Im Gespräch mit Alea Horst – Privileg verpflichtet

Ihre Eltern hatten zur Geburt ein zartes blondes Kind erwartet, so wie bei ihrer älteren Schwester. Zum Vorschein kam allerdings ein Baby das am ganzen Körper dunkel behaart war. Dem Krankenhauspersonal entfuhr der Ausruf: „Schon wieder ein Ausländerkind!“

Sie wächst in einem Dorf im Taunus, in der Nähe von Frankfurt, auf und liebäugelt bereits im Alter von 15 Jahren mit dem Beruf der Fotojournalistin, lässt sich aber von den angeblichen Voraussetzungen, die das Berufsinformationszentrum kommuniziert, abschrecken. Jahre später hilft der Zufall nach: Ihr Ehemann braucht eine Spiegelreflexkamera für seinen Job. Alea leiht sich diese aus und entdeckt die Fotografie als Hobby. Sie lädt ihre Schnappschüsse auf Social Media hoch und bekommt zahlreiche Anfragen. Zunächst meldet sie ein Nebengewerbe an. Dann wird die 3D-Softwareentwicklungsfirma in der sie in der Auftragsabwicklung hauptberuflich arbeitet verkauft und sie wird entlassen. Das ist der Schubs den sie braucht, um hauptberuflich in die Fotografie einzusteigen. Sie beginnt als Familien- und Hochzeitsfotografin. Ein Silvestervorsatz führt sie ins Flüchtlingslager auf Lesbos. Danach ist nichts mehr wie es war. Heute ist Alea Friedensaktivistin mit eigener Hilfsorganisation, Fotografin für Kriegs- und Krisengebiete und setzt sich mit ihren Ausstellungen und Vorträgen für Zukunftsbildung ein.

Deine Eltern mussten sehr schnell kreativ werden, nachdem der  dir ursprünglich zugedachte Name nicht mehr passend schien. Welche Bedeutung hat der Name Alea?

Im Lateinischen heißt Alea „Würfel“, was ich für mich ganz stimmig finde, wegen der verschiedenen Perspektiven die man betrachten kann. Ich habe definitiv viele verschiedene Seiten. Im Arabischen ist Alia außerdem diejenige, die auf dem Berg steht und in die Weite schaut.

Es geht dir bei deiner Fotografie darum ehrliche Bilder zu machen. Wie stellst du das Menschliche in deinen Motiven in den Vordergrund?

Am Anfang habe ich tatsächlich sehr viele andere Fotografen nachgeahmt. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich auf meine eigene Stimme hören muss. Mir ist dabei bewusst geworden: Je mehr ich auf mich selbst höre, je mehr ich auf meine innere Stimme vertraue, umso authentischer werden meine Fotos. Anfänglich dachte ich, dass zum eigenen Business eine kühle Distanziertheit gehört, aber das war ein Holzweg. Mir wurde über meine Arbeit klar: Je offener und authentischer ich selbst bin, je menschlicher ich mit den Personen vor der Kamera umgehe, desto besser werden meine Fotos. Im offenen Umgang mit der Situation finde ich meine Motive, kann die Personen anleiten, oder auch geschehen lassen, was gerade passiert. Meine Offenheit macht es den Menschen leichter sich zu entspannen und sich intimer zu zeigen. Fotografie ist etwas sehr intimes und je mehr Vertrauen ich in mein Gegenüber habe, umso besser funktioniert das Zusammenspiel.

Mir ist wichtig, dass ich die Menschen, die ich fotografiere, in ihrer Situation abhole und keine Aufsicht produziere. Deshalb schauen mir die Menschen in die Augen. Manche Betrachter verstört es, dass die Menschen die ich fotografiere lachen, auch wenn sie sich in einer extremen Lebenssituation befinden. Das kommt daher, dass die Menschen mit mir in der Interaktion sind, wir miteinander lachen.

Kinder bei einem Brunnenbauprojekt in Afghanistan

Du sprichst von einem Machtunverhältnis. Wie meinst du das?

Fotografie ist wie nackt machen. Als Fotografin ermächtige ich mich, denn ich kann denjenigen den ich fotografiere darstellen wie ich es möchte. Die Person die ich fotografiere kann hingegen das Ergebnis nicht beeinflussen. Mein Gegenüber muss mir also vertrauen. Das mache ich mir bewusst und mit dieser Verantwortung gehe ich achtsam um. Ich möchte Menschen nicht als Opfer darzustellen, oder sie klein machen. Es ist mir wichtig, sie so würdevoll wie möglich abzubilden.

Wie baust du den Dialog zu den Menschen auf, die du fotografierst?

Ich beginne immer mit einem Lächeln und gehe offen auf die Menschen zu. Wenn ich einen Übersetzer dabeihabe ist es einfach, dann stellt er mich vor und erklärt meine Arbeit. Aber auch wenn keine Person dabei ist die vermitteln kann, geht Kommunikation, dann eben in  Zeichensprache. Einfache Unterhaltungen mit Händen und Füßen sind immer möglich. Heute hilft natürlich auch ein Übersetzungsprogramm auf dem Mobiltelefon.

Ich versuche immer eine echte Begegnung mit den Menschen zu schaffen, weil mir Hintergrundinformationen über die Menschen, die ich fotografiere, wichtig sind. Wenn ich Bilder ausstelle gibt es zu jedem Foto einen Text, der die Person in ihrer Situation vorstellt. Ich beschreibe den Gesprächsverlauf, halte fest, was ich in dem Moment dachte. Erst dadurch bekommt meine Fotografie einen Sinn, denn mein Anliegen ist es, den Menschen die ich fotografiere, eine Stimme zu geben.

Du hast als Familien- und Hochzeitsfotografin begonnen. Dann hattest du ein Schlüsselerlebnis. Kannst du uns davon erzählen?

Ich hatte die Lage in Syrien verfolgt und meine innere Stimme ermahnte mich permanent etwas zu tun. Aber als Hochzeitfotografin fühlte ich mich relativ unnütz. Also traf ich die Entscheidung mich zu engagieren, es war einer dieser berühmten Silvestervorsätze. Ich wollte mir am Ende meines Lebens nicht vorwerfen müssen, nichts unternommen zu haben.

Vier Tage später flog ich zu meinem ersten Nothilfeeinsatz nach Lesbos, um mich einer sehr kleinen schwedischen Hilfsorganisation anzuschließen. Ich war vollkommen unvorbereitet und hatte keine Ahnung was mich erwartet. Ich war tagsüber dazu eingeteilt Nothilfe am Strand zu leisten. Ich habe Menschen die völlig dehydriert, durchnässt oder kraftlos waren, aus den Flüchtlingsbooten gezogen. Ich habe Kinder gesehen, die auf den Grund des Bootes gerutscht waren. Andere Flüchtende hatten auf ihren Gesichtern gestanden. Die Flüchtlinge waren durchgefroren und von Todesangst getrieben, das war in ihren Augen deutlich zu sehen. Viele waren erleichtert endlich in der EU anzukommen, sind in Tränen ausgebrochen, haben gebetet, manche sind ohnmächtig zusammengebrochen. Ich hatte noch nie zuvor Begegnungen wie diese.

Am Abend habe ich ein paar Stunden geschlafen und in der Nacht hatte ich Dienst im Flüchtlingslager Moria. Dort musste ich Menschen zusammenpferchen. Es gab nur 16 Container und damit niemand draußen bleiben muss und dort erfriert, mussten wir alle dazu anhalten zusammenzurücken. Trotzdem sind Kinder erfroren, weil nicht für alle Platz war. Ich habe noch versucht, Decken und Kleidung zu organisieren und habe mich die ganze Zeit überfordert gefühlt, weil ich nicht damit gerechnet hatte, welche Aufgaben mir als Anfängerin übertragen würden. Ich habe mich sogar bei der Lagerleitung beschwert, aber sie hat mich ausgelacht und gesagt, dass kein Lager auf der gesamten Balkanroute so gut sei wie dieses. Ich hatte vergleichbares noch nie erlebt.

Dann kam ich wieder nach Hause und hatte das Gefühl, dass unser Wohlstand in keinem Verhältnis steht zu der Ungerechtigkeit die den Flüchtlingen widerfährt. So war mir klar, dass ich längerfristig aktiv sein muss.

Im gleichen Jahr bin ich nach Jordanien gegangen und habe dort die Geschichten in Traumakindergärten einer deutschen Hilfsorganisation dokumentiert. Dann war ich bei der Seenotrettung und von da an ist die Liste der Hilfsorganisationen immer länger geworden. Ich habe mich immer als Helferin angeboten aber dazugesagt, dass ich eine gute Fotografin bin, die die Arbeit vor Ort in Bild und Text dokumentieren kann.

Ich habe die sozialen Projekte alle ehrenamtlich fotografiert und für die Reisen Urlaub genommen. Das Ganze war also unbezahlt, bzw. ich habe meine Ersparnisse angezapft. Auch die Ausstellungen die ich danach konzipiert habe, haben sehr viel Geld gekostet. Dies musste ich irgendwie querfinanzieren. Daher habe ich noch eine Weile lang Familien- und Hochzeitsfotografie gemacht. Nachdem ich aber Kinderarbeit, Hunger und alles andere mit meinen eigenen Augen gesehen hatte, war ich nicht mehr in der Lage Hochzeitstorten zu fotografieren. Kunden verdienen, dass die Fotografin ihre Wünsche und Träume wertschätzt. Das konnte ich emotional nicht mehr. Für mich war eine Grenze überschritten.

Du hast damit deine Einkommensquelle verloren. Wie hast du dich an diese veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst?

Grundsätzlich gilt, dass ich für vieles, das ich mir früher geleistet habe, heute kein Geld mehr ausgebe. Das liegt aber auch daran, dass sich meine innere Einstellung zu vielen Dingen geändert hat. Ich brauche sie heute nicht mehr. Ich war beispielsweise vor 5 Jahren zum letzten Mal im Urlaub.

Der andere Aspekt ist, dass es auch Hilfsorganisationen gibt, die Bilder abkaufen können. Inzwischen arbeite ich für einige von ihnen und habe dadurch geringe Einnahmen, die zumindest die Reisekosten decken. Die Ausstellungen versuche ich durch Fördergelder zu finanzieren. Ich bin da gerade in einer Transformationsphase.

Wie meinst du das genau?

Ich habe in den letzten Jahren eigene private Nothilfe geleistet und inzwischen einen eigenen Verein, Alea e.V. gegründet. Ziel ist es mit diesem Verein so viel Geld zu erwirtschaften, dass ich nicht nur die Sach- und Nahrungsmittelhilfen und meine Reisen in die Krisengebiete finanzieren kann, sondern meine Anstellung innerhalb dieses Vereins als Spendenkoordinatorin möglich ist. Das soll natürlich mit meiner freiberuflichen Tätigkeit als Fotografin kombinierbar sein, damit ich weiterhin im Auftrag anderer Hilfsorganisationen tätig sein kann.

Wie verarbeitest du denn, was du bei deiner Arbeit siehst und erlebst?

Ich werde darin immer besser, aber das war ein Prozess. Wenn ich von Projekten zurückkomme geht es mir schon ein paar Tage schlecht. Ich ziehe mich dann zurück und verbringen viel Zeit im Garten, weil ich festgestellt habe, dass es mich erdet, die Hände in den Boden zu stecken. Mir hilft dieser Bezug zur Natur auch, um mich abzugrenzen, mir bewusst zu machen, dass ich nur für die Konsequenzen meines eigenen Handelns verantwortlich bin. Ich kann Menschen nicht dazu zwingen, sich mit den Zuständen in Syrien oder andernorts zu beschäftigen. Denn was ich klar benennen kann ist, dass das was ich vor Ort sehe, die Bilder die ich mache, nicht das sind was mich belastet. Was mich wirklich belastet ist, dass das Interesse an meiner Arbeit in Deutschland sehr gering ist. Ich habe das Gefühl, dass viele Menschen desinteressiert sind daran, wie es Menschen geht, die weit weg leben. Sie fragen sich dann, was deren Schicksal mit ihnen zu tun hat. Mir tut das unglaublich weh, aber ich kann nicht für das Tun anderer Menschen verantwortlich sein.

Ich kann meine Fotos zeigen, um klar zu machen, wo Veränderung Not tut, aber ob Menschen sich davon beeinflussen lassen, das liegt nicht in meiner Hand. Hier habe ich dazugelernt, denn am Anfang verspürte ich einen unglaublichen Druck, dass meine Bilder etwas verändern müssen, das Handeln anderer Menschen beeinflussen müssen und das hat mich sehr belastet. Aber das ist nicht meine Verantwortung und das muss ich mir immer wieder bewusst machen.

Was mich auch hilft ist, dass ich während meiner Einsätze viele inspirierende Menschen treffe. Da sind die Menschen die ich fotografiere, die unglaubliches durchgemacht haben und trotzdem jeden Morgen aufstehen und mich mit einem freundlichen Lächeln begrüßen oder zum Tee einladen. Wenn diese Menschen nicht aufgeben, habe ich kein Recht zu klagen. Darüber hinaus gibt es tolle Menschen in Hilfsorganisationen, die – egal wie aussichtlos die Situation oder wie verrückt die Aufgabe ist – trotzdem die Ärmel hochkrempeln und die Herausforderung annehmen. In Begegnung zu gehen mit diesen Menschen gibt mir sehr viel Kraft.

Welche Haltung hast du zur Flüchtlingspolitik der Regierung?

Spätestens seit dem letzten September als die Bundesregierung menschenverachtend reagiert hat, als in Kabul beim Truppenabzug Menschen aus dem Flugzeug gefallen sind und Eltern ihre Kinder über den Zaun gehoben haben, empfinde ich eine große Frustration oder gar blankes Entsetzen.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich das für mich noch zugespitzt. Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, ich finde die Hilfsbereitschaft den Ukrainern gegenüber großartig. Ich stelle nur fest, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.

Ich wünsche mir eine Sensibilität allen Geflüchteten gegenüber die an unseren europäischen Außengrenzen unwürdig versterben.

Dieser tief verankerte Alltagsrassismus macht mich wütend und traurig zugleich. Eigentlich müssten alle Alarmglocken aufleuchten, wenn gesagt wird, dass es doch nur zu natürlich sei, dass man den europäischen Nachbarn hilft. Gerade mit unserer Geschichte wäre mehr Sensibilität allen Nationen gegenüber erforderlich. Man kann das ja durchaus fühlen, aber dann würde ich mir wünschen, dass Menschen dieses Empfinden kritisch hinterfragen. Da stimmt doch etwas nicht, wenn Hilfe für Europäer selbstverständlich ist und für Muslime nicht. Aber das Hinterfragen bleibt aus und die selektive Hilfe wird verteidigt. Das zeigt mir, dass wir noch weit weg sind von einer gesunden Gesellschaft.

Hat das vielleicht auch etwas mit unserer inneren Haltung den Geflüchteten – beispielsweise aus Afrika – gegenüber zu tun?

Das ist durchaus möglich. Ich denke, dass wir ein völlig falsches Bild von Menschen haben, die in Flüchtlingslagern, in Slums oder im Krieg leben. Da sind Narrative in unserem Kopf, die dringend aufgebrochen werden müssen. Diese sind aber auch entstanden, weil sie mit Filmen oder Fotos gefüttert wurden. So ist beispielsweise über die Afrikaner das Bild entstanden, dass sie nur zu Hause sitzen, die Hand aufhalten und auf Spendengelder warten.

Ich war in vielen Ländern als Fotografin unterwegs und konnte beobachten, dass die Menschen sehr hart arbeiten. Notsituationen haben nichts mit mangelndem Fleiß oder mit fehlender Kreativität zu tun. Gerade bin ich aus den Capverden zurückgekehrt. Die Menschen dort haben teilweise drei Jobs gleichzeitig. Während die Friseurin auf Kunden wartet strickt sie. Die Fischverkäuferin flicht Frauen die Haare. Am Willen oder der Kreativität mangelt es nicht, sondern an der Perspektivlosigkeit. Wir können das nur schwer nachvollziehen, weil wir dieses Problem bei uns nicht haben.

Ist es eine Zielstellung deiner Arbeit als Friedensaktivistin diese Narrative aufzubrechen?

Ich versuche ein Brückenbauer zu sein. Ich möchte Menschen in schwierigsten Situationen so darstellen, dass andere Menschen aus Wohlstandsgesellschaften sich in sie hineinversetzen können. Das gilt für meine Bilder und meine Texte. Ich versuche es, durch einen direkten Blick und eine klare Sprache, den Menschen so einfach wie möglich zu machen, zu verstehen was passiert.

Also ist die Fotografie nicht deine einzige Art dich auszudrücken?

Meine Fotografie ist meine größte Stärke. Früher waren meine Bilder der Zweck meiner Arbeit. Heute sind sie ein Mittel. Ich habe eine Botschaft, die ich transportieren möchte, dafür brauche ich auch Text. Meine Texte sind dabei mehr als reine Information. Sie geben den Menschen eine Stimme. Oft sind es die Erzählungen der Menschen, die ich fotografiert habe. Ich möchte zeigen, was die Situation in der sie sich befinden, mit ihnen macht. Zudem schreibe ich auch meine eigenen Gedanken und Eindrücke auf. Ich bin dabei die Brücke, weil ich mich selbst sehr stark öffne, mich verletzlich zeige. Durch mein Öffnen kann sich auch der Betrachter öffnen. Das wirkt wie eine Art Erlaubnis, denn es wird ja gesellschaftlich gerade eher uncooler sich emotional zu zeigen.

Das ist vielleicht, was meine Fotografie gegenüber anderen sehr talentierten Fotografen oder Journalisten einzigartig macht.

Der Schuster von Kabul

Erzähl uns noch ein bisschen mehr von deinem Verein: Welches Ziel verfolgst du mit dieser Arbeit?

Der Verein heißt Alea e.V. , die Gemeinnützigkeit ist seit dem letzten Jahr anerkannt. Spenden sind also steuerlich absetzbar. Die Arbeit des Vereins hat drei Säulen: Die erste ist die Nothilfe, wie etwa die Bereitstellung von Nahrungsmitteln oder die medizinische Versorgung für Menschen mit Behinderungen oder Kriegsverletzungen. Die Nothilfe bezieht sich immer auf kleine lokale Projekte die ich persönlich von meiner Arbeit vor Ort kenne. Es ist dadurch gesichert, dass das Geld auch wirklich ankommt. Die zweite Säule sind Aufklärungsprojekte z.B. in Form von Ausstellungen oder Vorträgen in Schulen. In dem Rahmen versorge ich die lokalen Hilfsorganisationen auch mit meinem Bildmaterial. Die dritte Säule ist die Zukunftsbildung. Hilfsprojekte und Entwicklungszusammenarbeit sind zwar wichtig, aber sie sind langfristig keine Lösung. Ich möchte hier Menschen mit guten Zukunftsvisionen Raum einräumen, diese zu präsentieren, z.B. im Rahmen meiner Ausstellungen. Das sind dann z. B. Gemeinwohlökonomen oder Menschen die die gesellschaftliche Teilhabe fördern. Mein Ziel ist ja, das was ich anprangere zu beseitigen. Ich möchte mich im Prinzip selbst überflüssig machen.

Welche Eigenschaften helfen dir, deinem Beruf nachzugehen?

Ich habe überhaupt keine Berührungsangst und Urvertrauen in mich und meine Fähigkeiten. Meine interkulturelle Kompetenz ist wichtig im Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen. Ich habe eine gewisse Sensibilität, die ich bei anderen manchmal vermisse. Diese habe ich mir durch Zuhören und Beobachten angeeignet. Das Feingefühl nicht mit der Tür ins Haus zu fallen trägt zur Qualität meiner Bilder und meiner Texte bei und die Menschen können sich mir deshalb anvertrauen.

Du hast ein Buch über das Flüchtlingslager in Moria, mit Bildern und Texten, veröffentlicht. Es heißt „Manchmal male ich ein Haus für uns“. Wie ist es zu dieser Buchidee gekommen? Und wie hat sich die Umsetzung gestaltet?

Ich wollte schon länger ein Buchprojekt verwirklichen, dachte aber, dass es noch ein paar Jahre dauert, bis es soweit ist. Dann bin ich vom Klett Kinderbuchverlag angesprochen worden, die kritische Kinderbücher mit schwierigen Themen umsetzen. Sie wollten ein Buch über das Flüchtlingsthema machen und kannten meine Arbeit.

Ich bin erst einmal erschrocken, weil das Thema schon für Erwachsene sehr hart ist und ich mich gefragt habe, wie ich das kindgerecht umsetzen kann. Erschwerend kam hinzu, dass man in den Flüchtlingslagern zu der Zeit schon nicht mehr fotografieren durfte. Es herrscht ein absolutes Verbot. Ich war bereits einmal festgenommen worden, weil ich neben dem Lager Aufnahmen gemacht hatte. Es wird strukturell alles getan, damit keine Berichterstattung mehr nach außen dringt, weil der gesellschaftliche Druck so hoch ist, die Lager besser auszustatten. Weil das aber nicht umgesetzt wird, darf es eben keine Bilder mehr geben. Die offizielle Begründung ist natürlich, dass die Mensch geschützt werden sollen, aber de facto ist die Devise: „Was nicht im Bild festgehalten ist, existiert als Zustand nicht.“ Das schlimme ist, dass die Kriminalisierung von Helfern seit Jahren völlig normal ist. Ich bin beileibe nicht die einzige Aktivistin oder Fotografin, die festgenommen wurde. Es ist ein bisschen wie russisches Roulette. Irgendwann ist man eben dran. Der Grund für die Anzeige lautet dann übrigens „Spionage“, aber ich wusste ja, dass das bei mir nicht haltbar ist. Also bin ich ruhig geblieben und nach ein paar Stunden mussten sie mich wieder gehen lassen.

Die Vorgehensweise hat allerdings Methode. Das Gleiche passiert auch den Seenotrettern. Sie werden angeklagt, dann gibt es zähe Verfahren, die Geld und Zeit kosten und die Menschen einschüchtern, auch wenn sie am Ende vom Vorwurf freigesprochen werden. Das Ziel ist die Zermürbung.

Ich habe den Buchauftrag schließlich angenommen ohne zu wissen, ob ich die Geschichte auf Lesbos wirklich produzieren kann. Ich habe dann mit Kindern gesprochen, um eine Idee zu bekommen. Aber diese Interviews waren hart und beinhalteten viel Schmerz und Verzweiflung. Kinder haben normalerweise eine sehr hohe Resilienz. Egal in welchen Umständen ich Kinder bisher gesprochen hatte, haben sie immer etwas positives zu erzählen gewusst. In Moria war das anders. Diese Kinder haben keinerlei Perspektive und sind der Situation komplett ausgeliefert. So habe ich entschieden, dass das Buch ihre Geschichten erzählen wird, ungeschminkt und aus ihrer eigenen Perspektive heraus. Die Porträts dazu habe ich heimlich aufgenommen. Das war ein Risiko, aber diese Frage stelle ich mir bei jedem Einsatz am Anfang: Ist die Botschaft die ich mit meiner Arbeit erzählen kann den Einsatz wert? In dem Fall war die Antwort ein klares ja. Die Kinder haben auch bereitwillig mitgemacht und ich hatte das Einverständnis der Eltern, weil sie natürlich auf Veränderung hoffen. Diese Menschen im Lager sind meine Superhelden, weil sie das was ihnen dort täglich widerfährt aushalten. Ich könnte das für keine drei Tage, sie hingegen sind schon seit Jahren dort. Ich möchte also auch nichts mehr über Opfer hören, denen gegenüber wir großzügig sind. Das offenbart ein ganz schräges Menschenbild.

Weißt du wie es den Kindern inzwischen geht?

Ein Teil von ihnen ist tatsächlich raus aus dem Lager in anderen Unterkünften oder anderen Ländern, aber manche sind immer noch dort. Ein Kind ist mit seinen Eltern in Athen. Sie haben einen positiven Asylbescheid bekommen, aber erhalten keinerlei Unterstützung mehr. Für sie hat sich die Situation also dramatisch verschlechtert, wenn das überhaupt noch möglich ist. Kleine Hilfsorganisationen kümmern sich, so dass sie nicht obdachlos sind. Ihr Bedarf an Medikamenten wird über Spenden gedeckt, aber es ist ein täglicher Überlebenskampf. Eines ist klar: Hilfsorganisationen in Griechenland können das alleine nicht auffangen.

Du brauchst sehr viel Hoffnung, um deinen Job zu machen. Was lässt dich immer noch jeden Morgen aufstehen und die Ärmel hochkrempeln?

Egal wo ich hinkomme treffe ich auf Menschen, die den gleichen Wunsch nach Gemeinwohl haben und nach einem Leben im Einklang mit der Natur. Ich spüre eine universelle Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander und nach einem Umgang mit der Natur, der nicht ausbeuterisch ist. Das macht mir Hoffnung.

Wir können soziale Gerechtigkeit, Klimawandel und andere große Fragen nicht mehr als einzelne Themen betrachten. Es ist alles miteinander vernetzt. Mein Konsumverhalten hier beeinflusst auch Menschen in Bangladesch. Wir müssen aufhören, das alles voneinander losgelöst zu sehen.

Am Ende ist es für mich eine Frage der Abgrenzung. Ich muss in den Spiegel schauen können und mit mir zufrieden sein. Was andere machen, ist ihre Angelegenheit. Ich empfinde das was ich tue als Berufung und bin in Resonanz mit meiner Seele die sagt: „Alea, du bist genau richtig hier!“

Hast du Tipps für Menschen, die eine Berufung für eine persönliche Veränderung in sich fühlen, aber den Mut noch nicht haben, diese neue Tür aufzustoßen?

Ich habe da einen Vorschlag: Einen inneren Dialog zu führen mit dem jüngeren und dem älteren Ich, über die Frage, wie man das weitere Leben gestalten sollte. Das braucht ein bisschen Vorstellungskraft, aber bei mir kamen da sehr klare Antworten. Mein älteres Ich war überzeugt davon, dass ich – wenn ich so weitermache – meinen Enkeln niemals würde ohne Schuldgefühle in die Augen sehen können. Und mein jüngeres Ich ist sehr idealistisch. In den Antworten kann der Schlüssel liegen, sofern man bereit ist, ganz ehrlich mit sich selbst zu sein.

Was ist dir noch wichtig zu sagen, worüber wir noch nicht gesprochen haben?

Wir werden so sozialisiert, dass wir uns andere Lebensumstände nicht vorstellen und uns in die Situation anderer nicht mehr hineinversetzen können. Das gilt beispielsweise für die Perspektivlosigkeit die viele Flüchtlinge empfinden, aber auch für Hunger. Wir haben ein soziales Netz, niemand muss hier durchs Raster fallen. Man kann sich dagegen entscheiden, aber es ist eine Wahl. In vielen Ländern gibt es dieses Netz nicht und die Menschen haben keine Wahl. Wir gehören also zu einer Gruppe von Privilegierten. Wir sollten unsere Privilegien nicht einfordern oder uns darauf ausruhen – oder wie so gerne in der Flüchtlingspolitik geschieht – mit dem Finger auf andere zeigen. Ich finde dieses Privileg verpflichtet, dass wir uns für eine bessere Welt einsetzen.

Wir sollten gesellschaftlich darüber nachdenken was Privileg wirklich bedeutet. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass über die Auseinandersetzung damit, was ich im Leben  wirklich brauche und die aktive Veränderung des eigenen Verhaltens, die Zufriedenheit im Leben wächst. Nach dieser Form der Zufriedenheit zu suchen ist ein lohnendes Ziel.

Alea ich danke dir für dieses Interview!

Sehr gerne.

Alea mit gehörlosen Kindern in Namibia

Wer sich für Aleas Verein interessiert, dem empfehle ich ihren Internetauftritt unter: https://alea-ev.org

Sie ist auf Geldspenden angewiesen, sucht aber auch Helfer z.B. für die Veranstaltungsplanung zum Beispiel für Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und anderes.

Wer sich einbringen möchte kann direkt mit ihr Kontakt aufnehmen unter: alea@aleahorst.de

Unter diesem Link könnt ihr Aleas Kinderbuch „Manchmal male ich ein Haus für uns“ bestellen.

Kind im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos in Griechenland. Das Foto bildet das Cover zu Aleas Buch “Manchmal male ich ein Haus für uns”

 

 

Im Gespräch mit Dr. Stefan Gumbrich über Leben im Einklang mit der Natur

Mein Gesprächsgast wählt sich gut gelaunt in Zoom ein, denn gerade wurden auf seinen Wiesen zwei Ziegen geboren. Stefan Gumbrich hat in der Südpfalz mit seiner Partnerin Betti und einem befreundeten Paar einen Selbstversorgerhof aufgebaut und hat sich damit einem Lebenstraum erfüllt. Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg.

Er wurde an der Fachhochschule in Bingen zum Ingenieurinformatiker ausgebildet, schloss in Paderborn ein Informatikstudium an und stieg bei IBM ein, wo er in den ersten Jahren berufsbegleitend seine Promotion absolvierte. Er war für den IT-Konzern 2o Jahre lang in der Unternehmensberatung als Führungskraft tätig, bevor er im Spätsommer 2013 ausschied. Wie es zu diesem Einschnitt kam, welchen Weg er danach nahm, was er dabei über sich und das Leben gelernt hat und warum er jetzt auf der Suche nach Menschen ist, die sich in sein Selbstversorgerprojekt einbringen  – darüber wollen wir reden. 

Stefan nimm uns doch mal mit in die Erfahrung die du gerade gemacht hast. Du sagst eure Ziegen haben Babys geboren?

Ja, insgesamt kamen in den letzten Tagen 6 Schaflämmer und 3 Zicklein zur Welt. Die beiden Ziegenmütter haben zum ersten Mal geboren, das ist immer ein bisschen aufregend: achtgeben, ob es Komplikationen bei der Geburt gibt; aufpassen, dass die Nachgeburt vollständig rauskommt; helfen wo nötig, aber auch nicht zu viel stören, da es sonst sein kann,  dass sie die Babys nicht annehmen. Ich schaue auch, ob sie Milch haben und die Kleinen trinken. Es hat diesmal  alles sehr gut funktioniert.

Ich habe die Ziegenmutter mit ihren zwei Babys, die vor zwei Stunden geboren wurden, gerade noch separiert. Sie sind jetzt in einen Raum im Stall, in dem sie sich ungestört aneinander gewöhnen können und sich nicht verlieren.

Dabei habe ich festgestellt, dass die Mutter einen zu dicken Euter hat, an dem die Babys bisher noch nicht richtig saugen können. Ich hoffe jetzt dass sie es schaffen. Ich gehe nachher nochmal kontrollieren. Wenn es nicht klappt ist die Alternative Sie mit der Flasche zu füttern. Dann muss ich alle zwei Stunden raus – auch nachts. Ich hoffe also, dass es nicht soweit kommt!

Die kleinen Ziegen sehen schon sehr erwachsen aus. Woher wusstest du denn, dass es heute soweit ist?

Sofort nach der Geburt versuchen die kleinen Ziegen aufzustehen und nach zwei Stunden können sie bereits gut laufen.
Ich beobachte die Muttertiere genau und so wusste ich, dass die Geburt heute passiert. Das gibt mir ein ganz warmes Gefühl. Das ist das Schöne am Selbstversorgerprojekt: Du bekommst den gesamten Kreislauf mit von der Schwangerschaft, über die Geburt, das Leben bis hin zum Tod.

Wenn das Neugeborene ein Böckchen ist, weißt du, dass du es leider schon in einem Jahr loslassen musst. Ich versuche es dann an einen anderen Hof zur Zucht abzugeben. Wenn das aber nicht klappt, muss ich es schlachten, denn für eine separate Bockherde ist unsere Herde zu klein und wenn ich die Böcke bei den Muttertieren lasse decken die Böcke ihre eigene Mutter und ihre Schwestern, was für die Zucht schlecht ist.

Wie geht es dir damit, wenn du eine Ziege die du zur Welt gebracht hast schlachten musst?

Das fällt mir sehr schwer, weil ich diese Tiere jeden Tag sehe, pflege, streichele, liebgewonnen habe. Ich mache das auch nur zu einem Zeitpunkt den ich als passend empfinde; an einem Tag an dem ich ausgeglichen und ruhig bin. Die Energie muss passen. Für mich ist das eine Handlung, bei der ich sehr behutsam mit dem Tier umgehe. Trotzdem töte ich es, daran werde ich mich nie gewöhnen. Aber die Alternative würde es nur mir leichter machen. Wenn ich das Tier in einen Anhänger verlade und zu jemandem hinbringe der es tötet, ist das für das Tier viel unangenehmer, weil es beim Transport Stress empfindet, an einen Ort gebracht wird den es nicht kennt. Daher töte ich die Ziege selbst, aus Respekt vor diesem Tier, auch wenn ich mich gerne davor drücken würde.

Bis zu diesem Punkt in deinem Leben war es ein weiter Weg. Nimm uns doch mal ein Stück mit in deine Vergangenheit.

Ich hatte eine schöne Kindheit, bin in behüteten Verhältnissen in einem kleinen Ort in Rheinhessen aufgewachsen. Ich bin sehr dankbar dafür, wie ich aufgewachsen bin, denn ich hatte alle Möglichkeiten. Das was ich heute tue ist ein Ergebnis des Lebenswegs den ich gehen konnte. Ich bin hervorragend ausgebildet, habe viel Geld verdienst, war erfolgreich in Unternehmensberatung und Management und haben dann festgestellt, dass das nicht alles ist. Die Wahl zu haben so weiterzumachen und Wohlstand anzuhäufen, oder den Lebensweg zu wählen, den ich jetzt gehe, empfinde ich als ein unglaubliches Privileg.

Was war denn der Auslöser für den Wandel?

Meine Triebfeder im Leben ist, dass das was ich tue spannend sein muss und mich fordert.

Ich hatte in der Unternehmensberatung bei IBM irgendwann das Gefühl, dass mich das nicht mehr weiterbringt. Ich hatte so viel Erfahrung in verschiedenen Projekten gesammelt, unterschiedlichste Methoden kennengelernt, und mich dabei auch immer wieder auf die unterschiedlichsten Menschen eingelassen. Neue Projekte konnten mich einfach nicht mehr herausfordern. Es hat sich auch kein WOW!-Gefühl mehr eingestellt, wenn ein Projekt erfolgreich, oder ein neuer Vertrag abgeschlossen war. Damit war für mich der Reiz weg und es musste etwas Neues kommen.

Der logische Schritt wäre gewesen das Unternehmen zu wechseln, eine Stufe höher zu steigen und mehr Geld zu verdienen – diverse Angebote dazu gab es. Mir war an dem Punkt klar, dass dieser Schritt nicht der richtige Weg wäre. Ich wollte ein anderes Gleichgewicht in mein Leben bringen. Da ich eher zu den Extremen als zu den kleinen Schritten neige, bin ich nach Afrika ausgewandert.

Dazu sollte ich an dieser Stelle vielleicht erklären, dass wir 25 Jahre ein Paar waren. In diesen Jahren haben wir mehrere Transafrikareisen zusammen unternommen und sind dabei unter anderem bei einem Projekt in Togo, Westafrika vorbeigekommen, das dich sehr fasziniert hat. Warum?

Ich bin als Naturwissenschaftler bzw. Informatiker in einer sehr faktenorientierten und wissensorientierten Welt groß geworden. Auf den Reisen durch Afrika ist mir bewusst geworden, dass es andere Aspekte gibt, die mir bis dahin fremd waren. Mich haben vor allem die vielfältigen Begegnungen mit Menschen fasziniert, die ein Urvertrauen in geistige Kräfte haben.

Insbesondere bei der Gruppe die wir in Togo kennenlernen durften, habe ich festgestellt, dass da etwas ist, was für mich wichtig ist und mich weiterbringen kann. Das war für mich der Moment als ich mich entschied, bewusst nach dem anderen Teil der Schöpfung zu schauen, den ich bisher wenig wahrgenommen hatte.

Es war aber nicht nur die spirituelle Entwicklung die mich angezogen hat, sondern auch die private Entwicklungshilfe. Die Gruppe hat beispielsweise ein Waisenhaus betrieben und sich um die Gesundheit der Lokalbevölkerung gekümmert. Das gepaart mit dem Aspekt der Selbstversorgung hat mich angesprochen. Im Endeffekt lief alles auf den nächsten Schritt der Persönlichkeitsentwicklung hinaus. Es gehört zu meiner Wesensart, dass ich nicht nach hinten sondern meist nach vorne schaue. Daher habe ich mich in Togo darauf konzentriert eine neue Welt zu entdecken und damit für mich persönlich einen großen Schritt vorwärts zu tun.

Beschreib doch mal, wie wir uns dieses Projekt vorstellen können

Innerhalb des Projektes haben wir sehr einfach gelebt. Ich hatte eine kleine Hütte mit einem Betonpodest als Bett für mich. Wir haben fast alles in der Gemeinschaft von über 70 Leuten gemacht. Ich habe den Umgang mit den 50 Waisenkindern geliebt. Zu sehen, dass ich ihnen etwas geben kann, an ihrer persönlichen Weiterentwicklung teilhaben kann, das war sehr schön. Das ging über den Schulunterricht hinaus, denn wir haben z.B. auch handwerklich gemeinsam gearbeitet. Ich war auch fasziniert davon, von den Kindern zu lernen. Einiges können sie besser als wir Erwachsene, vor allem in Bezug auf den Umgang mit Tieren.

Was mich auch erfüllt hat war die Arbeit mit der Buschambulanz. Wir sind mit Ochsenkarren in die Dörfer gefahren und haben eine mobile Krankenstation aufgebaut. Für mich war immer wieder faszinierend zu sehen, dass wir mit einfachen Medikamenten (konventionell und pflanzlich) Leben retten konnten. Würmer und Amöbenruhr waren sehr häufig, auch bei kleinen Kindern. Als wir kamen, waren sie apathisch, eine Woche später waren sie schon wieder aktiv. Das waren sehr einschneidende Erlebnisse für mich. Die Wirkung meines Tuns war dort eine ganz andere. Hier konnte ich helfen Leben zu retten, in meinem alten Job habe ich minimale Änderungen in Unternehmen hervorgerufen, die dazu führten, dass Umsatz und Profit gesteigert wurden.

„Die Energie die ich hier eingesetzt habe, hat zu einem größeren Nutzen geführt, ich hatte einen größeren Hebel. In Deutschland hat das gleiche Gefühl bestimmt jede Krankenschwester die auf der Intensivstation Corona-Patienten betreut. Man muss also nicht zwingen nach Afrika fahren, um die gleiche Erfahrung zu machen.“

Ich habe mich in der Gruppe auf der geistigen und auf der materiellen Ebene mit anderen Dingen beschäftigt als zu Hause und gesehen, dass das für mich funktioniert. Ich habe darüber auch eine gewisse Leichtigkeit entwickelt. Ich hatte kein Einkommen und keine Krankenversicherung. Mir hat das aber ein Gefühl von Freiheit gegeben, weil ich festgestellt habe, dass ich nichts tun muss, wovon ich nicht überzeugt bin, nur um wirtschaftliche Randbedingungen zu erfüllen. Mir hat das das Bewusstsein gebracht, dass ich immer zurechtkommen werde.

Aber du hast die Gruppe nach ein paar Jahren verlassen. Wie kam es dazu?

Ich bin mit der Gruppe nach zwei Jahren in Togo weiter nach Bulgarien umgezogen, wo wir als Selbstversorger gelebt haben. Wir waren 28 Erwachsene und da gibt es natürlich Prozesse und Gruppendynamiken und ich hatte nach vier Jahren das Gefühl, dass ich wieder etwas Eigenes machen muss, dass es mir zu eng wird. Aber ich habe gespürt: Diese Art zu leben, als Selbstversorger, ist für mich genau das Richtige, naturnahes Leben und eingeschränkter Konsum.

Die Rückkehr nach Deutschland war sicher nicht einfach. Wie hast du das erlebt?

Die Erfahrung in Togo und Bulgarien hat mir Freiheit im persönlichen Handeln gebracht, denn als ich nach Deutschland zurückkam, war zwar klar, dass ich wieder Geld verdienen muss, aber ich wollte zunächst nicht ins Büro, denn ich hatte ja vier Jahre am Stück nur draußen verbracht. Also habe ich erst im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet. In diesem Beruf konnte ich draußen sein und so viel verdienen wie ich brauchte, um leben zu können. Ich habe mich natürlich gefragt, was ich mache, wenn ich als Gartenbauer auf einen früheren Kunden treffe, aber dann habe ich mir gesagt, dass das bestimmt ein interessantes Gespräch wird und damit war es dann auch gut. Natürlich hat sich auch das Ego gemeldet und gefragt, ob ich wirklich als promovierter Naturwissenschaftler bei Leuten vor der Tür fegen kann. Die Antwort ist: „Ja, kann ich!“ Ich habe mit den Kunden immer wieder Gespräche geführt und Impulse gesetzt, welche kleinen Veränderungen möglich sind, um den Garten ökologisch sinnvoller zu gestalten. Insofern konnte ich auch hier etwas bewegen. Im Prinzip habe ich dabei nichts anderes gemacht als in der Beratung. Ich habe Einfluss genommen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das in jedem Beruf möglich ist.

„Veränderung ist eine Frage der inneren Haltung. Ich muss mich frei machen von Standesdenken, von Zwängen und von dem was andere über mich denken mögen.“

++++++++++

Kein Interview mehr verpassen? Dann trage dich hier für meinen Newsletter ein. Der kommt unregelmäßig, immer dann, wenn ich wirklich etwas zu sagen habe:

++++++++++

Aber es ist auch richtig, dass du nicht mit der Vorstellung nach Deutschland zurückgekehrt bist, ewig als Garten- und Landschaftsbauer zu arbeiten. Du wollest Selbstversorger werden. Wie hast du dieses Ziel weiterverfolgt?

Das stimmt, mein Ziel war in einer kleinen Gemeinschaft einen Selbstversorgerhof aufzubauen. Boris und Pialo, die ebenfalls Teil des Teams in Togo waren, haben damals entschieden mit mir nach Deutschland zu gehen und das Experiment Selbstversorgerhof mit aufzubauen.

So haben wir im April 2018 eine ehemalige Mühle in der Südpfalz nahe der französischen Grenze gekauft. Anfangs habe ich immer noch parallel im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet. Irgendwann war ich soweit, dass ich die körperliche Arbeit gerne wieder mit einem Job kombinieren wollte, in dem ich meine anderen Fähigkeiten und Soft Skills einsetzen kann.

Ich wünschte mir ein wissenschaftsnahes Betätigungsfeld, bei dem es nicht darum geht, den Gewinn und Umsatz zu maximieren, sondern ein Themenfeld das einen Sinn für die Gesellschaft hat. So bin ich schließlich – nach über 6 Jahren Pause – wieder zur IT zurückgekehrt. In dieser Zeit hat sich natürlich technisch sehr viel getan, aber ich war schon bei IBM nicht der technische Experte, sondern eher der Stratege und habe gelernt mich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Ich muss bei der Arbeit die ich jetzt tue technisch nicht im Detail sein, sondern in erster Linie die Zusammenhänge und Konzepte verstehen. Meine Aufgabe ist das Innovationsmanagement. Das geht von der Akquise von Partnern und Forschungsgeldern über Projektdefinition bis hin zur strategischen Planung der Unternehmensziele. Zunächst einmal kein so großer Unterschied zum Bereich Beratung und Management, wie zuvor.

Aber heute arbeite ich für HeiGIT, ein gemeinnütziges Unternehmen, ein Start-Up, das von der Klaus-Tschira-Stiftung finanziert wird und an die Universität Heidelberg angegliedert ist. Hier werden Geoinformatiklösungen aus wissenschaftlichen Erkenntnissen generiert, die für humanitäre Organisationen von Nutzen sind, aber auch für Organisationen, die dem Klimawandel entgegenwirken. Um es einmal praktisch zu beschreiben: Wenn irgendwo eine humanitäre Katastrophe passiert, beispielsweise ein Erdbeben, dann unterstützen unsere Lösungen Hilfsorganisationen dabei, den Weg zu den Menschen zu finden, die Hilfe brauchen. Es geht aber auch um die Vorausplanung, also z.B. um die Frage wie viele Menschen in einem afrikanischen Land innerhalb von 60 Minuten eine Krankenstation erreichen können und wo bei einer Überflutung mit hoher Wahrscheinlichkeit die größten Lücken in der kritischen Infrastruktur entstehen. Alles Fragen, die mit Geoinformatik zu beantworten sind.

Mir macht diese Arbeit sehr viel Spaß, weil die Teams unglaublich motiviert sind. Jeder der sich in diesen Projekten engagiert hat den Willen etwas Sinnvolles zu tun. Mein Anspruch war immer, in der intensiven Zusammenarbeit mit Menschen Lösungen für Probleme zu finden. Das ist vielleicht das Verbindende zwischen meiner Karriere vor und nach dem Ausstieg.

Soft-Skills veralten nicht, habe ich festgestellt. Mir schwirrte eher der Kopf, weil ich es nicht mehr gewohnt war, viele Informationen in sehr kurzer Zeit zu verarbeiten. Aber daran habe ich mich schnell wieder gewöhnt. Ich habe heute eine 50-Prozent-Stelle. Das heißt ich arbeite von Montags bis Mittwochs im Unternehmen HeiGIT, so habe ich von Donnerstag bis Sonntag Zeit, mich auf unseren Selbstversorgerhof zu konzentrieren. Das fühlt sich für mich nach einer guten Teilung an.

Wie sieht euer Mühlenprojekt denn heute aus?

Außer den eingangs erwähnten Ziegen und Schafen haben wir Hühner, Laufenten, Gänse, Bienen und Anton, den Hofhund. Außer Anton sind alle Tiere von Nutzen für die Selbstversorgung. Die Ziegen produzieren Milch, die wir trinken und zur Herstellung von Frisch- und Hartkäse einsetzen. Auch die Schafe sind Milchtiere. Wir nutzen außerdem ihre Wolle zum düngen und mulchen im Garten. Wir haben die Vision sie auch einmal zu spinnen, aber dafür fehlt im Moment die Zeit. Die Hühner legen Eier, die Bienen schenken uns Honig. Die Laufente hält die Nacktschnecken vom Garten fern.

Der Hof ist nach Permakulturgesichtspunkten aufgebaut. Die Beete im Garten werden in jedem Jahr versetzt, damit sich ein Teil ausruhen kann, auf dem Klee wächst, der Stickstoff produziert. An der Stelle haben wir im nächsten Jahr wieder einen ausgeruhten Boden. Wir bauen viel Gemüse an, das eingekocht oder getrocknet wird. So verfügen wir auch im Winter über alles was wir brauchen. Wir bauen auf unserem Feld Kartoffeln, Mais, Bohnen und Getreide an.

Der ganze Hof hat vier Hektar, wovon nur ein kleiner Teil intensiv bewirtschaftet wird. Viel Land ist Weidefläche. Außerdem führt ein Bach und der Mühlgraben durch unser Grundstück. Es gibt naturbelassene Teile und einen Sumpf.

Auf unserer Streuobstwiese haben wir 20 Hochstammbäume zu 15 Obstbäumen aus altem Bestand gepflanzt. Das sind Apfelbäume, Birnen, Quitten, Pflaumen und Süßkirschen. Aus den Äpfeln machen wir Saft und dieses Jahr habe ich zum ersten Mal aus unserem Apfelwein Schnaps gebrannt, Pfälzer Calvados sozusagen.

Wie tastet ihr euch denn an die Selbstversorgung heran, oder habt ihr aus Bulgarien schon genug Erfahrung mitgebracht?

Wir haben in Bulgarien und Togo schon viel Erfahrung gesammelt, aber es gibt noch viel zu lernen und auszuprobieren. Wir experimentieren sehr viel und versuchen die Selbstversorgung immer ein Stück weiterzubringen. Es braucht Zeit und viel Geduld. Wir sprechen gerne mit alten Leuten, schauen Youtube-Videos etc. Was wir tun ist ja grundsätzlich nicht neu, unsere Großeltern haben das noch gemacht, aber vieles Wissen wir einfach nicht mehr.

Um ein Beispiel zu nennen: Wir hatten 6000 Quadratmeter, die mannshoch mit Adlerfarn bewachsen waren und somit unbrauchbar. Die Bauern aus der Umgebung waren sich einig, ebenso wie die Foren im Internet, dass man das nur wegbekommt, wenn man Gift ausbringt. Das war für uns natürlich keine Option. Einer der Alten hat uns dann den Tipp gegeben, das Feld regelmäßig zu mähen. Also sind wir zu viert mit der Handsense sieben Mal im Jahr über den Adlerfarn und haben ihn gesenst. Das haben wir zwei Jahre hintereinander gemacht. Damit haben wir ihn schon etwas geschwächt. Im Anschluss haben wir Mist auf dem Feld ausgebracht, um die Bodenkultur zu verändern und haben alles, vom Biobauern um die Ecke, einmal umpflügen lassen. Die Wurzeln haben wir herausgesammelt. Und siehe da: Jetzt ist das Ganze eine schöne Wiese die als Weide taugt. Das hat lange gedauert und viel Arbeit bedeutet, aber es hat geklappt. Alle unsere Flächen sind in den letzten 30 Jahren nicht bewirtschaftet worden und daher frei von Chemie. Wenn es nach uns geht, soll das auch so bleiben. Da um uns herum auch alle biologisch und kleinbäuerlich arbeiten, leben wir in unserem Mühlental eigentlich in einem Paradies.

Wir haben natürlich einen großen Luxus. Wir müssen nicht von dem leben, was wir anbauen. Wenn eine Ernte misslingt, wie z.B. im letzten verregneten Sommer die Tomaten, dann können wir Nahrungsmittel kaufen. Wir verhungern deshalb nicht. Es ist ein Experiment, das in erster Linie Spaß macht. Wir sind nicht so dogmatisch, dass wir sagen „wir essen nur das, was wir selbst angebaut haben“. Wenn ich im Winter Lust auf eine Bio-Orange habe, dann kaufe ich sie. Doch größtenteils leben wir von Obst, Gemüse oder Kartoffeln, kurzum von anderem, was wir selbst ernten.

Ihr seid jetzt auf der Suche nach neuen Mitgliedern für eure Selbstversorgergemeinschaft. Wen habt ihr euch denn vorgestellt?

Ja das stimmt. Boris und Pialo haben uns inzwischen verlassen, weil sie den Wunsch hatten, mit dem Segelboot eine Weltreise zu machen.

Wir haben von Anfang an das Ziel gehabt in einer kleinen Gruppe den Selbstversorgerhof zu betreiben, damit jeder seine Freiräume behält, man auch mal in Urlaub gehen oder über Nacht Freunde besuchen kann. Mit Tieren muss zumindest morgens und abends jemand da sein. Zu zweit würde das also nicht mehr gehen.

Daher ist unsere Idee, eine neue Gemeinschaft zu gründen, die gemeinsam das Projekt weiterentwickelt. Wir haben das Glück, dass wir noch ein zweites Haus auf dem Mühlengelände haben, das momentan leer steht, weil die Mieter ausgezogen sind. Wir haben also Wohnraum, den man entsprechend umgestalten kann, um weitere Mitglieder in die Gemeinschaft aufzunehmen. Platz wäre für 4 bis 5 Leute. Uns schwebt eine junge Familie vor und jemand mit etwas handwerklicher Erfahrung.

Wir suchen Menschen, die sich vorstellen können intensiv in die Selbstversorgung einzusteigen, die auch die Zeit, körperliche Fitness und Energie mitbringen dies umzusetzen, denn wir tun viel in Handarbeit und wenig mit Maschinen. Es gibt immer etwas zu tun, mit den Tieren, im Garten im Feld oder handwerklich. Das ist sehr vielseitig und macht Spaß. Wir sehen das nicht als Arbeit, sondern als unsere Art zu leben.

Ideen zur Fortentwicklung gibt es viele: Wir könnten zum Beispiel ein Wasserrad einbauen, um unseren eigenen Strom zu generieren. Wir könnten längerfristig einen Hofladen einrichten, in dem wir unsere Überschüsse verkaufen. Außerdem gibt es noch sehr viel brach liegende Wiesen in unserer direkten Umgebung. Da haben wir schon überlegt, Wasserbüffel anzuschaffen, dann könnten wir neben Ziegenkäse sogar Mozzarella herstellen!

Wir bauen auch gerade ein kleines Gästehaus am Bach, in das jemand einziehen kann, der für begrenzte Zeit in unserem Projekt arbeiten und sich zum Thema Selbstversorgung fit machen möchte.

Aber wir sind flexibel und gespannt welche Ideen die neuen Mitglieder mitbringenWir sind offen für neue Impulse. 

Wie sieht denn dein Tagesablauf im Moment aus?

Am Morgen versorge ich zuallererst die Tiere. Dann setze ich mich am Bach unter unsere drei großen, schönen Eichen und meditiere. Danach wird gefrühstückt und dann geht´s ins Home-Office an den Computer.

Auf diese Weise komme ich mit innerer Ruhe in den Tag und kann mich fragen, ob es für mich persönlich Dinge gibt, die anstehen. An meiner persönlichen Weiterentwicklung arbeite ich natürlich immer noch, das hört niemals auf. Über die Meditation kann ich mir Aspekte bewusst machen und schauen, wie ich diese im Alltag umsetzen kann. Nur so wird Veränderung tatsächlich sichtbar.

Du hast in deinem Selbstversorgerhof dein Herzensprojekt verwirklicht. Was möchtest du Menschen mitgeben, die sich in einer Lebenssituation gefangen fühlen, eigentlich aber etwas anderes wollen?

Mein Vorteil war, dass ich keine Zwänge hatte, ich hatte keine Kinder und keine wirtschaftlichen Verpflichtungen, das hat mir den Ausstieg natürlich leichter gemacht. Was jeder für sich selbst hinterfragen kann ist, wieviel Geld er wirklich braucht, um das Leben zu leben, das er wirklich leben will.

Viele Menschen versuchen den Lebensstandard den sie haben zu halten. Aber die Frage ist doch: Macht mich dieses Leben wirklich glücklich? Die Frage die für mich zentral war lautete: „Worauf kann ich verzichten, wenn ich dafür etwas anderes bekomme?“

Ich habe auf Weinreisen früher gerne mal 1000 Euro ausgeben. Heute kaufe ich keinen Wein mehr. Gute Freunde bringen eine Flasche mit, wenn sie mich besuchen, weil sie wissen, dass ich es schätze. Mir macht es dann viel mehr Spaß diesen Wein gemeinsam zu trinken bei einem guten Essen oder am Lagerfeuer. Ansonsten trinke ich Wasser und Apfelsaft und habe nicht das Gefühl etwas zu vermissen.

Dadurch, dass ich auf vieles verzichten kann, habe ich einen viel geringeren Bedarf an Geld. Ich habe meinen Konsum eingeschränkt, ohne dass es mir weh tut. Dadurch kann ich mit einem 50-Prozent-Job gut leben. Für andere Menschen ist der Teilzeitjob vielleicht auch eine Alternative, weil dann mehr Zeit bleibt, um einer Beschäftigung nachzugehen, die dir wichtig ist und dich erfüllt.

Eine Variante die ich auch empfehlen kann ist die Auszeit. Möglichkeiten gibt es genug. Das Ziel ist immer das Gleiche: sich Freiräume zu schaffen. Das ist bei uns in Deutschland angstbesetzt, weil uns das Sicherheitsdenken anerzogen ist. Daher ist das oft ein langer Weg, den man auch stückweise gehen kann. So hat es für mich funktioniert, erst Auszeit,  dann der Ausstieg und jetzt reduzierte Arbeitszeit.

„Ich denke man muss willens sein, sich von altem zu trennen. Ich kann nicht alles behalten wollen was ich habe und trotzdem etwas Neues wollen. Ich muss bereit sein etwas aufzugeben, um offen zu sein für etwas Neues, auch wenn das manchmal weh tut.“

Bei meinem ersten Sabbatical haben mir Kollegen und Peers abgeraten. Das sei ein Karriere-Killer, haben sie vorausgesagt. Aber es hat mir nicht geschadet, denn auch durch meine Erfahrungen auf Reisen in Afrika habe ich mich weiterentwickelt. Ich weiß heute beispielsweise mit Krisensituationen viel besser umzugehen. Denn „Krise“ hat für mich inzwischen eine andere Bedeutung. Selbst wenn ich im Job eine Fehlentscheidung treffe, dann stirbt niemand. So kann ich mich in diesen Situationen viel ruhiger und menschlicher verhalten.

Auf welche deiner Eigenschaften konntest du dich im Laufe dieses Prozesses verlassen?

Ich freue mich immer über neue Erfahrungen. Ich habe mir die kindliche Neugier erhalten, das ist sicher ein Punkt. Mir war auch immer klar, dass ich zurechtkomme. Ich habe dieses Bewusstsein, dass ich mich selbst über Wasser halten kann.

Als Garten- und Landschaftsbauer beispielsweise war ich ungelernte Kraft. Da habe ich 12,50 Euro/Stunde verdient. Jobs, mit denen man nicht auf das Sozialsystem angewiesen ist, lassen sich immer finden, sofern man gesund und leistungsfähig ist. Gleichzeitig weiß ich, dass ich mir nicht zu schade dafür bin einen Job zu machen, der nicht auf dem gleichen Niveau ist wie der, den ich einmal hatte. Ich bin der Überzeugung, dass jede Arbeit ihren Wert hat.

Du musst an dir und deiner Umgebung arbeiten wollen, um etwas voran zu bringen bzw. eine Veränderung hervorzurufen. Dazu gehört Mut, denn du musst Entscheidungen treffen und diese umsetzen. Was daraus erwächst ist oft ungewiss. Vertrauen in sich selbst und das große Ganze ist hilfreich. Die Bereitschaft zu scheitern gehört auch dazu. Unsere Bienen sind ein Beispiel. Ich hatte mir ein Buch gekauft und danach bin ich vorgegangen. Die Bienenvölker sind leider gestorben. So haben wir uns einmal mehr Rat von außerhalb geholt, mit dem es jetzt hoffentlich besser klappt. Wichtig ist, sich von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen, zu analysieren warum es schiefgegangen ist und daraus zu lernen. Und hinein zu fühlen, ob das Ziel das ich verfolge wirklich zum Projekt passt. Andernfalls muss ich mich von einer Idee auch verabschieden können.

Ich glaube nicht, dass es generell ein richtig oder falsch gibt, das muss jeder für sich herausfinden. Man muss aber eben die Bereitschaft haben sich selbst immer wieder zu hinterfragen. Für mich ist das Wichtigste respektvoll miteinander umzugehen.

„Daher suchen wir jetzt auch nach Menschen für unser Projekt die offen sind und in Harmonie mit unserem Flecken Erde leben wollen.“

Verfolgst du mit deinem Selbstversorgerprojekt auch eine Art höheres Ziel?

Im Grunde möchte ich Menschen inspirieren, etwas in ihrem eigenen Leben zu ändern. Ich bin davon überzeugt, dass die Art und Weise wie wir heute leben, nicht langfristig tragfähig ist, weil wir über unsere Ressourcen leben. Die Lösung liegt sicher nicht darin, dass alle zu Selbstversorgern werden. Ich sage auch nicht, dass der Weg den wir gehen der einzig richtige ist. Er fühlt sich nur für mich gut an. Der Ansatz ist eher, bewusster mit der Natur umzugehen. Also: Wie kann ich mein Handeln verändern, damit es mehr in Einklang mit der Natur kommt?

Wenn jemand nach einem Besuch bei uns sein Verhalten anpasst, beispielsweise seinen CO2-Fußabdruck verkleinert, dann finde ich das super. Ich könnte mir auch vorstellen hier mit Kindern zu arbeiten, z.B. Wochenendfreizeiten mit Gruppen oder Familien. Es gibt viele spannende Möglichkeiten Menschen an das Leben im Einklang mit der Natur heranzuführen.

Die Natur ist für uns Menschen die Voraussetzung für ein lebenswertes Leben. Einige Wenige von uns könnten wahrscheinlich sogar in einer künstlichen Umgebung klarkommen, aber die Frage ist, ob das wirklich erstrebenswert ist.

Von der Politik würde ich mir wünschen, dass Entscheidungen nicht nur getroffen werden, sondern dass diesen Entscheidungen auch relevante Taten folgen. Aber mir ist auch klar, dass Politik immer Zwängen unterworfen ist. Außerdem kann Politik nur das umsetzen, was die Gesellschaft mitträgt. Daher ist unsere Gesellschaft zur Zeit sehr gefordert. Es kommt auf die Veränderungsbereitschaft und das Veränderungsbewusstsein jedes Einzelnen an. Wenn das angekommen ist, dann wird auch die Politik handeln.

Geduld ist nicht meine Stärke aber ich denke gesellschaftliche Änderungen lassen sich nicht erzwingen. Ich wage keine Prognose ob es uns gelingt die Schöpfung zu bewahren. Leider gibt es ja immer noch Menschen die Klimawandel und das Artensterben als Fakt nicht akzeptieren wollen und ich habe keine Idee mehr, wie man es ihnen erklären kann.

Ich bin aber trotzdem optimistisch, denn in meinem beruflichen Umfeld arbeite ich viel mit jungen Leuten zusammen, die in ihrem Handeln sehr konsequent sind und sich begeistert für die Umwelt einsetzen, angefangen vom Verzicht auf das Auto über die vegetarische oder vegane Lebensweise bis hin zur generellen Reduzierung von Konsum. Der Großteil der Gesellschaft hat das Problem sicher verstanden, weiß aber nicht, wie man darauf reagiert. Die Jugend hat hier große Einflussmöglichkeiten auf ihr direktes Umfeld.

In unserem Projekt ist es ähnlich. Die großen Räder sind für uns zu komplex, aber in unserem kleinen Radius können wir Menschen inspirieren, ihnen aufzeigen welche Möglichkeiten sie persönlich haben.

Stefan ich danke dir für diesen inspirierenden Austausch und wünsche euch, dass ihr Menschen findet, die euer Projekt bereichern.

Danke liebe Heike für die Gelegenheit, dies hier vorzustellen!

Wenn ihr euch für Stefans Projekt interessiert, dann empfehle ich euch seine Webseite Leben im Einklang mit der Natur

Anfragen bezüglich der Mitgliedschaft in der Selbstversorgergemeinschaft richtet ihr direkt an ihn per Mail: stefan@blackcontinent.de

Und wenn euch die Abenteuer interessieren, die Stefan und ich gemeinsam in Afrika und anderswo erlebt haben, dann könnt ihr gespannt sein auf mein Buch, das im Mai 2022 erscheinen wird. Alle aktuellen Infos dazu findet ihr auf meinem Instagram Autoren Account @heidimetzmeier und bald auch auf der Webseite https://heidimetzmeier.de

Kommunikation in Zeiten des Krieges

Viele Unternehmer und Selbstständige fragen sich in diesen Tagen, ob “business as usual” in der Kommunikation den Menschen zuzumuten ist. Dem möchte ich heute nachgehen.

Ich selbst habe ein paar Tage gebraucht, um meine Schockstarre und Fassungslosigkeit – angesichts der Bilder und Nachrichten aus der Ukraine – zu überwinden. Mit Kopfschütteln habe ich derweil zur Kenntnis genommen, dass viele Akteure vor allem im Online-Business ihr Marketing haben weiterlaufen lassen wie gewohnt. Die Posts waren wahrscheinlich seit Wochen vorgeplant und sind automatisiert freigeschaltet worden. So macht man das heute.
Andere haben sich auf nachgerade peinliche Weise am Spagat zwischen Solidarität und wirtschaftlichen Zwängen versucht. Die Influencerin z.B., die in modischer blau/gelb-Kombination vor die Kamera tritt und unter dem Foto einen Betroffenheitspost absetzt.

Das soll nicht heißen, dass Funkstille die einzig mögliche Alternative ist. Im Gegenteil, sensible Kommunikation, die sich ernsthaft mit den Gefühlen und Bedürfnissen der eigenen Zielgruppen auseinandersetzt, ist jetzt wichtiger den je. Über die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen können wir eine persönliche Beziehung zu den Menschen aufbauen, deren Aufmerksamkeit uns wichtig ist. In diesen Zeiten zeigt sich, welche Werte von einem Unternehmen, einer Organisation oder einem Dienstleister wirklich gelebt werden.

Hier ein paar Tipps, wie meiner Meinung nach die Kommunikation auch dann aktiv gestaltet werden kann, wenn Menschen an alles beherrschenden, belastenden Themen hängen:

  • Schlage leisere Töne an

Das Sprichwort “der Ton macht die Musik” gilt auch für die Kommunikation. Etwas mehr Zurückhaltung in der Wucht der Worte und der Bilder ist in emotional belastenden Situationen hilfreich. Weiche Bilder und zarte Töne  reduzieren Stress, mildern Gefühle von Wut oder Ohnmacht.
Lass Empathie aus deinen Texten sprechen. Zeige Mitgefühl für die Betroffenen. Auch wenn das Wort gerade etwas überbeansprucht wird: zeige dich authentisch. Lass Einblicke in deine  Gefühlswelt und deine Gedanken zu. Emotionen erzeugen Gemeinschaft, die über die Krise hinaus tragfähig sein kann. 

  • Lasse den Worten Taten folgen

In einer Krise ist nichts schlimmer als in Tatenlosigkeit zu verharren und zuzusehen, wie sich die Dinge zuspitzen. Zeige, dass du nicht nur in deinem Business weißt was zu tun ist, sondern, dass du auch in Situationen die besonderes gesellschaftliches Engagement erfordern, aktiv deinen Beitrag zu leisten verstehst. Orientiere dich dabei an den Möglichkeiten und Schnittpunkten mit deiner Kernkompetenz. Ein Unternehmen der Gesundheitsindustrie kann mit Medikamenten aushelfen, eine Physiotherapeutin oder Ärztin kann sich Flüchtlingen annehmen, ein Logistikunternehmer kann Hilfstransporte organisieren. Bist du Coach? Dann kannst du vielleicht besondere Angebote machen für Menschen in Deutschland, die das was sie gerade emotional durchmachen nicht alleine verarbeiten können. Was immer es ist das du tust, aus deinem Handeln sprechen deine Werte. Wenn du darüber sprichst, schafft dies Möglichkeiten, sich mit dir und deinem Business zu identifizieren.

  • Fordere dazu auf, ins Handeln zu kommen

Viele Menschen warten nur darauf, dass ihnen jemand sagt, was zu tun ist, damit sie das Gefühl der Ohnmacht und der Trauer loswerden. Aktivität gibt Energie und uns ein Stück weit die Kontrolle über die Situation zurück. Hilf den Menschen, mit denen du kommunizierst, indem du Alternativen anbietest. Das ist natürlich besonders einfach, wenn du selbst unterstützend tätig bist, aber auch wenn du dich nicht direkt involvierst, kannst du Menschen zur Aktivität aufrufen, zum Beispiel indem du auf deinen Webseiten die Kontaktmöglichkeiten für Geld- oder Sachspenden auflistest. Vielleicht gibt es Benefizveranstaltung ortsansässiger Vereine, die du mit bewerben kannst. Kooperiere mit den städtischen Institutionen und der Kommunalverwaltung. Vielleicht gibt es Möglichkeiten Flüchtlinge vor Ort zu unterstützen, durch Wohnraum oder Hilfe bei Behördengängen. Wenn du dich hier als Vermittler anbietest, tust du nicht nur gutes, sondern vergrößerst sogar noch dein Netzwerk persönlicher Kontakte.

Als Arbeitgeber fällt dir hierbei noch eine besondere Verantwortung zu: die für deine Mitarbeiter. Wenn jemand aus deinem Unternehmen die Berufung spürt längerfristig aktiv zu sein, dann solltest du mit dieser Person zusammenarbeiten, um im Gespräch Möglichkeiten auszuloten, wie dies gelingen kann. Schaffe Freiräume seine Hilfsbereitschaft auszuleben. Ein Mitarbeiter der gesellschaftliches Engagement zeigt, trägt seine Werte in dein Unternehmen hinein und seine Geschichte in die Welt hinaus.

  • Stärke die Selbstfürsorge

Da wir gerade bei den Mitarbeitern sind: Es herrscht derzeit in allen Fluren Gesprächsbedarf. Öffne den Raum dafür, dass Kommunikation innerhalb der Belegschaft über das was sie bewegt möglich ist. Halte den Raum auch für die sensibleren Geschöpfe, engagiere gegebenenfalls Coaches oder Gesprächstherapeuten, um den Prozess professionell zu begleiten. Überlege auch, welche Angebote du über die Kommunikation hinaus machen kannst, damit die seelische Gesundheit deiner Mitarbeiter erhalten bleibt.

  • Baue Brücken auf und Ängste ab

Zum Schluss noch eines: In der aktuellen Situation ist es gut möglich, dass Menschen hier in Deutschland die Auswirkungen der Sanktionen finanziell auf schmerzhafte Weise zu spüren bekommen. Einige haben in diesen Tagen schwere emotionale Probleme oder Existenzängste. Hier ist zwar auch die Regierung in der Verantwortung. Du kannst aber dazu beitragen, dass der akute Druck nachlässt. Haben Kunden bei dir Zahlungsverpflichtungen, die du aussetzen oder strecken kannst? Hilft ein Mietrabatt? Besteht die Möglichkeit einer firmeninternen Finanzierungshilfe für das Haus? Diese Angebote proaktiv an die Betroffenen zu kommunizieren löst mehr aus, als jede aktuelle Imagekampagne oder Werbeanzeige.

Und so komme ich zu meiner Antwort auf die eingangs gestellte Frage: Nein, business as usual ist in Bezug auf die Kommunikation in meinen Augen gerade keine Option. Das heißt aber nicht, dass ich meine Bemühungen mit meinen Zielgruppen in Kontakt zu bleiben einstellen muss. Ich habe vielmehr die Verpflichtung, meine Strategie und meine Botschaften zu hinterfragen, ob sie der aktuellen Situation angemessen sind. Darin liegt im besten Falle die Chance, sich zu einem noch stärker werteorientierten, sozialen Unternehmen hin zu entwickeln.

P.S.: Dass soziales Unternehmertum in der Zukunft alternativlos ist hat meine Kollegin Manuela Pastore übrigens in einem sehr emotionalen Beitrag reich an Beispielen in diesem Blog einmal dargelegt. Den Gastbeitrag findest du hier.

 

Die 5 besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe

Da in den letzten Wochen sehr viele Leser im Blog hinzugekommen sind, ist dies wohl ein guter Moment, um euch ein bisschen mehr über mich zu verraten.

Dafür habe ich das Thema Entscheidungen gewählt. Es soll um die Momente gehen, in denen unser Leben eine grundlegend andere Richtung nimmt. Ich hatte davon einige, wobei ich zugeben muss, dass mir nicht immer sofort bewusst war, wie weitreichend die Folgen sein würden. Das Thema passt übrigens wunderbar zu meinem nächsten Interview-Gast der Reihe „im Gespräch mit…“, der seinen Job als Unternehmensberater an den Nagel gehängt hat, um im Einklang mit der Natur zu leben.

Was waren also meine Big 5?

1. Leben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Ich hatte mir zu Schulzeiten das Studienfach Biologie in den Kopf gesetzt. Allerdings reichte mein Abi-Schnitt nicht für den numerus clausus. Um die Wartezeit zu überbrücken, kam mir die Idee, ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ich eröffnete meinen Eltern ich wolle in die U.S.A.. Ich träumte davon die Statue Abraham Lincolns an der Mall in Washington D.C. zu sehen, die ich aus einem Science-Fiction Film kannte. Ich hatte große Lust das Land kennenlernen, aus dem die Musik kam, die ich liebte. Schließlich wollte ich die vielbeschworene Freiheit spüren und meine eigenen Entscheidungen treffen – kurzum endlich flügge werden. Fehlte nur noch eine Gastfamilie. Zu dieser kam ich über eine Freundin, die an ihrer Universität den Aushang mit einem Au-pair-Gesuch entdeckte und mich sogleich anrief.

Um die Geschichte kurz zu machen; ich hatte nach Erfahrung gerufen und machte sie, allerdings anders als erwartet: 9 Jahre Fremdsprachenunterricht bereiten einen kaum vor auf das, was in der echten Welt als Englisch durchgeht. Ich saß tagelang vor dem Fernseher und beobachtete die Lippenbewegungen der Schauspieler, um mir einen Reim auf das zu machen, was ich hörte. Den ganzen Tag mit dem Baby meiner Gasteltern alleine, lernte ich schnell Verantwortung zu übernehmen. Meine amerikanische Familie war großartig. Das Vertrauen das sie mir schenkten überwältigte mich. Ich bedankte mich, indem ich mit ihrem Wagen eine rote Ampel überfuhr, was natürlich zu einem Strafzettel führte. Sie zeigten mir New York, ließen mich mit dem Nachtbus nach Niagara Falls fahren und stellten mich dem größeren Familienkreis bei einem Ferientrip in die Rocky Mountains vor. Zu meinem Geburtstag veranstalteten sie eine Party mit ihren Freunden, damit ich mich nicht alleine fühlte. Durch sie habe ich gelernt was Gastfreundschaft bedeutet. In meiner Freizeit probierte ich zwischen Aerobic und Stepptanz alles aus, was das Angebot hergab. Im Anschluss an meine Zeit als Nanny unternahm ich Bus-Reisen und sah mir an, was für Kalifornien und den mittleren Westen auf den Top 10-Listen steht, von Alcatraz Island bis Zion Nationalpark. Mein Reise-Gen war geweckt und sollte nie mehr einschlafen.

Aber ich lernte auch, dass im Leben nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen ist. Ich sah Menschen die in Pappkartons lebten, kam mit der Rassentrennung in Berührung und musste auch erkennen, dass viele Amerikaner ihr Land für den Nabel der Welt halten. Ich lernte, nicht mehr kritiklos alles cool zu finden und begann das was ich für falsch oder ungerecht hielt verbal zu vertreten. Mein amerikanischer Gastvater war für diese Unterhaltungen perfekt, weil er mich meine Argumente ohne Unterbrechung vortragen ließ, bevor er sie feinsäuberlich und unaufgeregt zerlegte. Die beste Sprachschule der Welt!

„Was dieses Leben in einer anderen Familie bedeutet wurde mir erst später klar. Ich war für sie ein unbeschriebenes Blatt, sie begegneten mir vorbehaltlos und hatten keine Ambitionen, auf mich Einfluss zu nehmen. Damit prägten sie mich, ohne es zu beabsichtigen. Ich wurde selbstständiger, selbstbewusster, wusste was mir im Leben wichtig ist“

– und wog 15 Kilo mehr, als ich nach Hause flog.

2. Spurwechsel

Das Studienfach Biologie war die richtige Wahl für mich, auch wenn ich mit den klassischen Disziplinen Botanik und Zoologie nie wirklich warm wurde. Ich kann bis heute keine Tanne von einer Kiefer unterscheiden. Nach der Diplomarbeit entschloss ich mich zur Promotion mit einem Schwerpunkt in Neurobiologie. Ich hatte perfekte Bedingungen: Ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft; mit den renommierten Instituten Heidelbergs ein internationales Forschungsumfeld, und einen Freundeskreis, der die Frustrationen des Laboralltags auffing. Trotzdem war ich unglücklich. Stundenlang eingesperrt in einem dunklen Raum mit nichts als leuchtenden Nervenzellen zur Gesellschaft trieb mich langsam in den Wahnsinn. Ich hatte vermeintlich alles auf eine Karte gesetzt und verloren. Die nüchterne Erkenntnis war: Ich bin für den Wissenschaftsbetrieb nicht gemacht.  Was ich wollte war Reden halten, Texte schreiben, Veranstaltungen organisieren, am liebsten über Gesundheitsthemen. Viele Coaching-Sessions später entschied ich, der aktiven Wissenschaft den Rücken zu kehren und in die Gesundheitskommunikation zu wechseln.

Wissenschaftliches Arbeiten hat mir Techniken an die Hand gegeben, um mit einer Herausforderung klarzukommen. Ich kann ein Problem benennen, in beherrschbare Teile zerlegen und Lösungswege skizzieren. Meine Laufbahn hat mich außerdem perfekt darauf vorbereitet, die Themen meiner Kunden zu verstehen.

„Was ich lange für eine Sackgasse hielt, war in Wahrheit die beste Schule. Am Ende des dunklen Gangs war eine Tür, die in einen Raum neuer Möglichkeiten führte.“

Ich spazierte aus der Uni heraus und hinein in die Welt der Public Relations-Beratung.

3. Lücken im Lebenslauf

„Jetzt verdienst du endlich dein erstes, eigenes Geld und willst schon wieder aufhören?“
„Glaubst du, du findest danach wieder einen Job?“
„Wieso ausgerechnet Afrika?“
Das sind nur einige der Fragen, mit denen ich mich konfrontiert sah, als mein Partner und ich beschlossen hatten, ein Sabbatjahr zu nehmen. Wir wollten den afrikanischen Kontinent der Länge nach durchqueren.

Natürlich war meine Chefin, die Geschäftsführerin einer PR-Agentur für Gesundheitskommunikation, nur mäßig begeistert von meiner Kündigung. Unsere Eltern machten sich sorgen darüber, was unterwegs alles passieren kann. Aber wir ließen uns nicht beirren. Gelegentlich hörten wir auch den Satz: „Das würde ich auch gerne machen.“  Ich stellte aber schnell fest, dass viele die von einer Auszeit träumen, diese nie in die Tat umsetzen.

„Wichtig ist, dass wir uns in einem Sabbatical zu einem Sinn oder Ziel hinbewegen und nicht vor einer Situation davonlaufen. Letzteres funktioniert selten, weil Probleme uns überall einholen.“

Ich bin eine Wiederholungstäterin und habe inzwischen mehrfach die Chance genutzt, für längere Zeit, auf eigene Faust, ein Stück der Welt zu erkunden. Was ich sagen kann ist, dass es meiner Karriere nie geschadet hat. Ich habe nach der Rückkehr immer wieder einen Job gefunden, der mich erfüllte. Das lag vielleicht auch daran, dass ich gute Argumente hatte, diese Lücken im Lebenslauf zu erklären. Das beste an dieser Zeit war nämlich, dass ich mich selbst in einem neuen Kontext kennenlernte, einen Perspektivwechsel erlebte, der meinen Horizont deutlich erweiterte und dass ich neue Fähigkeiten entwickelte, wie etwa interkulturelle Kompetenz, Flexibilität, Resilienz und Problembewältigungsstrategie unter ungewöhnlichen Umständen. Das hat meinen Marktwert eher gesteigert.

4. Zwar selbst und ständig, aber auch frei und unabhängig

Als ich von einer meiner Auszeiten zurückkam war in mir der Wunsch gereift, mich beruflich zu verändern. Ich wollte weiterhin in der Gesundheitskommunikation aktiv sein, aber flexibler werden in Bezug auf meine Kunden und meine Arbeitszeiten. Auch den Arbeitsort wollte ich mitbestimmen können. Meiner Kreativität ist es zuträglich, wenn ich – statt auf einen Parkplatz – in die Weinberge oder auf das Meer schaue. So ging ich das Projekt „Selbstständigkeit“ an.

Glücklicherweise war mein Arbeitgeber damals bereit, mir als Kunde erhalten zu bleiben. So musste ich nicht sofort in das Akquise-Thema einsteigen. Diejenigen unter euch die Solo-Preneure sind wissen, dass Selbstständigkeit kein Selbstläufer ist. Es gibt Zeiten, da bin ich mir nicht sicher, wie weit meine Aufträge mich tragen werden. Mir wird bisweilen schwindelig, wenn ich die laufenden Kosten überschlage, da ich für alles selbst aufkommen muss. Die Energie die in das Eigenmarketing fließt, übersteigt manchmal die Grenzen dessen, was ich für machbar halte. Aber nach knapp 8 Jahren habe ich eine gewisse Sicherheit entwickelt. Ich kann rückblickend sagen, dass sich meine Wünsche und Vorstellungen gut mit dem Notwendigen vereinbaren lassen. Ich habe mich in eine breite Palette von Themengebiete einarbeiten dürfen. Manchmal sage ich scherzhaft: „Ich werde dafür bezahlt, etwas Neues zu lernen.“ Es war bisher der Schritt der am meisten Mut erfordert hat. Ich bin dafür reich belohnt worden.

5. Die Geschichtenerzählerin

Eine meiner Kundinnen ist die Chefredakteurin des online-Magazins Lemondays, Angela Löhr. Mit ihr kam ich in Kontakt, als meine Wechseljahre anklopften. Ich lernte schnell, dass es in dieser Lebensphase um mehr geht, als Hormone. Es findet ein Umbruch auf vielen Ebenen statt, den wir entweder als lästiges Übel abtun oder als Chance zur aktiven Veränderung begreifen können. Ich habe durch die Zusammenarbeit mit den Redakteurinnen den Kick bekommen, mich mehr auf das zu konzentrieren, wofür ich brenne. Meine Leidenschaft ist das Geschichten-Erzählen. So kommt es, dass ich nun ein zweites Standbein aufbaue. Noch in diesem Jahr werde ich mein erstes Taschenbuch im Selbstverlag veröffentlichen. Ich erzähle darin meine Reisegeschichten aus 30 Jahren über 4 Kontinente hinweg. Es ist die bislang letzte beste Entscheidung die ich getroffen habe und ein Abenteuer für sich. Wenn du mich dabei begleiten möchtest, dann folge mir gerne auf Instagram: @heidimetzmeier.

Jetzt weißt du eine ganze Menge mehr über mich, aber fragst dich vielleicht, was das mit dir zu tun hat.

Das Fazit lässt sich vielleicht so zusammenfassen:

  • Lebenslanges Lernen ist heute wichtiger denn je. Wir werden durch die Digitalisierung Berufe kommen und gehen sehen. Kaum ein Bereich wird davon unberührt bleiben. Wer im Laufe seiner Karriere sich selbst immer wieder im neuen Kontext kennenlernt, wird mit diesen Veränderungen besser zurechtkommen, das ist meine tiefe Überzeugung. Die Bereitschaft, einen anderen Weg einzuschlagen, ist nicht jedem in die Wiege gelegt, aber das neue Arbeiten in wechselnden Teams, birgt auch für Veränderungsmuffel zahlreiche Möglichkeiten.
  • Niemand gibt gerne zu, dass er sich vergallopiert hat. Holzwege oder Sackgassen sind aber nichts, wofür wir uns schämen müssen, sondern Fingerzeige des Schicksals. Ich habe gelernt, die Hilfe von Coaches und Therapeuten anzunehmen. Sie können mit ihrem neutralen Blick den Finger auf Wunden legen, vor denen wir die Augen verschließen. Ein guter Coach hilft dir, deine Talente zu benennen und weist dir auch den Weg zu  möglichen neuen Zielen.
  • Ich habe den Eindruck, dass der geradlinige Lebenslauf mit möglichst effizient genutzten Ausbildungszeiten immer noch propagiert wird. Es entspricht allerdings meiner Erfahrung (und ich habe einigen Vorstellungsgesprächen auf der Arbeitgeberseite beigesessen), dass vermeintliche Brüche oder überraschende Wendungen in einer Lebenslinie den Menschen viel interessanter machen. Mut zur Lücke!
  • Über das Sabbat-Jahr als Potenzialzeit habe ich schon einmal einen längeren Beitrag verfasst. Daher an dieser Stelle nur so viel: Die Möglichkeit eine Auszeit vom Job zu nehmen ist etwas, das in in den meisten Betriebsvereinbarungen festgeschrieben ist. Wie du sie verbringst, ist dir überlassen, ob mit einer beruflichen Weiterbildung, einer Reise, dem Erlernen eines neuen Hobbys oder dem Aufbau eines eigenen Business. Die Spielwiese ist riesig. Ich kenne niemanden, dem diese Zeit geschadet hätte, wohl aber Menschen, denen Abstand von ihrem Alltag sehr gut tun würde. Träume wollen nicht als Sticker an der Kühlschrankwand enden, sondern gelebt werden.
  • Das Arbeitsleben ist ein Weg bei dem es kein Ziel gibt, sondern es bietet Möglichkeiten an verschiedenen Stellen die Aussicht zu genießen.
  • Jede Lebensphase birgt neue Chancen seine unterschiedlichen Talente auszuleben.  Es ist daher nie zu spät für den nächsten Schritt.

Was war deine letzte beste Entscheidung? Verrate es uns in den Kommentaren!

Dir gefällt was du liest? Dann abonniere gerne meinen Newsletter. Ich benachrichtige dich, wenn es neue Beiträge gibt.

Im Gespräch mit Astrid Hager über Frauen in Führungspositionen

„Die Moral muss wieder mehr Einzug in die Geschäftswelt halten“

 Meine heutige Gesprächspartnerin ist das, was man vielleicht als Vollblut-Geschäftsfrau bezeichnen könnte. Der Vergleich passt vor allem deshalb gut, weil sie seit den frühen Kindertagen eine Leidenschaft für Pferde hat. Im Alter von 12 Jahren begann sie zu reiten und hat dies bis zum heutigen Tag beibehalten, wobei sie ein Vereinspferd reitet, weil sie sich als Führungskraft in Vollzeit nicht gut genug um ein eigenes Pferd kümmern könnte. Außerdem arbeitet sie seit 9 Jahren mit einem Personal Trainer, der ihr hilft, den inneren Schweinehund auch dann zu überwinden, wenn es draußen kalt und dunkel ist. Der Termin montags und freitags um 7 Uhr in der Früh ist fast unverrückbar. Astrid war 23 Jahre lang beim IT-Konzern IBM beschäftigt, mit 28 Jahren hatte sie dort ihre erste Führungsposition inne. Derzeit ist sie bei Bosch für die Projektleiter in der internen IT zuständig und hat rund 200 Mitarbeiter. Für mich ist Astrid ein Vorbild – neudeutsch role model – für Frauen in Führungspositionen, in einem Bereich, in dem der weibliche Anteil in meiner Wahrnehmung unterrepräsentiert ist, weshalb ich mich sehr darauf freue, dieses Feld mit ihr auszuleuchten.

Was bedeutet für dich das Glück auf dem Rücken der Pferde?

Für mich ist das Reiten Ausgleich zum Alltag. Ich kann dabei wunderbar abschalten, den Kopf frei bekommen. Freitag ist Reittag, das ist für mich auch ein gesellschaftliches Ereignis. Sonntags freue ich mich auf das Ausreiten im Wald, dann komme ich in Kontakt zur Natur, das liebe ich.

Wie bist du auf die Idee gekommen, dir einen Personal Trainer zu nehmen?

Die Frau eines Kollegen, die selbst Personal Trainerin ist, hat zu mir gesagt: „Du kümmerst dich immer so viel um andere Menschen, suche dir doch mal jemanden der dir hilft.“ Ich habe das dann einfach ausprobiert und festgestellt wie gut es mir tut, mich zu bewegen, nach einem individualisierten Programm, das auf meine aktuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Ich merke dabei auch, wie stressig meine Arbeitswoche ist, denn Übungen die mir montags leicht fallen, strengen mich freitags viel mehr an. Ich lerne viel über mich selbst, indem ich fokussiert Sport mache. Spaß macht es obendrein, weil der Trainer mich stufenweise an die Herausforderungen heranführt. Er motiviert mich, über mich hinaus zu wachsen und Grenzen zu verschieben. Er hält mich auch dann bei der Stange, wenn es nicht so gut läuft.

Was nimmst du aus deinen Freizeitbeschäftigungen für deinen Beruf mit?

Ich nehme aus allem was ich im Leben tue etwas für das Business mit, ob das der Reitverein ist, der Sport oder etwas anderes. Ich denke oft: „Wenn das für mich funktioniert, funktioniert es auch für meine Mitarbeiter.“ Im Reitverein habe ich außerdem den perfekten Realitäts-Check. Wenn ich sehe, wie gut die Mitarbeiter dort – die ein sehr geringes Lohnniveau haben – in ihrem Leben klarkommen, dann erzieht mich das zur Bescheidenheit und rückt die Perspektiven wieder gerade. Ich probiere gerne Dinge in meiner Freizeit aus und nehme Erkenntnisse daraus in das Arbeitsleben mit. Aber mit tut auch der Freundeskreis gut, in dem das Arbeitsleben außen vor ist. Es muss ja nicht immer nach dem Prinzip „höher, schneller, weiter“ gehen.

Du hast mit der Berufsakademie (BA) einen interessanten Ausbildungsweg gewählt. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe mich bewusst für die Berufsakademie entschieden. Heute würde man das übrigens duale Hochschule nennen. Mich hat das Konzept vom Studium parallel zur Arbeit gereizt. Ursprünglich hatte ich mich in der Firma meines Vaters beworben, kam auch in die Endrunde der letzten 4, wurde aber dann mit der Begründung abgelehnt, dass ich als Frau schwanger werden kann! Das ist jetzt 30 Jahre her. IBM hatte damals schon den Ansatz Frauen zu fördern. Ein Drittel der BA-Stellen wurden daher mit Frauen besetzt, um sie innerhalb des Unternehmens auch auf höhere Positionen entwickeln zu können. Mir haben sie damals die BA für den Bereich Wirtschaftsinformatik angeboten und so bin ich zur IT gekommen, obwohl ich das ursprünglich gar nicht auf dem Zettel hatte. Ich habe mich mit Mobile Computing beschäftigt, war im Vertrieb, habe Produktmanagement gemacht und mit meinem ersten Team als Führungskraft komplexe Serviceverträge für Kunden erstellt. Danach bin ich ins Pricing gewechselt und landete schließlich in einer Position die der eines COO (Chief Operating Officer) ähnlich ist, für einen definierten Geschäftsbereich der IBM. Zwischendurch habe ich berufsbegleitend in Henley einen durch die IBM finanzierten MBA-Studiengang belegt. Das hat mir viel Spaß gemacht, weil ich durch die langjährige Berufserfahrung die theoretischen Modelle die im Rahmen der Ausbildung vermittelt wurden, mit der Praxis gut verknüpfen konnte. Außerdem habe ich über dieses Studium europaweit jede Menge Freunde gewonnen, mit denen ich bis heute einen regen Austausch pflege.

Das klingt nach jonglieren mit sehr vielen Aufgaben. Wie bekommst du das alles unter einen Hut?

Ich bin jemand der unter Druck gut arbeiten kann und lege, wenn es denn sein muss, auch eine Nachtschicht ein. Aber ich bin auch niemand der sich an einer Aufgabe verschnörkelt. Ich bin Pragmatikerin. Ich wende die Theorie dort an, wo sie nützlich ist. Ich nehme mir die Freiheit Modelle so anzupassen wie ich sie brauche. Ich setze dann beispielsweise nur 70 % davon ein, halte mich also nicht sklavisch an theoretische Vorgaben.

Warum denkst du hat man dir in so jungen Jahren eine Führungsposition zugetraut?

Mein Deutschlehrer hat mir in mein Poesiealbum folgenden Spruch geschrieben:

„Große Tugenden machen einen Menschen bewundernswert, die kleinen Fehler machen ihn liebenswert. Beides besitzt du reichlich und in so guter Mischung, dass ich dir wünsche du mögest so bewundernswert und so liebenswert bleiben in deinem Leben.“ Der gleiche Lehrer hat auch gesagt: „Die wird mal Manager.“ Die Fähigkeiten dazu sind wohl in mir angelegt und das wurde früh von meinen Arbeitgebern erkannt. Bei IBM war der Auswahlprozess relativ langwierig, aber auch dort hat man mir Führungsaufgaben zugetraut. Hinzu kommt, dass ich gute Chefs hatte. Es kommt nämlich auch auf die Förderung innerhalb des Unternehmens an und da hatte ich großes Glück auf die richtigen Männer zu treffen.

Wenn es um die Qualitäten geht, denke ich, ist eine meiner Stärken gut zuhören zu können und mich gut in die Schuhe meines Gegenübers zu versetzen.

Was hat dich motiviert das Unternehmen zu verlassen, das dich gefördert hat?

Es hat sich irgendwann die Gelegenheit ergeben, mich bei Bosch vorzustellen. Ich war Mitte 40 und stand vor der Wahl, entweder jetzt zu gehen, oder bis zum Ende der beruflichen Laufbahn zu bleiben. Der Wechsel von einem amerikanischen, quartalsgetriebenen IT-Riesen zu einem deutschen, stiftungsorganisierten Unternehmen mit viel Wertschätzung für seine Mitarbeiter erschien mir reizvoll.

Wie beurteilst du das Geschlechterverhältnis in technischen Berufen?

Was die technischen Themen angeht sind Frauen immer noch in der Minderheit. Ich war sehr häufig in meiner Laufbahn die einzige Frau in einem Meeting und ich habe als Führungskraft schon Abteilungen geleitet, die nur männliche Mitarbeiter hatten.

Ich glaube tatsächlich, dass die Prägung bereits im Kindesalter mit geschlechtsspezifischem Spielzeug beginnt. In meinem Elternhaus hat glücklicherweise niemand die Krise bekommen, wenn ich die Bohrmaschine oder den Schraubenzieher zur Hand genommen habe. Die geschlechtsspezifische Trennung setzt sich in der Schule fort. Es ist immer noch ungewöhnlich, wenn Mädchen als Leistungskurs Physik wählen. Meiner Meinung nach müssten wir Mädchen schon sehr viel früher aufzeigen, dass Technik spannend ist. IT bestimmt heute unseren Alltag, wenn wir Kinder beider Geschlechter daran heranführen, dann werden sich auch Frauen mehr für technische Studiengänge interessieren. Es muss einfach transparenter werden, was wir damit für Möglichkeiten haben.

Schließlich haben natürlich auch die Unternehmen eine Verantwortung mehr Frauen einzustellen.

Wir haben als Gesellschaft sehr lange gebraucht um Dinge zu etablieren, die es den Frauen erleichtern, Job und Familie zu vereinbaren, wie flexible Arbeitszeit, Teilzeitmodelle oder Home-Office. Viele Frauen haben immer noch Schwierigkeiten einen Platz in der Kindertagesstätte zu bekommen. Umgekehrt werden in manchen Branchen Männer immer noch seltsam angeschaut, die Elternzeit nehmen wollen.

Manche Gesetze sind altbacken und passen nicht mehr zu unserer modernen Arbeitswelt. Hier tut Veränderung not. Es wäre schön, wenn wir diesbezüglich einmal über den Tellerrand schauen würden, nach Frankreich zum Beispiel, wo flexibles Arbeiten und Kinderbetreuung gut geregelt sind.

Ich würde an dieser Stelle aber auch gerne anmerken, dass es viele Branchen gibt, in denen Männer unterrepräsentiert sind. Wie viele Grundschullehrer gibt es, Krankenpfleger oder Kindergärtner? Auch hier würde uns ein höherer Anteil guttun. Wie bei allem ist der Mix entscheidend.

Bist du eine Freundin der Quote?

Ich bin da gespalten, denn für mich hat das immer das Geschmäckle, Frauen seien nicht gut genug für den Job. Andererseits glaube ich, dass man, wenn man Veränderung herbeiführen will, dies mit Nachdruck tun muss. Die Quote ist dazu ein probates Instrument, vorausgesetzt die Frau ist ebenso qualifiziert, wie der Mann der sich bewirbt.

Welchen Unterschied erlebst du als Führungskraft zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitern?

Männer verhalten sich anders als Frauen – es gibt natürlich auch immer Ausnahmen. Frauen sind eher selbstkritisch, während die meisten Männer sehr selbstbewusst auftreten. Sie sind proaktiv bei der Frage der Gehaltserhöhung und können nach eigenem Bekunden das, was eine neue Position verlangt, während Frauen ihre eigenen Fähigkeiten eher hinterfragen und zweifeln, ob sie für eine Aufgabe geeignet sind. Frauen sind für meinen Geschmack zu bescheiden und sollten sich trauen mehr einzufordern. Frauen arbeiten oft unglaublich hart, aber sie verkaufen ihre Leistung häufig schlecht. Bei Männern in einer Runde lehne ich mich manchmal einfach zurück, wenn ich merke, dass hier gerade ein Kampf um die Alpha-Position stattfindet. Dann lasse ich das eine Weile laufen, weil sich die Herren dann eh nicht auf die Sache konzentrieren können. Frauen hingegen wirken manchmal schon alleine durch ihre Gegenwart de-eskalierend. Meetings nehmen dann keinen unangenehmen Verlauf mehr, weil sich der Gesprächston ändert, wenn unterschiedliche Geschlechter am Tisch sitzen.

Wie ist es denn für dich als Führungskraft Mitarbeiter weiterzuentwickeln?

Das ist ehrlich gesagt immer ein Spagat. Talentierte Mitarbeiter auf eine höhere Position ziehen zu lassen ist natürlich zum Wohle der Firma, aber ich verliere dann meine besten Leute, was der Produktivität meiner Abteilung erst einmal schadet. In der deutschen Unternehmenskultur ist es ja so, dass der Job gar nicht so häufig gewechselt wird, in amerikanischen Unternehmen hingegen ist es ganz normal alle 2 bis 3 Jahre etwas anderes zu machen. Ich fasse mich inzwischen an die eigene Nase und sage mir, dass es wichtig ist gute Leute zu fördern, so wie ich selbst von meinen Chefs gefördert worden bin. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch darum, Mitarbeiter, die Gestaltungswillen haben, nach vorne zu bringen, damit Innovation und Veränderung entstehen kann.

Was macht deiner Meinung nach die Qualität einer guten Führungskraft aus und gibt es Unterschiede zwischen männlichem und weiblichem Führungsstil?

Ich habe die Erfahrung, dass Frauen das Große und Ganze besser im Blick haben und sich wünschen, dass man als Team etwas erreicht.

In unserer agilen Arbeitswelt ist es wichtig, Mitarbeiter auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören und dabei alle mitzunehmen. Dafür braucht man ein spezielles, vielleicht eher weibliches, Führungsverhalten.

Andererseits gibt es in einem Unternehmen unterschiedliche Aufgaben und entscheidend ist, wen man für welche Aufgaben einsetzt und wie man die entsprechenden Personen motiviert. Meiner Meinung nach sind unterschiedliche Führungsstile und Methoden für den Erfolg erforderlich und das geht nur, wenn unterschiedliche Führungspersönlichkeiten in einem Team vertreten sind – da wären wir wieder beim richtigen Mix. Die Kunst der Führung ist es, Menschen richtig einzusetzen, so dass in Teams wechselnder Zusammensetzung das aktuelle Ziel optimal erreicht werden kann.

Ich habe übrigens die Erfahrung gemacht, dass wir dazu tendieren, Menschen in das Team aufnehmen zu wollen, die einem selbst ähnlich sind. Das ist ein Fehler. Mitarbeiter an denen ich mich reibe, bringen häufig sehr gute Ideen ein.

Wie verändert sich die Arbeitswelt durch Technik?

Wir sehen ja seit Corona, dass Menschen von überall remote arbeiten. Die spannende Frage wird sein, wie wir die Gesetze entsprechend anpassen können. Wenn jemand reomte auf den Seychellen für ein deutsches Unternehmen arbeitet, muss er dann zwangsläufig seine Steuern und Abgaben in Deutschland entrichten? Das werden noch spannende Fragen.

Was glaubst du, ist die Digitalisierung Teufelszeug oder ein Segen?

Digitalisierung ist per se kein Teufelszeug, aber es ist natürlich immer die Frage, was man damit macht. Es geht bei diesem Thema vor allem um Datensicherheit. Meine persönliche Einschätzung ist, dass uns gerade im Alltag die Digitalisierung noch viele Erleichterungen bringen wird, wie etwa bei Behördengängen oder der Beantragung von Dokumenten. Einen Schritt weiter gedacht, können unsere Haushaltsgeräte sich wahrscheinlich in Zukunft dann einschalten, wenn die Energiezufuhr – etwa durch Wind oder Solarstrom – gerade am größten ist. Verkehrsflüsse können durch intelligente Lösungen besser geregelt werden. Ich denke auch, dass der digitale Unterricht viel Potenzial hat. Die Gesundheit ist ein weiteres großes Feld der Digitalisierung, z. B. digital gesteuerte Prothesen, mit deren Hilfe Menschen wieder gehen können. Das ist heute schon Realität. Selbst im ökologischen Bereich hat die Digitalisierung ihren Platz. Bei Bosch haben wir, als es um das Thema CO2-Neutralität ging, sehr viele Prozesse mit Hilfe der IT untersucht, geschaut wo die großen Energieverschwender versteckt sind, um das Einsparpotenzial zu vergrößern. Ich denke, dass die Digitalisierung uns in vielen Bereichen als Gesellschaft weiterbringen wird.

Das entscheidende ist, wie wir eine Balance finden, zwischen der Gewinnmaximierung und den ethisch-moralischen Fragestellungen, die die Digitalisierung mit sich bringt. Hier müssen wir uns einen Kodex verordnen, in dem wir so wichtige Dinge regeln wie den korrekten Umgang mit Daten, damit diese nicht manipuliert, missbraucht oder gestohlen werden. 

Gleichzeitig muss es darum gehen, welche Prozesse nachhaltig mit Hilfe der Digitalisierung gestaltet werden können. Welche Materialien können wir verwenden, ohne dabei Menschen in anderen Ländern – Stichwort Kobalt aus Afrika – zu benachteiligen? Da geht es um den Umgang miteinander, das ist kein IT-Problem, sondern eine gesellschaftliche Frage.

Die Moral muss wieder mehr Einzug in das Geschäftsleben halten. Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft wird sein auszuloten, wo die Grenzen sind, die wir nicht überschreiten sollten, in Bezug auf uns Menschen, aber auch auf die Natur.

Was die Komplexität erhöht ist, dass wir das nicht regional lösen oder entscheiden können, sondern global angehen müssen. Dazu wird es notwendig sein, sich ganze Prozessketten Ende-zu-Ende anzuschauen. Hier sind sehr viele Strömungen unterwegs, die es zu vereinen gilt. Das wir noch viel Zeit brauchen, insbesondere weil Politik auf Kompromissen basiert, die schwer zu schließen sind.

Welche Tipps hast du abschließend für Menschen, die sich unternehmerisch betätigen wollen?

Wichtig ist meiner Meinung nach, sich in verschiedenen Positionen und Situationen auszuprobieren, um festzustellen, was einem wirklich liegt. Die Frage ist auch weniger, welche Titel oder Scheine ich brauche, sondern welche Dinge ich für mich persönlich aus einer Aus- oder Weiterbildung, einem Coaching oder einer berufsbegleitenden Maßnahme mitnehmen kann und wofür ich mich selbst begeistern kann. Der MBA z.B. war eine sehr gute Erfahrung für mich persönlich, dass ich ihn für meinen Werdegang gebraucht hätte, kann ich jetzt nicht sagen.

Und schließlich: Sich die Zeit nehmen Erfolge und Abschlüsse zu feiern!

Liebe Astrid, ich danke dir!

Übrigens:  Wenn du kein Interview mehr verpassen möchtest, dann abonniere gerne meinen Newsletter.  Er erscheint in niedriger Frequenz, immer dann, wenn ich wirklich etwas zu sagen habe.
Wenn dir das gefällt, dann trage dich jetzt hier ein:

Vorgestellt – Astrid Hager

Heute habe ich mit Astrid Hager gesprochen, die in der internen IT bei Bosch ein weltweites Team von IT-Projektleitern führt. Nebenher ist Sie Teil eines Projektteams, dass die interne IT komplett umkrempelt – weg vom klassischen Cost Center hin zum IT-Partner für die Geschäftsbereiche auf Augenhöhe. Als Basis dient ihre 23-jährige Erfahrung bei IBM in unterschiedlichen Berufsbildern: Geschäftsverantwortung eines Servicebereiches,
Leitung der internen Revision und der Geschäftssteuerung in unterschiedlichen Bereichen. Parallel war Sie 14 Jahre für die Finanzen des Reitervereins Sindelfingen zuständig.

PR-Quickie: Die (elektronische) Pressemappe

„Schreib keine Pressetexte!“

Diesen Satz höre und lese ich immer wieder, von JournalistInnen, die als Coaches für Selbstständige tätig sind. Was etwa die von mir sehr geschätzte Marike Frick und ihre Kollegen damit sagen wollen ist: Vergebene Liebesmühe, Journalisten lesen keine Pressemitteilungen.

Was hingegen sehr wohl gelesen wird ist die Pressemappe. Grund genug, sich mit den wichtigsten Fragen rund um dieses PR-Basismaterial kurz zu befassen.

Für wen ist eine Pressemappe gedacht und welchen Zweck erfüllt sie?

Der Inhalt einer Pressemappe dienst Medienschaffenden als Hintergrundmaterial, wenn sie sich mit dir als Person, deinem Produkt bzw. deiner Dienstleistung oder mit dem Thema beschäftigen, in dem du Expertenstatus hast. Eine Pressemappe ist kein Einstiegs-Tool für den Erstkontakt in die Redaktion. Vielmehr sendest du diese gezielt dem Journalisten, Online-Redakteur oder Blogger, der bereits Interesse an einem Austausch mit dir signalisiert hat. Du hast sie also idealerweise bereits erstellt, bevor du den Kontakt zu den Medien suchst.

Welche Inhalte sind für die Pressemappe geeignet?

Im Detail ist die Antwort auf diese Frage natürlich sehr individuell, aber grundsätzlich ist eine Pressemappe einer Bewerbungsmappe ähnlich. Sie sollte dem Journalisten in aller Kürze den Eindruck vermitteln, dass hier nicht nur geballte Kompetenz zu erwarten ist, sondern, dass er es darüber hinaus mit einer interessanten Persönlichkeit zu tun hat. Die wichtigsten Inhalte sind folgende:

  1. Porträt – Auf nicht mehr als einer Seite fasst du als Fließtext deinen Werdegang zusammen und erwähnst alles, was dich als Person für Journalisten interessant macht, also beispielsweise besondere Fähigkeiten, Auszeichnungen, Preise oder Rankings. Hier kannst du auch erwähnen, wenn dir außergewöhnliches widerfahren ist, oder du überraschendes getan hast, um an dein Ziel zu kommen.
  2. Backgrounder – Je nachdem womit du dich im Business beschäftigst, kann das z.B. eine Beschreibung deiner Dienstleistung sein – wobei du aufzeigen solltest, was dich von anderen in der Branche unterscheidet. Wenn du Produkte vertreibst, kannst du Details beschreiben, die im besten Falle neu, einzigartig und überzeugend sind. Bist du vielleicht Autor? Dann ist der Backgrounder der Raum, in dem du über dein neues Buch sprichst.
  3. Fact Sheet – Größere Unternehmen bringen auf dieser Seite die wichtigsten Kennzahlen unter und/oder präsentieren die Firmengeschichte in Jahreszahlen. Wenn du dein Produkt selbst entwickelt hast, kannst du in einem Fact Sheet beispielsweise Meilensteine auf dem Weg von der Idee bis zur Marktreife skizzieren.
  4. Interview – Ist es dir beim Erstkontakt darum gegangen, dich als Experten für ein bestimmtes Thema zu positionieren, dann kannst du diese Karte ausspielen. Dazu überlege dir Fragen, die dein Themengebiet auf anschauliche Weise einem breiten Publikum (bzw. den Lesern der Zeitung oder Fach-Zeitschrift die du im Blick hast) zugänglich machen. Während du diese Fragen beantwortest, berücksichtigst du folgendes: Wie lässt sich mein ansonsten vielleicht trockenes Thema lebendig darstellen? Wodurch kommt meine Expertenkenntnis am meisten zum Tragen? Wie kann ich komplexe Sachverhalte einfach darstellen? Welche Beispiele und Analogien aus dem Alltag fallen mir ein, um das Verständnis beim Leser zu erhöhen? Wie kann ich positive Emotionen auslösen?
  5. Infografiken und Skizzen – Viele Selbstständige sind Innovatoren. Was sie tun, ist für die Allgemeinbevölkerung nicht immer leicht zu verstehen, weil sie über spezielle Fachkenntnis verfügen. Journalisten erleichtert es die Arbeit erheblich, wenn übersichtliche Grafiken deine Prozesse oder Denkmodelle auf einfache Art verdeutlichen oder Kennzahlen zusammenfassen. Das ermöglicht dem Redakteur außerdem, nach einem Gespräch mit dir, das gehörte noch einmal für sich zu sortieren.
  6. Bilder und Videoaufnahmen – Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, das gilt selbst für die Tageszeitung. Heute kommt kaum ein Artikel ohne begleitendes Bildmaterial aus, weil wir Menschen nun einmal von visuellen Reizen besonders angesprochen werden. Wenn du also möchtest, dass der Artikel der über dich geschrieben wurde auch gelesen wird, dann verzichte nicht auf Bildmaterial. Das sollten auf jeden Fall Porträtfotos von dir sein, aber auch Aufnahmen deiner Produkte. Bilder von deinem Business “in action” oder “behind the scenes” eignen sich ebenfalls gut. Beschränke dich auf etwa 5 Bilder in jeweils 300 dpi Auflösung.
    Bei online-Medien helfen natürlich auch Videos. Bist du Künstler oder Musiker? Dann füge Ausschnitte eines gelungenen Auftritts bei. Denke hier daran, dass Redakteure sehr wenig Zeit haben. Sie werden sich keinen Mitschnitt von 90 Minuten ansehen. Suche die entscheidenden 2 Minuten aus, in denen das Publikum so richtig durch die Decke ging.
  7. Datei-Anforderungsbogen und Kontaktdaten – Ein Klassiker unter den Fehlern bei Pressemappen ist, nirgendwo Kontaktdaten anzugeben. Das Kontaktformular lässt sich ideal mit dem Datei-Anforderungsbogen verbinden, mit dem ein Redakteur bei Bedarf weiteres Material bestellen kannWenn du  Rezensionsexemplare abzugeben hast, Produktproben verschickst, Originalliteratur existiert, bei der du als Autor gelistet bist, dann sind dies alles Punkte, die du auf einem Formular auflisten kannst, mit Kästchen zum Ankreuzen, mit Angabe einer Faxnummer oder E-Mail-Adresse, unter der diese Dinge bestellt werden können. Das ist ein guter Trick, um zu verhindern, dass deine Pressemappe zu dick wird. Alles was unterstützt, aber es nicht in die primäre Auswahl geschafft hat (also auch weitere Bilder, Grafiken oder Videos) kannst du hier aufnehmen.
Elektronische Pressemappe oder doch Printexemplare?

Heute stellt sich diese Frage eigentlich kaum noch, denn die meisten Redaktionen sind froh, wenn kein Papier mehr ihre Schreibtische flutet. Bei der elektronischen Variante solltest du darauf achten, dass du die Dateien in einem Format versendest, das von Standardprogrammen gelesen werden kann, also beispielsweise PDF für Text und JPG für Bilder. Reduziere die Größe der einzelnen Dateien, damit die Mail mit dem entsprechenden Anhang nicht als unzustellbar zurückkommt. Unter 10 MB ist eine Datenmenge, die von den meisten Unternehmen als Anhang noch toleriert wird.

Wie biete ich die Pressemappe an?

Wenn du aktiv Pressearbeit betreibst, dann lohnt es sich auf deiner Internetseite eine Rubrik einzuführen die „News“, „Media“, „Presse“, „Journalisten“ oder ähnlich heißt. Hier kannst du die elektronische Pressemappe proaktiv zum Download anbieten.Wenn du keinen eigenen Internetauftritt hast, aber beispielsweise über Social Media-Kanäle verfügst, kannst du die Pressemappe auch dort bewerben und bei einem Drittanbieter, wie etwa Dropbox, zum Download hinterlegen.
Was ich alternativ empfehle ist, auf deiner Internetseite
deine Pressemappe auf Anfrage anzubieten. Das ist zwar für den Redakteur ein Schritt mehr hin zur Information die er sucht. Für dich hat das allerdings den Vorteil, dass du auf diese Weise eine erste Chance zur Kontaktaufnahme per Mail hast. Außerdem solltest du etwa 4 Tage nach dem Versandt telefonisch nachfassen, um zu zeigen, dass du echtes Interesse an einem Austausch mit dem Journalisten hast.

Brauchst du Unterstützung bei der Erstellung von Texten für deine Pressemappe?
Kann ich dir bei der Auswahl der Inhalte helfen?
Wünschst du dir ein Interview als festen Bestandteil und weißt nicht, wie du es anstellen sollst?
Dann sprich mich gerne an. Ich habe zu einer großen Bandbreite an Themen – von C wie Cannabis bis W wie Wechseljahre – Inhalte für Pressemappen erstellt.

Vom Wesen und Wandel der Kommunikation – Eine Annäherung

Ich inspiriere diesen Blog – zusammen mit Gastbloggern und Interviewpartnern – nun seit drei Jahren und stelle gerade fest, dass über die Kernfrage noch nie ein Wort verloren wurde.
Höchste Zeit dies nachzuholen.

“Warum kommunizieren wir und wie verändert sich unser Kommunikationsverhalten in diesen Zeiten?”

Ein gerne zitierter Satz aus den Public Relations lautet: „Wir können nicht nichtkommunizieren.“ Jeder der schon einmal erlebt hat, wie laut das Schweigen auf eine Situation oder eine Aussage hin sein kann weiß, dass das stimmt. Ich musste bei der jüngsten Bundestagswahl wieder daran denken. Wer seine Stimme verweigert oder ungültig macht setzt damit ein politisches Signal. Dieses reicht von: „Die da oben machen sowieso was sie wollen“, bis hin zu: „Ich stehe außerhalb der Gesellschaft und habe mit all dem nichts zu tun.“

Wenn die Stille bereits eine Botschaft aussendet, wie stark muss dann erst die Kraft der Worte sein?

Sprache unterscheidet uns Homo sapiens von allen anderen Spezies auf diesem Planeten und verschafft uns einen evolutionären Vorteil. Dabei dient sie weit mehr als dem reinen Informationsaustausch. Kommunikation stellt eine Art Grooming dar. Sie ersetzt das Lausen und Kraulen wie wir es beispielsweise von Schimpansen kennen. Das sorgt für gute Stimmung innerhalb der Gruppe. Zur Gemeinschaft gehört, wer die gleiche Sprache spricht. Darum bilden sich in jeder Generation sprachliche Neuschöpfungen aus. Wer sich von außerhalb dieser Rhetorik bedient, wird sofort als fremd entlarvt, weil etwa der Sprachfluss unnatürlich wirkt, oder die Worte auswendig gelernt klingen.

Kommunikation ist sozialer Kit. Sie vermeidet Konflikte und bewahrt den Frieden. Diplomaten können ein Lied davon singen. Wenn das Ende des Dialogs erreicht ist, bleiben nicht mehr viele Optionen. Aufrührer wissen genau, welcher Ausdruck als Waffe wirkt. Rhetorische Gefechte klären die Rangordnung, ohne dass Blut fließt. Wie gut jemand diese Kunst beherrscht entscheidet über seine soziale Stellung. Dies ist besonders eindrucksvoll in der höheren Unternehmensetagen zu beobachten und meiner Auffassung nach ein weiterer Grund dafür, warum Frauen in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert sind: Weil sie wenig Lust darauf verspüren, sich an diesen Scharmützeln zu beteiligen.

Seitdem wir über Sprache kommunizieren, hat der Fortschritt enorm an Fahrt aufgenommen, denn Kommunikation fördert den kreativen Prozess. Wir inspirieren uns im gegenseitigen Austausch, entwickeln Ideen des anderen weiter und ermöglichen Innovation. Es hat zwar in der Geschichte immer auch Individualisten gegeben, deren Genialität wir großartige Erfindungen zu verdanken haben, aber für alle anderen gilt: Kommunikation wirkt als Beschleuniger. Im intensiven Austausch (neudeutsch Brainstorming) kommen wir deutlich schneller ans Ziel.

Kommunikation ist durch verschiedene Faktoren extrem unter Druck geraten

Auch dieser Artikel kommt leider nicht ohne die Erwähnung von Corona aus. Abstand ist gut gegen die Virusübertragung, aber sie stellt unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt auf eine harte Zerreißprobe. Selbst wenn wir mit modernen Kommunikationstechniken allerhand Tools zur Verfügung haben, um die Distanz zu überbrücken, so kann das Zoom-Meeting den persönlichen Austausch an der Kaffeemaschine nicht ersetzen, weil es hier um mehr geht als die Präsentation von Arbeitsergebnissen. Als Hundebesitzerin war ich während des Lock Down meinem Labradoodle jeden Tag zutiefst dankbar, dass ich mich zumindest auf Distanz mit anderen Herrchen und Frauchen habe austauschen können. Bei vielen Mitmenschen habe ich den Eindruck, dass sie „smalltalk“ erst wieder lernen müssen. Welche Rolle Mimik und Gestik dabei spielen wird mir jedes Mal bewusst, wenn ich versuche mit der Maske auf der Nase einen Witz zu machen.

Aber Corona ist nicht unsere einzige Herausforderung. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Digitalisierung Kommunikation im gleichen Maße erschwert, wie sie sie erleichtert. Wir können zwar in Echtzeit mit vielen Menschen gleichzeitig kommunizieren, aber um den Preis, dass unser Gegenüber die Klangfarbe unserer Stimme nicht hört und unseren Gesichtsausdruck nicht sehen kann. Jeder der schon einmal eine unerwartete Reaktion auf seine WhatsApp-Nachricht geerntet hat weiß, dass Kommunikation über elektronische Medien sehr wohl hohes Potenzial birgt falsch verstanden zu werden. Bei einer Konversation von Angesicht zu Angesicht kann ich Missverständnisse sofort klarstellen. Bei einer E-Mail, die unter Umständen erst Tage später gelesen wird, geht das nicht.

Elektronische Medien haben unsere Kommunikation geprägt wie keine andere Entwicklung. Sie wird verkürzt, verknappt und beschleunigt. Wir kommunizieren über mehrere Kanäle hinweg parallel und konzentrieren uns auf keines der “Gespräche” wirklich. Emotionen übertragen wir auf Emojis, die ein enges Spektrum abbilden. Gleichzeitig werden wir mit Inhalten (nicht zu verwechseln mit Informationen) zugeschüttet, elektronischer Kommunikations-Müll, für dessen Filterung wir uns mühsam Mechanismen antrainieren müssen.

Ein Forscherteam hat vor einiger Zeit in Nature Communication publiziert, dass unsere kollektive Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird. Will heißen: Themen gewinnen schnell an Dynamik, aber der Hype nimmt auch genauso schnell wieder ab. Keine gute Botschaft für Menschen, deren Aufgabe es ist, Nachrichten zu erzeugen. Die spannende Frage wird sein, wie sich dies auf unsere Fähigkeit auswirkt, Informationen zu bewerten.

Zu guter Letzt bieten soziale Medien die Möglichkeit in der Anonymität eine Form der Kommunikation zu praktizieren, die wir uns im direkten Dialog niemals erlauben würden. Da wird gehetzt, gehasst, geschmäht und gemobbt. Nicht nur für die jüngere Generation, die mit sozialen Medien als einer Selbstverständlichkeit aufwächst, ist das sehr schwer auszuhalten. Hier ist eine Kommunikations-Ethik überfällig. Zu lange haben die Entwickler dieser Programme darauf vertraut, dass es die Community unter sich schon richten wird. Das an der Hochschule für Medien in Stuttgart angesiedelte Institut für Digitale Ethik hat sich genau das zur Aufgabe gemacht. Hier wird viel in Forschung aber auch in Bildung – insbesondere der Digital Natives –  investiert. Die 10 Gebote scheinen selbstverständlich, sind es aber bei weitem nicht.

Quelle: Institut für digitale Ethik: https://www.hdm-stuttgart.de/digitale-ethik/lehre/10_gebote

Der PR-Ethikrat in Österreich hat für die Zunft einen online-Kodex für digitale Kommunikation entwickelt der auf den 8 Punkten Fairness, Respekt, Verantwortung, Moderation, Klarheit, Transparenz, Höflichkeit und Privatsphäre basiert. Man möchte meinen, das läge auf der Hand.

Der dritte Punkt, der Kommunikation heute zu einem Experiment mit ungewissem Ausgang macht ist die Globalisierung. Wir sind soziale Wesen die durch Sprache vereint werden. So war der Versuch eine „Weltsprache“ zu etablieren durchaus lobenswert. Aber ob wir nun Englisch als die Sprache der globalen Gemeinschaft definieren oder Kunstsprachen wie Esperanto entwickeln, alle Versuche scheitern daran, dass Kommunikation mehr ist als der Austausch von Worten. Es ist zutiefst menschlich das was wir hören zu interpretieren. Den Rahmen für diese Interpretation liefern neben der persönlichen Erfahrung und der Erziehung, unser ideologischer und kultureller Hintergrund, also Einflüsse aus Kultur, Religion und Gesellschaft. Kein Wunder also, wenn der Dialog zwischen – sagen wir – einem Amerikaner und einem Perser im Desaster endet, wenn nicht zuvor ein interkulturelles Training absolviert wird.

Was bedeutet das für Kommunikation im Business?

Kommunikation die zum Ziel führen soll – egal wie dieses definiert ist – gelingt besser aus einer Position der Gelassenheit heraus. Eine angenehme Gesprächsatmosphäre ist der beste Nährboden, um Konflikte zu vermeiden und Probleme zu lösen. Wichtig ist, dass dabei ein Schutzraum erzeugt wird, in dem auch Ängste zur Sprache kommen können, denn wir haben deutlich weniger Angst vor dem, was wir benennen.

Ich halte es außerdem für essentiell, auf Kommunikation zu setzen, in der persönliches Erleben live und in Farbe möglich ist. Das gilt ebenso für Mitarbeiter eines Unternehmens untereinander wie für den Dialog zwischen Firmenrepräsentanten und ihren Kunden. Wir verbinden Werte wie Vertrauen, Verantwortung oder Authentizität mit Erfahrungen die wir mit Menschen machen, auch wenn immer wieder versucht wird, diese Qualitäten auf Marken zu übertragen. Unternehmer sind gut beraten, wenn sie diese Erlebniskultur der Kommunikation in ihre Corporate Identity integrieren. So wird auch der Rahmen dafür geschaffen, dass der Kunde das Produkt oder die Dienstleistung erleben kann, was eine Identifikation damit erst ermöglichen.

Digitale Kommunikation ist ein Stressfaktor. Als Entrepreneur trage ich Verantwortung dafür, meine Mitarbeiter vor Überanstrengung zu schützen. Dies gelingt, wenn permanente Erreichbarkeit nicht mehr als Kriterium der Identifikation mit dem Unternehmen herangezogen wird, oder die Erreichbarkeit in der Freizeit selbstverständlich ist. Viele Unternehmen haben hier Gegenmaßnahmen ergriffen, die von der Mailpause bis zur Anrechnung von mobilen Einsätzen als Überstunde reichen.

Kommunikation innerhalb des eigenen Business und nach außen ist dann erfolgreich, wenn sie aktiv gestaltet wird. Damit meine ich eine aktive Auseinandersetzung damit, wie die Kommunikationskultur aussehen soll. Wollen wir rhetorische Rangkämpfe oder setzen wir auf systemischen Konsens? Sind Gespräche geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Respekt? Finden sie auf Augenhöhe statt? Ist die Sprache gewaltfrei und inklusiv? Viele Unternehmen geben sich heute einen Kommunikationskodex, der diese Punkte für alle Ebenen verbindlich festzulegt.

Schließlich und endlich hängt der Erfolg eines Business davon ab, vom Kunden verstanden zu werden. Es ist ein Treppenwitz der PR, dass genau das in vielen Branchen scheitert, weil die Wortwahl des Unternehmens nicht mit der des Kunden zusammenpasst. Welche Fehler häufig sind und wie du sie in deinem Business vermeiden kannst, habe ich in dieser Grafik zusammengefasst. Du kannst sie kostenlos und ohne vorherige Anmeldung für einen Mailverteiler herunterladen. Ich freue mich aber natürlich, wenn dich meine Inhalte ansprechen und du dich deshalb dafür entscheidest meinen Newsletter zu abonnieren.

Darin findest du weit mehr als den Hinweis auf neue Blogbeiträge. Ich greife aktuelle Themen auf, die sich im Blog nicht unbedingt wiederfinden, stelle Talente aus meinem Netzwerk vor, oder gebe Tipps zu  neuen Tools, Apps und Techniken, die mir in der täglichen Arbeit begegnen.

Wenn du nun neugierig geworden bist, kannst du dich hier anmelden:

 

 

 

 

Im Gespräch mit Jana Seifert über „new work”

„Ich habe einfach zu meinem Arbeitgeber gesagt, dass ich das gerne machen möchte.“ So hat Jana Seifert den ersten wichtigen Schritt hin zu ihrem Sabbatjahr getan. Einige Jahre später war es dann soweit: Zehn Monate war sie unterwegs in Australien, Neuseeland und Japan. Das Narrativ, das hinter dem Sabbatjahr steckt ist ihrer Meinung nach mit vielen Erwartungen überfrachtet, etwa dass man danach fast zwangsläufig sein Leben ändert. Ihre Vorstellung, vielleicht für den Rest ihres Lebens Öl-verschmierte Pinguine waschen zu wollen, hat sich – zum Glück für ihren Arbeitgeber – nicht bestätigt.

Stattdessen hat sie die Menschen im Unternehmen und ihre Arbeit vermisst. Nach ihrer Rückkehr stand für sie fest, dass sie den Schritt in die Geschäftsführung wagen möchte. Dass eine Auszeit ein Karriereknick ist, kann sie nicht bestätigen. Sie liebt ihren festen Platz in einem Team, mit dem sie wirksam sein und mit anderen Menschen zusammen etwas bewegen kann.

Ich habe mit der Medienwissenschaftlerin und Wirtschaftspsychologin über die aktuellen Veränderungen und die Zukunft der Arbeit gesprochen.

Was war dein Motivator der Geschäftsführung beizutreten?

Ein wichtiger Motivator war die Organisationskultur. Bei Commha Consulting arbeiten sehr viele Leute, von denen ich lernen kann, die inspirierend und offen sind. Außerdem bin ich ein sehr neugieriger Mensch. Wenn ich einen Job eine Weile gemacht habe, dann habe ich Lust auf etwas Neues. Mir geht es im Job auch um persönliches Wachstum. Und da stellte sich mir die Frage, ob das immer in der gleichen Rolle geht.

Frauen sagen das nicht so gerne, aber ich habe einen Führungsanspruch. Und ich hatte einen Mentor, der mich auf dem Weg begleitet hat.

Jana was denkst du: Warum arbeiten wir?

Ich denke nicht, dass man sagen kann: „Alle Leute arbeiten vorrangig, weil…“ Arbeit bedient ein Bündel unterschiedlicher Motiv-Felder. Arbeit ist ein komplexer sozialer Raum, der viele menschliche Bedürfnisse befriedigt. Ich finde, wir müssen uns das stärker bewusst machen. Arbeit ist mehr als der reine Austausch von Zeit gegen Lohn. Bei der Arbeit kommen ureigene menschliche Bedürfnisse überhaupt erst zum Tragen. Dazu gehören Status, Anerkennung, Macht, Gestaltungswille, der Wunsch,  Neues zu lernen, sich weiterzuentwickeln und – das wird häufig unterschätzt – sozial eingebunden zu sein über eine gemeinsame Aufgabe und ein gemeinsames Ziel. Ich glaube, dass Menschen es brauchen zu sagen: „Dieses Ziel möchte ich mit meinem Stamm, meinem Clan erreichen.“

Unternehmen und Organisationen sind letztlich nichts anderes als Gebilde, die Menschen anziehen, die gemeinsam an einer Sache arbeiten wollen. Das ist der Grund, warum Unternehmen eine Mission und eine Vision formulieren: Um die Menschen anzuziehen, die das gleiche Ziel haben, sich für die gleiche Idee begeistern können.

„Die Frage ist also nicht, ob wir arbeiten wollen, sondern wie Arbeit gestaltet sein muss, damit wir sie für unser Leben als eine Bereicherung, als Lern- und Aktionsfeld empfinden.“ 

Was bezüglich der Arbeit verändert sich gerade deiner Ansicht nach?

Erwerbsbiographien verlaufen schon in den letzten Jahren anders als in den Jahrzehnten zuvor. Das liegt zum einen daran, dass Wissen schneller veraltet. Nach 12 Jahren kann ich mit dem Wissen, das ich mir einmal im Studium erworben habe, nur noch begrenzt etwas anfangen. Außerdem werden Tätigkeiten zunehmend von Maschinen übernommen. Davon ist keine Branche ausgenommen, und ich bin teilweise erstaunt, welche Qualität diese Arbeit inzwischen erreicht hat. Um ein Beispiel aus unserem Bereich zu nennen: Ich gehe davon aus, dass wir Übersetzer für Gebrauchstexte oder Betriebsanleitungen bald nicht mehr brauchen werden, sondern nur noch Spezialisten für bestimmte Bereiche, weil die Übersetzungsprogramme, also die dahinterstehende künstliche Intelligenz, immer besser wird.

Daher müssen wir Arbeitsleben stärker als Arbeitslernen begreifen. Die Jobs von heute verändern sich ständig. Die meisten Mitarbeiter machen sich das nicht bewusst, wie sehr sie sich permanent an diese Veränderungen anpassen. Im Kommunikationsbereich etwa werden Tools, Funktionalitäten und Plattformen stetig erweitert und wir lernen damit umzugehen. Auch neue Job-Profile kommen dazu, wie etwa der Social-Media Manager, den es bis vor wenigen Jahren noch nicht gegeben hat.

Diese Strömungen führen dazu, dass es in Unternehmen eine andere Führung und andere Organisationsstrukturen braucht. Hier klafft eine Lücke, denn viele Organisationen sind diesbezüglich noch sehr dem Alten verhaftet. Wenn ich sage, mein Arbeitsfeld ist dynamisch, aber ich habe ein statisches Organigramm, passt das nicht zusammen.

Wie kommen Unternehmen dahin, diese Lücke zu schließen?

Es gibt keine pauschale Antwort auf diese Frage, weil die Unternehmen dazu zu vielfältig sind und sich auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Zwei Ebenen sind meiner Meinung nach aber wesentlich:

1) Selbstorganisation – Ich halte selbstorganisierte Teams für sehr vielversprechend. In der IT und in der Produktion ist das in weiten Teilen schon Normalität. Hier wird agil gearbeitet, z.B. nach der Scrum-Methode, die aus der Software-Entwicklung kommt. Die Teams arbeiten dabei autonom, selbstorganisiert, setzen sich ihre Ziele selbst und arbeiten auf ein übergeordnetes Ganzes hin. Dazu gehört ein hohes Maß an Pflichtgefühl und Engagement, denn wer sich zu einer Aufgabe bereit erklärt, muss diese in der vorgegebenen Zeit bewältigen, und wer freie Kapazitäten hat, muss keinen Vorgesetzten fragen, um sich eine weitere Aufgabe auszusuchen. Das ist ein Prinzip, das ich in Unternehmen in einzelnen Inseln, mit kleinen Teams, in geschützten Räumen, gut ausprobieren kann, wenn ich es nicht direkt in der ganzen Firma ausrollen will.

2) Führungskräfte – Diese sollten stärker darauf achten, was Mitarbeiter im Unternehmen wirklich machen wollen. Der Arbeitsmarkt wird leerer, in bestimmten Feldern gibt es einen Fachkräftemangel. Führungskräfte sollten stärker auf ihre neue Rolle vorbereitet werden, in der sie nicht mehr anleiten, Kontrolle ausüben und selbst wissen, wie alles geht. Die Aufgabe der Unternehmen ist, diese Führungskräfte darin zu unterstützen im Team Lösungen zu finden, neue Ideen zu generieren, einen weiten Blick in die Zukunft zu haben und nicht so sehr auf das kleinteilige Tagesgeschäft zu schauen. Die neue Rolle der Führungskräfte ist die des Begleiters für ihre Mitarbeiter.

„New work“ ist in aller Munde. Was versteht man darunter?

Frithjof Bergmann, der Begründer der „New-Work“-Bewegung diagnostiziert die „Armut der Begierde“. Er stellt die These auf, dass die meisten Menschen gar nicht mehr spüren, welche Bedürfnisse, Träume und Visionen sie in Bezug auf ihre Arbeit eigentlich haben. Das ist doch traurig! Ein Grund dafür ist, dass sie nie gefragt wurden.

Die zentrale Frage bei „New-Work“ in seiner ursprünglichen Form ist daher: „Was ist es, was du wirklich, wirklich tun willst?“

Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Aber sie ernsthaft zu stellen und dann zu schauen, wo dafür in der Organisation Raum ist, das ist der Kern von „New Work“.

Der Einwand, dass dann alle das Gleiche machen wollen und keiner mehr die vermeintlich unangenehmen Aufgaben übernehmen möchte, entspricht übrigens überhaupt nicht meiner Erfahrung. Irgendjemand meldet sich immer. Die meisten Aufgaben verteilen sich von selbst. Wenn sich tatsächlich niemand meldet, wirft das die Frage auf: „Ist diese Aufgabe wirklich nötig?“ Vielen Unternehmen würde es guttun diese Frage tatsächlich einmal ernsthaft zu stellen.

Frithjof Bergmann geht mit seinem Ansatz viel weiter, als das Label «New Work», der heute zu einem Sammelbegriff für eine andere Arbeitswelt geworden ist. Darunter versteht man Dinge wie flexible Arbeitszeiten, Vertrauensarbeitszeit oder dezentrales Arbeiten und Home-Office. Außerdem gehört zu diesem Themenkomplex die Art der Zusammenarbeit, also das agile Arbeiten sowie das Thema Führung, das mit „Leadership 2.0“ überschrieben ist, bei dem sich Manager mehr als Coaches und Prozessbegleiter verstehen.

Du hast agiles Arbeiten jetzt schon mehrfach erwähnt, was genau ist daran so beweglich und warum brauchen wir das gerade jetzt?

Für agiles Arbeiten sind drei Elemente zentral: Das ist zum einen die starke Fokussierung auf Kunden oder Nutzer, zum anderen eine hohe Autonomie der einzelnen Teams und zum dritten die kontinuierliche Anpassung an die aktuelle Lage.

Wir werden ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert. Wer als Organisation zu schwerfällig ist, geht unter. Außerdem führt agiles Arbeiten meiner Ansicht nach zu mehr Selbstwirksamkeitserleben: Man kommt schnell zu ersten Ergebnissen, etwa einer neuen Idee oder einem Produktprototypen.

Arbeitskräfte-Mangel ist ein starkes Argument für agiles Arbeiten, denn einen bestimmten Schlag Mitarbeiter werde ich nur noch so ansprechen können: Menschen, die sich entwickeln wollen, die Freiraum wollen und diesen nutzen, um ihre Ideen zu verwirklichen.

Wer sind die Treiber neuer Arbeitsformen in Unternehmen?

Gerade jüngere Generationen wollen eingebunden sein und hinterfragen Entscheidungen kritisch. Es ist ein Employer-Branding-Faktor ob ich als Arbeitgeber eine Unternehmenskultur habe, die Autonomie und Weiterentwicklung im Job ermöglicht.

Außerdem führt Partizipation zu mehr Akzeptanz bei Entscheidungen – das Unternehmen kann sich dadurch schneller anpassen. So arbeiten wir auch mit unseren Kunden. Letztlich geht es bei unseren Mandaten oft darum, sie dabei zu unterstützen, selbst eine Lösung zu finden. Wir treten dann als Prozessbegleiter und nicht als Experte auf. Design Thinking ist beispielsweise ein Instrument aus der großen Toolbox des agilen Arbeitens, das in solchen Fällen zum Einsatz kommt.

Ist gewaltfreie Kommunikation Ursache oder Wirkung dieser neuen Arbeitskonzepte?

Gewaltfreie Kommunikation ist sehr hilfreich, um sich in New Work oder agilen Konzepten von Arbeit erfolgreich zu bewegen. Denn bei gewaltfreier Kommunikation geht es darum, dass ich meine Bedürfnisse spüre und diese auf eine Art und Weise zum Ausdruck bringe, dass mein Gegenüber damit gut umgehen kann. Im Rahmen der Selbststeuerung in agilen Teams ist diese Form der Kommunikation extrem nützlich. Agile Arbeitsformen liegt ein sehr humanistisches Menschenbild zugrunde, also die Erkenntnis, dass der Mensch ein eigenverantwortliches Wesen ist, das Dinge aus gutem Grund tut. Gewaltfreie Kommunikation kann ein gutes Mittel sein, um Mitarbeiter auf einer Meta-Ebene zu befähigen, sich im New-Work-Arbeitsfeld zurechtzufinden.

Wie unterstützt Commha-Consulting Unternehmen bei der Transformation hin zu neuen Arbeitsformen?

Wir leben das Prinzip vor, indem wir Methoden, Arbeitsweisen und Haltungen im Rahmen unserer Projekte in die Unternehmen hineintragen. So sammeln die Beteiligten erste Erfahrung und entwickeln eine positive Grundhaltung. Kompetenzaufbau ist eine weitere Basis, die aber oft vernachlässigt wird. Um es plastisch zu machen: Man würde jemandem, der noch niemals am Steuer saß, kein Auto hinstellen und sagen: „Fahr mal los“.

Die zweite Komponente ist die Arbeit mit den Führungskräften. Die Auftragsklärung steht hier am Anfang. Kunden kommen zu uns mit der Idee: „New work, das ist etwas, das wir unbedingt machen müssen!“. Letztlich haben sie aber noch keine Vorstellung davon, was sie damit erreichen wollen. Wir stellen dann gerne die Frage: „Was soll denn in Zukunft anders sein?“ Häufig ist die Antwort, dass schnellere Innovationszyklen gewünscht sind. Wer sich klar macht, mit welchem Ziel er die Transformation der Arbeit einleitet, hat eine gute Grundlage, um dies auch den Mitarbeitern zu erklären. 

Was hältst du selbst für die wichtigsten Trends in Bezug auf die Zukunft der Arbeit?

Das Thema Sinnorientierung neudeutsch „purpose“ wird uns sicher noch eine Weile begleiten – zumindest bei gut ausgebildeten Fachkräften.

Dazu kommt ein höherer Vernetzungsgrad. Unternehmen vernetzen sich untereinander und mit Menschen stärker – die Unternehmensgrenzen werden durchlässiger.

Menschen werden außerdem in zunehmendem Maße mehrere Berufe haben, die Lerndichte und -intensität wird sich weiter erhöhen. Das ist ein großes Thema für Unternehmen, denn Lernprozesse brauchen Zeit.

Unternehmen sollten außerdem nicht verpassen, sich zum echten Erleben und zu echten Begegnungen hinzuwenden, sozusagen als Antipode der Digitalisierung. Wir sind mit fünf Sinnen ausgestattet, die wir einsetzen, um Erfahrungen zu machen. Die Digitalisierung bedient nur einen Bruchteil. Sie entkoppelt uns vom Erleben. Seit der Erfindung der Touch-Screens gibt es ja nicht einmal mehr Knöpfe, die man bedienen kann. Wir wollen den Schweiß der anderen auf der Tanzfläche riechen. Klingt eklig – ist aber so.

„Zu jeder Bewegung gibt es eine Gegenbewegung und bei fortschreitender Digitalisierung wird es Stränge geben, die versuchen deren Effekte zu kompensieren. So können Bedürfnisse befriedigt werden, die im digitalen Raum zu kurz kommen.“

Jetzt hast du gleich mehrere spannende neue Themen aufs Tablett gelegt, über die wir ein anderes Mal sprechen können!

Sehr gerne.

Vorgestellt – Jana Seifert

Jana ist Geschäftsführerin bei Commha Consulting, einem Heidelberger Beratungshaus mit den Schwerpunkten Change, Communication und Collaboration. Die Medienwissenschaftlerin, Journalistin und Wirtschaftspsychologin kümmert sich vor allem um interne Kommunikation und Zusammenarbeit bei großen Konzernen und Mittelständlern. Arbeitsschwerpunkte sind Organisations- und Teamentwicklung, Projekt- und Change-Kommunikation. Auf ausgedehnten Wanderungen in Pfalz, Odenwald und dem Rest der Welt kommen ihr die besten Ideen. Sie war ein Jahr in Paris zu Hause und mehrere Monate in Australien und Neuseeland unterwegs – natürlich mit Wanderrucksack. Nachlesen kann man ihre Wanderabenteuer auf ihren Blog. Aktuell lebt sie in Mannheim.

Du erreichst Jana telefonisch: +49 6221 / 18 779-26

per Mail: jana.seifert@commhaconsulting.com

oder über LinkedIn: www.linkedin.com/in/jana-seifert

Zählst du zu den Experten deines Fachs oder kennst du eine Persönlichkeit, die zu einem zentralen Thema unserer Zeit unbedingt gehört werden sollte? Dann sprich mich gerne an. Ich bin immer offen für Vorschläge!

 

 

Die magische Essenz für deine Sichtbarkeit: Storytelling

Durch die vielfältigen Kanäle, über die wir heute auf uns aufmerksam machen können, scheinen die Möglichkeiten der Außendarstellung nahezu unabhängig von den klassischen Medien und der journalistischen Arbeit zu werden.

Aber ich halte das für einen Trugschluss. Eigenmarketing über Blogs, YouTube, Instagram & Co. kann zwar eine enorme Schlagkraft haben, aber ich muss viel Energie investieren und gut in meiner Community vernetzt sein, um erfolgreich zu sein. Außerdem brauche ich viel Geduld, bis aus meinen Followern Kunden werden. Ich sage nicht, dass es den Versuch nicht lohnt, ich glaube nur als Kommunikationsspezialistin fest daran, dass du deine Chancen wesentlich erhöhst, wenn du deinen Kommunikations-Mix um Eigen-PR über klassische Medien ergänzt. Viele scheuen diesen Pfad, weil immer wieder kolportiert wird, dass es zu schwierig sei von Journalisten gehört zu werden. Ich muss über dieses Argument schmunzeln, denn Social-Media-Nutzer sind ebenso gnadenlos selektiv. Wer nichts zu erzählen hat wird weggescrollt oder entfreundet.

Und da sind wir schon beim Kern der Sache.
Der Schlüssel zu mehr Sichtbarkeit – unabhängig vom Kanal – ist nämlich eine uralte Gabe: Die Kunst eine gute Geschichte zu erzählen. Wir sitzen heute (leider) nur noch selten am Lagerfeuer, um uns von einer lebendigen Erzählstimme in fremde Welten entführen zu lassen. Aber die Essenz des Geschichtenerzählens funktioniert auch ohne Knistern und Sternenhimmel.

Auf neudeutsch heißt das Storytelling. Dahinter verbirgt sich nicht mehr und nicht weniger als Menschen für dich und deine Sache zu begeistern, indem du daraus eine Erzählung machst.

Um zu erklären, wie das funktioniert, möchte ich mit einem Gedankenexperiment beginnen: Erinnere dich an die letzte Story, die dich so richtig vom Hocker gerissen hat. War das vielleicht ein Film, ein Buch oder eine Geschichte die dir jemand erzählt hat? Welche Details sind dir in Erinnerung geblieben? Warum hat dich die Geschichte berührt? Was hast du währenddessen empfunden und gedacht? Nimm dir ein bisschen Zeit das zu reflektieren, bevor du weiterliest.

Ich spiele jetzt einmal Hellseherin: Vermutlich war es eine Geschichte die starke Emotionen in dir ausgelöst hat. Vielleicht hast du sogar laut aufgelacht oder gar geweint. Vielleicht bist du erschrocken oder hast ungläubig ausgerufen: „So etwas gibt´s doch gar nicht!“ Möglicherweise hat die Geschichte dazu geführt, dass du über dich, dein Verhalten oder deine Einstellung zu dieser Sache nachgedacht hast. Hat sie am Ende gar bewirkt, dass du etwas bestimmtes getan oder dir zumindest vorgenommen hast?

AIDA – mehr als eine Oper

Wenn ich Recht habe, dann ist die Geschichte, die dir so stark in Erinnerung geblieben ist, einem sehr klassischen Muster gefolgt,  der sogenannten AIDA-Regel.

A steht für Aufmerksamkeit erzeugen (Attention),

I für Interesse wecken (Interest)

D für den Wunsch etwas tun oder haben zu wollen (Desire) und

A für Handlung (Action).

Wenn du diese Regel beherzigst, ist der Grundstein für deine persönliche Erfolgs-Story gelegt. Der Einstieg sollte deine Leser fesseln, zum Beispiel indem du ein Problem beschreibst, das viele kennen und mit dem sie sich identifizieren können. Das funktioniert umso besser je authentischer die Schilderung ist. Bist du vielleicht in deinem Leben oder beim Aufbau deines Business selbst gegen Widerstände angelaufen, hast Hürden genommen, Situationen erlebt bei denen du zunächst selbst nicht wusstest, wie und ob es weitergehen kann? Diese persönliche Erfahrung ist perfekt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Wir Menschen lieben nahbare Helden. Sie sind keine Besserwisser, sondern haben durch Lebenserfahrung Erkenntnis gewonnen, die sie gerne teilen. Hierbei geht es nicht darum etwas aufzubauschen oder sich zu einer Leitfigur zu stilisieren, die eine alles verändernde Erfahrung gemacht hat (es sei den es war wirklich so). Je persönlicher du an deinen Lesern dran bist, um so besser.

Ein wesentliches Element guter Erzählungen sind Emotionen. Du erhältst das Interesse aufrecht, wenn es dir gelingt, Gefühle bei deinen Zuhörern auszulösen. Frage dich also welcher Teil deiner persönlichen oder deiner Unternehmens-Geschichte dazu geeignet ist zu fesseln. Was ist erstaunlich, unerwartet, ungewöhnlich, schicksalshaft, erheiternd?

Journalisten sind auf der Suche nach guten Geschichten

Ihre Aufgabe ist es, die Stories zu entdecken, die für ihre Leser interessant sind. Geschichten leben von Menschen, daher interessieren sich Journalisten immer für die Personen hinter der Story. Darin liegt deine Chance. Was ist die Verbindung zwischen deiner Dienstleistung oder deinem Produkt und dir? Welche Geschichten können deine Mitarbeiter erzählen über ihren Einsatz für die gemeinsame wichtige Sache? Wo sind die Schnittmengen mit den Kunden? Haben vielleicht auch Kunden Erfahrungen gemacht, die erzählt werden wollen? Lass mehrere Stimmen ihre Sichtweise erzählen, dann wird deine Geschichte facettenreich und interessanter. Behalte dabei im Auge, dass es dir darum geht einen Wunsch beim Leser auszulösen: den Wunsch nämlich, Teil dieser Erzählung zu werden.

Die 3 Erfolgs-Typen des Storytelling 

Wie gerade erwähnt, interessieren sich Journalisten für die Personen hinter den Geschichten. Dabei liegt ihr Fokus berufsbedingt auf 3 bestimmten Typen, weil diese die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöhen, dass ihre redaktionellen Artikel gelesen werden:

  • Der-Die-Das „Einzigartige“

Du hast die volle Aufmerksamkeit von Journalisten, wenn deine Geschichte von etwas erzählt, das neuartig ist. Da wir aber nicht alle Steve Jobs, Richard Branson oder Elon Musk sein können, triffst du auch ins Schwarze, wenn du zeigen kannst, was dein Business zu deinem Herzensbusiness macht. Als Blumenhändlerin, Schriftsteller, Coach oder forschender Medikamenten-Entwickler hast du etwas ureigenes, das dich von anderen in deiner Branche unterscheidet. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht deine Geschichte zum Winner.

  • Erklär-Bären

Dir ist sicher schon aufgefallen, dass kaum ein Beitrag ohne Expertenstimme auskommt. Sie ordnet aktuelle Geschehnisse in einen größeren Kontext ein, übersetzt Fachchinesisch in eine Sprache, die allgemeinverständlich ist und zerlegt komplexe Sachverhalte in leichter verdauliche Häppchen. Du wärst überrascht, wie häufig händeringend nach sachkundigen Gesprächspartnern gesucht wird. Denn auch die Vielfalt ist ein journalistisches Gebot. Es sollen möglichst nicht wiederholt die gleichen Leute zu Wort kommen (wenn man auch in der aktuellen Lage manchmal das Gefühl hat, dieses Gesetz wankt – ich sage nur Karl Lauterbach…)

Wenn also die Würze in deinen Geschichten die Emotion ist, so stellt die Basis dein Fachwissen dar. Je spielerischer du dies in die Erzählung einfließen lassen kannst, umso besser. Das Zauberwort heißt hier “verständlich“.

  • Visionäre

Zur dritten Kategorie gehörst du, wenn du zu Trends der Zukunft, zu neuen Entwicklungen oder der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen etwas sagen kannst. Wenn dein Unternehmenszweck nicht unmittelbar damit verbunden ist, dann braucht es ein bisschen Gespür und Fingerspitzengefühl, aber zu den großen Themen die uns bewegen lassen sich meist Brücken bauen. Die einschlägigen Handelsketten machen beispielsweise gerade vor, wie das Narrativ gestrickt sein muss, damit es die Herausforderung der „Nachhaltigkeit“ bedient. Ich lade hier nicht etwa dazu ein, sich zum Helden einer Saga zu stilisieren, die erfunden oder konstruiert ist. Vielmehr ist mein Eindruck, dass es deutlich mehr Akteure da draußen gibt, die tatsächlich etwas zur Problemlösung beitragen, als gerade gehört werden. Trau dich, deine Sichtweise und deinen Beitrag in die Welt zu bringen!

Um zum Schluss noch einmal auf die „Oper“ zurückzukommen. Bedenke zum Abrundung deiner Geschichte den „Call to action“, also die Handlungsaufforderung. Denn:

„Gutes Storytelling ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu deine Unternehmensziele zu erreichen.“

Ist die Geschichte für dich stimmig, sei mutig und biete sie Redaktionen an! Wenn du dazu Tipps brauchst, dann schau doch mal in mein E-Book „In 8 Schritten zum Kommunikationsprofi.“

Steht deine Story,  kannst du sie mit allen technischen Mitteln (Video, Grafiken, Texte, Bilder) und auf all deinen Kanälen zum Leben erwecken. So fließt Eigen-PR und Eigenmarketing am Ende perfekt zusammen. Und mit etwas Glück werden auch auf diese Weise Journalisten auf dich aufmerksam.

Wenn du magst, schreibe den Anfang deiner Story doch gerne hier unten in die Kommentare. Ich bin sicher, viele Leser werden sich gerne fesseln lassen und neugierig sein auf das, was dein Herzens-Business zu bieten hat – mich eingeschlossen!

Falls du dir Unterstützung bei der Entwicklung deiner Story wünschst, oder ich deine Geschichte dem professionell-kritischen Blick unterziehen darf, dann freue ich mich auf deine Kontaktaufnahme.

Herzlichst

Heike

PR-Quickie: Feste feiern wie sie fallen

Ein Geburtstag ist doch wunderbar und die Wenigsten möchten diesen Tag in Stille ganz alleine verbringen. Wir laden Freunde ein, verwöhnen die Lieben mit allerlei Leckereien und sorgen für eine entspannte Atmosphäre. Als Gast bringen wir Geschenke mit und spenden gute Wünsche, um unsere Freude darüber auszudrücken, dass die Person in unserem Leben ist. Wir schätzen das Geburtstagskind für seine Fähigkeiten, Werte und Eigenschaften und nutzen den Ehrentag, um dies vor anderen zu zeigen.

Warum also sollten wir es im Business anders machen?
Das Firmenjubiläum, der Geburtstag eines unserer Produkte, der 1000. Kunde oder die 1000000. Produktion einer Ware sind Gelegenheiten, für die wir uns feiern können. Nicht nur, weil wir zu Recht mächtig stolz auf das Erreichte sind, sondern weil von diesen Zahlen eine kraftvolle Botschaft ausgeht: Seht her, ich bin etabliert! Wir tun was wir tun, weil wir es können! Wir haben die Erfahrung das zu machen, wofür unsere Kunden uns schätzen!

Beim Anlass über das Offensichtliche hinausdenken

Für unsere schöne neue Social-Media-Welt gilt das Gleiche: Du hast den 100. Blogbeitrag geschrieben, den 3333. Insta-Post abgesetzt, 1000 Follower erreicht, das 2000. Mitglied in deiner Facebook-Gruppe begrüßt? Das alles sind Gründe für eine öffentliche Bekanntmachung. Es zeigt, dass du wahrgenommen wirst, dich aus der Masse hervorhebst, vielleicht sogar zum Influencer avancierst. Das macht dich nicht nur für Kunden, sondern auch für Kooperationspartner, potentielle Sponsoren oder Investoren sehr attraktiv.

Ich plädiere dafür uns zu feiern, weil wir damit auch anderen die Chance geben, Stellung zu uns zu beziehen. Wer feiert wird belobigt. Ein fremdes Urteil zählt in den Augen der Öffentlichkeit sehr viel mehr als jede eigene Beteuerung. Schon das allein ist Anlass genug.

Deine Geschichte erzählen – Rückschau und Ausblick zugleich

Bei Firmenjubiläen geht es nicht nur um Historie, sondern auch darum den Meilenstein als Ankerpunkt zur Selbstreflexion zu nutzen. Welche Werte sind uns wichtig? Wofür stehen wir als Solo-Selbstständige oder Unternehmer? Was ist unser Beitrag für die Gesellschaft? Was wollen wir als nächsten Meilenstein erreichen? Auf welche Veränderungen stellen wir uns ein? Wie reagieren wir auf Erfordernisse des Marktes und der Politik? Antworten die sich daraus ergeben sind nicht nur spannend für das Unternehmen und seine Mitarbeiter, sondern auch für die Medien. Arbeite diese Themen multimedial auf, vielleicht mit einer Videobotschaft, mit Infografiken als Zeitreise oder auch Podcast-Interviews. Journalisten lieben diese Geschichten, je persönlicher, authentischer, emotionaler, umso besser.

Wie Gäste deine Party mitgestalten – Aufmerksamkeit steigern

Also raus ins Rampenlicht und zwar mit beiden Beinen! Möglichkeiten dazu gibt es so viele wie Unternehmensformen.

  • Der klassische Weg für Firmen die etwas „herzuzeigen“ haben ist die Party auf dem Firmengelände. Hier können Familienangehörige der Mitarbeiter, Kunden, Kooperationspartner, Dienstleister, Nachbarn, wichtige Persönlichkeiten der Stadt, Politiker und Journalisten aus erster Hand erfahren, wie Innovationen entstehen und welche fähigen Köpfe hinter deren Entwicklung stecken. Aber nicht jedes Gewerbe bietet sich dafür an.
  • Im Fall eines Coaches, Buchautors oder Maklers beispielsweise ist schon mehr Kreativität gefragt. Hier hilft es, sich eine Jubiläums-Aktion zu überlegen und diese als Aufgabe in die Community zu tragen, damit deren Kreativität der Idee Flügel verleiht. Du kannst zum Beispiel dazu aufrufen, zu einem Thema Beiträge einzureichen, das mit deinem Unternehmenszweck untrennbar verbunden ist. Wenn das Format nicht vorgegeben wird, verfügst du mit Glück und ein bisschen Promotion danach über Videos, Podcast-Beiträge, Blogposts und Fotos, die du im Laufe des Jubiläumsjahres über deine Kanäle verteilen oder zu Freebies bündeln kannst.
  • Um die Teilnahme an Mitmachaktionen anzukurbeln, bietet es sich an Gutscheine für deine Tätigkeit auszuloben. Je nachdem wie kreativ die Aufgabe gelöst wird, gehen die Beiträge vielleicht sogar viral. Dann hast du jede Menge Publicity ohne großen eigenen Einsatz. Das ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, denn gerade Challenges gehen gerne auch mal nach hinten los. Also Obacht bei der Themenwahl!

Alter Hut aber immer noch wirksam: Tue Gutes und rede darüber

  • Natürlich kannst du mit deinem Grund zum Feiern auch Verkäufe ankurbeln. Dazu eignen sich Rabatt-Aktionen, Jubiläums-Gutscheine, Gewinn-Spiele oder Verlosungen.
  • Diese kannst du beispielsweise mit einer Spendenaktion kombinieren, die auf die Werte einzahlt, für die dein Business einsteht. So könntest du etwa festlegen, dass von jedem Euro der in einem bestimmten Zeitraum für deine Leistungen eingeht, 25 Cent einem vordefinierten Zweck zufließen. Das ist eine weitere Gelegenheit in Zusammenarbeit mit dem Spendenpartner an Medien heranzutreten und schafft Aufmerksamkeit.
  • Eine andere Variante, um dich und dein Business ins Gespräch zu bringen, ist ein Jubiläumspreis. Hierbei wird z.B. der Nachwuchs in deinem Bereich, etwa Künstler, Autoren, Wissenschaftler oder auch Ingenieure aufgefordert, sich auf eine Auszeichnung zu bewerben, die du als Veranstalter auslobst. Das muss kein Preisgeld sein. Eine Urkunde genügt, solange du die Preisverleihung mit Pressearbeit kombinierst.

Dein Netzwerk vergrößern

Du siehst, deiner Kreativkraft sind keine Grenzen gesetzt, solange du dein Budget und deine Ressourcen im Auge behältst. Achte außerdem darauf, dass du bei deinen Aktionen möglichst intensiv mit deinen wichtigen Zielgruppen interagierst. Auch auf deinem Geburtstagfest stehst du ja selten am Rand und beobachtest was passiert. Im Gegensatz zu deinem Geburtstag kommen bei deiner Business-Feier aber auch Gäste, die du noch gar nicht kennst. Denke bei der Planung deiner Maßnahmen also mit, wo sich Chancen bieten, um dein Netzwerk zu vergrößern, vom Newletter-Abonnenten bis hin zum zufriedenen Käufer der eine Rezension hinterlässt.

“Was ich damit sagen will: Vergiss auch bei deinem Jubliäums-Feuerwerk der Maßnahmen nie den call to action, also den Aufruf (in deinem Sinne) zu handeln.”

Aller Anfang ist auch der Rede wert

Es muss übrigens nicht nur der 100. Jahrestag oder ein zahlenmäßiger Superlativ sein. Denn wir feiern ja auch mit Hingabe die Geburt eines Kindes. Ein neues Produktbaby braucht manchmal länger als 9 Monate bis es das Licht der Welt erblickt und ist ebenso intensiv in der Vorbereitung. Also sei mutig und stelle deine Neulinge der Welt vor. Mach NEUgierig auf das was da kommt, indem du häppchenweise Informationen dazu preisgibst. Setze verschiedene Personen (Kunden, Blogger, Influencer) als Testimonials ein, die über ihre Erfahrungen berichten. Das steigert das Verlangen schon vor der Verfügbarkeit.

Mein persönlicher Trick, um mich zu motivieren geplante Projekte wirklich in die Tat umzusetzen ist übrigens, dass ich darüber möglichst frühzeitig spreche.
Und so erzähle ich euch heute zum Abschluss von meinem neuen Social-Media Baby – Als @heidimetzmeier habe ich kürzlich meinen Autoren-Account auf Instagram eröffnet. Ich freue mich, wenn ihr mir dort folgt und meine Abenteuer-Reise hin zum ersten druckfähigen Buch begleitet. Ich habe den Vorsatz dieses als Self-Publisher herauszubringen. Spannend kann ich euch sagen!

Bleibt sommersonnenfröhlich

Eure

Heike