege offen, um neue Strukturen und neue Ideen abseits der bisher üblichen Wege einzubringen.

Liebe Dagmar, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast das Thema Netzwerke auf vielen Ebenen zu beleuchten!

Vorgestellt – Prof. Dagmar Fischer:

Meine Gesprächspartnerin heute war Prof. Dr. Dagmar Fischer, Professorin für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Präsidentin der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) von 2020-2023 und Trägerin des Phoenix Pharmazie Wissenschaftspreis in der Kategorie „Pharmazeutische Technologie“. Zudem war und ist sie in Gremien und Vorständen verschiedener Gesellschaften aktiv: In der Fachgruppe „Ausbildung und Wissenschaft“ der Arbeitsgemeinschaft für Pharmazeutische Verfahrenstechnik e.V. (APV), im Vorstand des Freundeskreis des Institutes für Pharmazie der Universität Jena sowie in der  Controlled Release Society Germany Local Chapter, dem sie in verschiedenen Funktionen, u.a. von 2011-2012 als Präsidentin, vorstand.
Ihr Publikationsverzeichnis umfasst mehr als 120 wissenschaftliche Veröffentlichungen und sie ist Autorin des Buches “Die Pharmaindustrie: Einblick, Durchblick, Perspektiven.”

Dieses Gespräch ist Teil meiner Serie “Im Gespräch mit…” von und für Menschen die inspirieren, quer denken, vernetzen, verändern und eine positive Einstellung ins Leben tragen.

Sie möchten jemanden aus Ihrem Netzwerk vorschlagen, dessen Stimme gehört werden sollte? Dann schreiben Sie mich gerne an!

Ihre

Heike Specht